Dokumentarfilm | Portugal 2021 | 70 Minuten

Regie: Susana Nobre

Ein alter Mann fährt mit Anzug und Krawatte durch heruntergekommene Industriegebiete und hält bei Fabriken und Firmen, die längst nicht mehr rentabel sind. Er braucht einen Stempel fürs Arbeitsamt, der ihm bestätigt, dass er sich um einen neuen Job bemüht, um die kurze Zeit vor seinem Renteneintritt zu überbrücken. In den 1970er-Jahren emigrierte er einst nach New York, um dort als Taxifahrer und Chauffeur sein Glück zu suchen. Mit melancholischen Bildern folgt der Dokumentarfilm den Lebenserinnerungen, die verspielt zwischen Realität und Inszenierung mäandern und von einem bewegten Schicksal erzählen. - Ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
NO TÁXI DO JACK
Produktionsland
Portugal
Produktionsjahr
2021
Produktionsfirma
Terratreme Filmes
Regie
Susana Nobre
Buch
Susana Nobre
Kamera
Paulo Menezes
Schnitt
João Rosas · Susana Nobre
Länge
70 Minuten
Kinostart
18.11.2021
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Dokumentarfilm
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Ein alternder Portugiese, der die Zeit bis zur Rente überbrücken muss, erinnert sich an sein bewegtes Arbeitsleben zwischen den USA und Portugal.

Diskussion

Schwarzglänzende Schmalztolle, Silber- und Goldringe, aufregende Hemden, Trenchcoat und eine schwere Silberkette mit dem obligatorischen Kreuz, so präsentiert sich Joaquim J. Calcada, ein zwischen den Zeiten gefangener Drifter im Brachland der europäischen Ökonomie. Weil der früher in den USA als Taxifahrer und Chauffeur arbeitende Mann vor kurzem seinen Job als Flugzeugmechaniker in seiner Heimat Portugal verloren hat und noch einige Wochen bis zum Rentenalter überbrücken muss, tingelt er im alten Mercedes von Firma zu Firma, um sich Stempel fürs Arbeitsamt geben zu lassen. Dabei sagt er den nur potenziellen Arbeitgebern ganz ungeniert, dass er keinen Job mehr wolle, er brauche nur den Stempel.

Eine merkwürdige Sehnsucht

Was mit komödiantischen Untertönen spielt, verharrt meist im überfrachteten „Saudade“-Duktus des portugiesischen Kinos. Während auf der Tonspur von den USA berichtet wird und dem durchaus aufregenden Leben, dass Jaoquim dort geführt hat, sind auf der Bildebene die Metallwüsten bei einer Kleinstadt nahe Lissabon zu sehen: Eine „merkwürdige Sehnsucht“ gehe von altem Schrott und nagelneuen Auspuffen aus.

Gefilmt wurde „Jack’s Ride“ von Paulo Menezes, der seit seiner Arbeit an „The Metamorphosis of Birds“ (2019) in der portugiesischen Kinematografie als Mann der Stunde gilt. Seine Bilder verfrachten die Melancholie von „Jack’s Ride“ ins Instagram-Zeitalter. Alles wirkt wie unter Sepia-Filtern ertrunken, das Filmmaterial bleibt bloßes Gimmick, alles ist zu sauber, um wahr zu sein. Dadurch entsteht eine Spannung, die der Film nie auflösen kann, nämlich jene zwischen diesem Mann und der Welt, in der er sich bewegt. Der Film legt diese Spannung harmonisch an, weil er beim Entladen von Lkws die gleiche Poesie findet wie im Blick des verlorenen Arbeitslosen und weil die Menschen im Arbeitsamt im gleichen Ton sprechen wie die Vergangenheit.

Die Melancholie des Lebens

Die Regisseurin Susana Nobre nähert sich dem Mann mit Zärtlichkeit und klugen Einfällen rund um fiktionale Versatzstücke. In einer herausragenden Szene etwa wähnt man Joaquim im New Yorker Taxi-Dschungel, Travis Bickle auf den verwaschenen Avenues, die zugleich die Melancholie des Lebens wie des Kinos evozieren. Doch ganz langsam setzt die Kamera zurück. Man erkennt, dass er sich nur in einem Filmstudio befindet, hinter ihm die Rückprojektion vergangener Tage.

Es ist das passende Bild für diesen wie aus längst vergessenen Fernsehprogrammen entfallenen Protagonisten. Er ist ein Mann, der daran erinnert, dass man immer Rollen spielt im Leben. Rückprojektionen beschreiben ohnedies recht treffend, was dieser Film leistet. Er zeigt den Menschen als Fahrenden. Die Vergangenheit schichtet sich hinter ihm auf, bis sie unwirklich wird.

„Jack’s Ride“ ist weniger ein Film über Joaquim als ein Film mit ihm. Jedes Bild entspringt seiner Weltsicht. Die Dialoge schrieb der Protagonist in vielen Fällen selbst. Neben seinen Fahrten durch das, was vom Industriezeitalter übrigblieb, sieht man ihn zusammen mit seinem erblindeten Freund Amindo Martins Rato. Er kümmert sich um ihn und erzählt ihm aus seinem Leben. Ganz beiläufig wird so auch von den wirklichen Rändern der Gesellschaft berichtet.

Verspielt Missstände aufzeigen

Zusammen mit Filmen wie „A Fábrica de Nada“ kann man dem portugiesischen Kino eine neue Sensibilität in Fragen der Arbeiterklasse zuschreiben. Beide Filme eint, dass sie mit verspielten Methoden Missstände aufzeigen wollen. Ob ästhetische oder formale Intelligenz die ungerechten Absurditäten oder die Seele der Betroffenen wirklich offenlegt, bleibt allerdings fraglich.

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