Serie | Großbritannien 2020 | (5 Folgen) Minuten

Regie: Peter Hoar

Im London der 1980er-Jahre treffen in einer WG vier schwule junge Männer und eine Frau zusammen, die in der queeren Subkultur der Metropole nach neuen Selbstentfaltungsmöglichkeiten jenseits der heteronormativen Konventionen suchen und diese auch finden. Bis die aus den USA herüber schwappenden Gerüchte um eine tödliche Krankheit, die vornehmlich Homosexuelle dahinrafft, sich als Realität entpuppen und auch im Freundeskreis der WG erste Todesfälle durch AIDS auftreten. Nun gilt es, das neu errungene Selbstwertgefühl, die Lebenslust und die schwule Identität gegen die Anfechtungen des inneren und äußeren Drucks im Angesicht der Seuche zu verteidigen. Die Miniserie entfaltet ein energetisches und mit fortschreitender Handlung von komödiantischem Enthusiasmus zu herzzerreißender Dramatik findendes Zeit- und Szeneporträt mit facettenreich-lebensprallem Figurenensemble. Berührend auch als Serie über Freundschaften und Liebe, deren Solidarität und Wärme einen Gegenpol zur gesellschaftlichen Kälte gegenüber der von AIDS besonders betroffenen Subkultur darstellen. - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
IT'S A SIN
Produktionsland
Großbritannien
Produktionsjahr
2020
Produktionsfirma
Red Production
Regie
Peter Hoar
Buch
Russell T. Davies
Kamera
David Katznelson
Musik
Murray Gold
Schnitt
Sarah Brewerton
Darsteller
Olly Alexander (Ritchie Tozer) · Nathaniel Curtis (Ash Mukherjee) · Shaun Dooley (Clive Tozer) · Omari Douglas (Roscoe Babatunde) · Lydia West (Jill Baxter)
Länge
(5 Folgen) Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Genre
Serie | Tragikomödie
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IMDb | TMDB

London in den 1980ern: Die Miniserie erzählt von einer Gruppe junger Männer, die in der queeren Subkultur der Metropole nach Freiheit, Sex und Liebe suchen, sich dann aber mit dem Ausbruch von AIDS konfrontiert sehen.

Diskussion

Die Fähre, mit der Ritchie (Olly Alexander) seinem piefig-erdrückendem Elternhaus auf der Isle of Wight den Rücken kehrt, soll ihm ein Leben mit weniger Lügen ermöglichen. Vor der Abreise hat der Vater seinem vermeintlich heterosexuellen Sohn noch eine Packung Kondome in die Hand gedrückt, damit dieser nach seinem Umzug in die Metropole London bloß kein Mädchen schwängert. Ahnungslos, dass er sie später noch brauchen wird, wenn auch aus anderen Gründen als vom Vater gedacht, wirft Ritchie sie lachend über Bord.

London im Jahre 1981: Eine WG wird zum fast utopischen Zufluchtsort für vier junge Schwule. Neben Ritchie wohnen im „Pink Palace“ außerdem noch Roscoe (Omari Douglas), den seine religiösen Eltern zwecks Kurierung seiner „abartigen“ Neigungen in die nigerianische Heimat schicken wollten, der unscheinbar schüchterne Colin (Callum Scott Howells), der charismatische Ash (Nathaniel Curtis) sowie die gemeinsame Freundin Jill (Lydia West). Fortan leben die Jungs in zwei Sphären: Der eisern konservativen Öffentlichkeit der Thatcher-Ära, in der sie ihre Homosexualität oft verheimlichen müssen, und der ausgelassenen Welt der WG sowie der schwulen Clubs und Bars, in denen der Alkohol reichlich fließt und die sexuellen Möglichkeiten endlos sind.

Ein Schatten fällt aufs gerade erst eroberte Paradies

Mit „It’s a Sin“ knüpft der walisische Autor und TV-Produzent Russell T. Davies („A Very English Scandal“, „Years & Years“) an seinen großen Durchbruch mit der Serie „Queer as Folk“ um drei schwule Freunde in Manchester an. Auch in der neuen, von Peter Hoar inszenierten Serie geht es zunächst um die Freiheiten der Großstadt und die ersten Gehversuche in der noch neuen Subkultur. Mit dem Aufkommen von AIDS fällt jedoch bald ein dunkler Schatten auf dieses Paradies. 

Die erste Ahnung bekommt man, als Colin seine Ausbildung bei einem Herrenbekleider beginnt und sich mit dem älteren, ebenfalls schwulen Kollegen Henry (Neil Patrick Harris) anfreundet. Dieser macht den unwissenden Colin wie ein großer Bruder mit den Gepflogenheiten urbaner Schwuler vertraut. Doch von einem Tag auf den anderen wird er krank und verschwindet, isoliert und bewacht in einem Krankenzimmer. Die erste Folge endet damit, dass die jungen Freunde mit leuchtenden Augen über ihre Zukunftsträume sprechen, während Henrys Leichnam in einen Plastiksack gepackt wird.

Aus einem Gerücht wird tödliche Wirklichkeit

Die zehn Jahre umspannende Serie spielt zunächst in einer Zeit, in der der „Schwulenkrebs“ noch als Gerücht behandelt wurde. Ritchie musste lange genug auf seine Freiheit warten und will deswegen zunächst nicht wahrhaben, dass diese Freiheit durch ein neuartiges Virus gefährdet werden könnte; in einem die vierte Wand durchbrechenden Monolog verkündet er, dass AIDS lediglich eine in die Welt gesetzte Verschwörungstheorie sei, die der jungen queeren Subkultur den Sex vermiesen soll.

Wenig später ist jedoch auch sein eigener Alltag von Misstrauen und Angst bestimmt. Den Kollegen, mit dem sich gerade noch eine Beziehung anbandelte, meidet er plötzlich panisch und untersucht sich vorm Spiegel hektisch nach verräterischen dunklen Flecken. „It’s a Sin“ zeigt, wie die steigende Paranoia die Sehnsucht nach Nähe zu erdrücken droht. Dabei beschönigt die Serie nichts. Wir sehen, wie die Körper schöner junger Männer in Windeseile zerfallen und wie auf ausgelassene Partys ein einsamer, würdeloser Tod folgt.

Mit Selbstermächtigung und Humor gegen die Bedrohung

Allerdings weigert sich „It’s a Sin“ beharrlich, Freude, Liebe und Lust vom Leid der Krankheit auslöschen zu lassen. Noch auf dem Totenbett mahnt eine der Figuren, man solle niemals den ganzen Spaß vergessen, den man gemeinsam hatte. Der gekonnte, oft fließende Wechsel zwischen unbeschwerten und traurigen Momenten spiegelt sich auch in den Popsongs, die häufig eine kommentierende Funktion haben. Neben dem titelgebenden Lied der „Pet Shop Boys“ kommen unter anderem Belinda Carlisles „Heaven is a Place on Earth“, Queens „Who Wants to Live Forever“ und R.E.M.s „Everybody Hurts“ zum Einsatz.

Selbst in den dunkelsten Momenten lässt Davies seine Figuren nicht zu ohnmächtigen Opfern werden, sondern setzt auf Selbstermächtigung und Humor. Vor allem lässt er ihnen als Akt der Genugtuung oft das letzte Wort: ob beim Streit mit den konservativen Eltern bei der Beerdigung eines Freundes, mit einem homophoben Priester oder, in einem fiktiven Zwischenfall, mit Margaret Thatcher höchstpersönlich. Man merkt der Serie bei solchen wütenden Standpauken und Racheaktionen an, dass sie auf Erfahrungen aus Davies’ Jugend basieren und so etwas wie eine Begleichung offener Rechnungen sind.

Solidarität und Güte als einzige wirksame Medizin

Ursprünglich waren für „It’s a Sin“ acht Folgen geplant, was dem Sender Channel 4 jedoch angesichts der ernsten Thematik zu gewagt war. Durch die Reduzierung auf fünf Folgen wirkt die Serie in ihren besten Momenten äußert dicht, auch wenn sich durch Davies’ unerschütterlichen Optimismus manche Konflikte nun etwas schnell in Wohlgefallen auflösen. In der letzten Folge wird die Erzählweise dann ruhiger und entwickelt besonders in einer längeren Krankenhausszene eine starke emotionale Intensität. Eine Mutter erfährt dort nicht nur, dass ihr Sohn schwul ist, sondern auch nicht mehr lang zu leben hat. Immer wieder folgt die Kamera ihr, wie sie aufgewühlt den Gang rauf- und runterhetzt, wie sie vor Wut bebt, leugnet und verdrängt, bis sie schließlich doch vor der schmerzhaften Wahrheit kapitulieren muss.

Zu diesem Zeitpunkt ist Jill längst zur heimlichen Hauptfigur der Serie geworden. Das grenzenlos solidarische heterosexuelle Mädchen, das selbst nicht von der Krankheit betroffen ist und ihre eigenen Bedürfnisse konsequent hintanstellt, steht für jene Freundschaft, Liebe und Selbstlosigkeit, die für die Serie so zentral sind. Eine Krankheit, die damals einem Todesurteil gleichkam, kann auch Jill nicht heilen. Aber in einem Umfeld aus überforderten Eltern und einer ignoranten Politik erweist sich ihre Güte als einzige wirksame Medizin.

 

 

 

 

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