When a farm goes aflame

Dokumentarfilm | Deutschland 2021 | 111 Minuten

Regie: Jide Tom Akinleminu

Der Vater des dänischen Filmemachers Jide Tom Akinleminu lebt mit dessen Mutter seit über 30 Jahren in einer Fernehe zusammen, wobei er lange verheimlichte, dass er in seiner afrikanischen Heimat in Nigeria eine zweite Familie hat. Jetzt befragt der Sohn die Betroffenen, die auf unterschiedliche Weise ihre Rollen reflektieren. Im Laufe der Dreharbeiten kommen zudem noch weitere verdrängte Tatsachen ans Licht. Gedreht in Europa, Afrika und Nordamerika, skizziert der Film ein Stimmungs- und Sittenbild verschiedener Generationen und Kulturen. Zugleich zeichnet er ein sensibles Psychogramm familiärer Verwerfungen, handelt vom Schmerz der Wahrheitssuche und stimmt eine traurig-schöne Ballade über Liebe, Enttäuschung und Erlösung an. (Premiere im Rahmen der Sektion „Perspektive deutsches Kino“ bei der Berlinale 2021) - Sehenswert ab 14.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2021
Produktionsfirma
Film Five
Regie
Jide Tom Akinleminu
Kamera
Jide Tom Akinleminu
Schnitt
Maja Tennstedt
Länge
111 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Genre
Dokumentarfilm
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Auf der Suche nach seinen Wurzeln entdeckt der dänisch-nigerianische Filmemacher Jide Tom Akinleminu, dass sein Vater in Nigeria seit 30 Jahre eine zweite Familie hat. Westliche und afrikanische Vorstellungen von Liebe und Glück prallen darin aufeinander.

Diskussion

Eine Familie kann Refugium sein oder Hölle. Ein Ort der Offenbarungen und der Geheimnisse, ein Raum für die alltägliche Kommunikation – oder auch für ein Schweigen, das sich wie ein schwerer Teppich über Schönes und Schreckliches ausbreitet. Die Familie, die Jide Tom Akinleminu in seinem Film „When a farm goes aflame“ porträtiert, hält alles von allem bereit. Es ist Akinleminus eigene Familie, und indem der Regisseur ein Puzzle aus Dingen, die ihm bekannt waren, und einer Fülle von bisher Ungesagtem und Unentdecktem zusammenfügt, wirkt „When a farm goes aflame“ wie eine filmische Familienaufstellung, eine Art therapeutischer Sitzung für alle Beteiligten – und zugleich wie ein Stimmungs- und Sittenbild verschiedener Generationen und Kulturen.

Akinleminus Vater Akin war Ende der 1960er-Jahre aus einem Dorf in Nigeria nach Dänemark gekommen, um Landwirtschaft zu studieren. In Kopenhagen lernte er Grete kennen und lieben. Sie heirateten, und Grete reiste mit in Akins Heimat. Doch nach zwei Jahrzehnten, angesichts der Lebensbedingungen in dem korruptionsgeplagten Land, entschloss sich Grete, gemeinsam mit den drei Kindern wieder nach Europa zurückzukehren. Akin blieb zu Hause, weil er in Dänemark die Arbeitslosigkeit fürchtete, teilweise aber auch, weil er seine afrikanische Sippe nicht verlassen konnte und wollte.

Zwei Fragen als roter Faden

Bereits 2013 hatte Jide Tom Akinleminu zum Abschluss des Studiums an der Berliner Film- und Fernsehakademie einen Film über seinen Vater gedreht, „Portrait of a Lone Farmer“ (2013). Danach aber waren neue Erkenntnisse ans Licht gekommen, die eine Fortschreibung gleichsam herausforderten. In „When a farm goes aflame“ ziehen sich zwei Fragen, die der Regisseur zu Beginn einem afrikanischen Wahrsager stellt, wie ein roter Faden durch den Film: „Warum hat mein Vater nie die Wahrheit gesagt?“ Und: „Warum hat meine Mutter nie gefragt?“

„When a farm goes aflame“ ist eine Spurensuche auf drei Kontinenten. In Dänemark wartete Grete jahrelang darauf, dass Akin endlich in die Scheidung einwilligt. In Nigeria verweigert sich der Vater beharrlich den Fragen des Sohnes nach der bisher unbekannten Zweitfamilie, die er noch vor Gretes Abreise heimlich gegründet hatte. Die afrikanische Verwandtschaft ergeht sich in Ausflüchten und Schutzbehauptungen. In Kanada lernt Akinleminu den fremden Bruder kennen, der aber nicht ins Leben des Vaters einbezogen werden will: „Das ist seine Geschichte. Lass die Vergangenheit dort, wo sie hingehört.“ Und dann gibt es noch eine weitere Frau und ein weiteres Kind. Und Akins Drohung, dass der Sohn nie wieder zu ihm zu kommen brauche, wenn er auch noch daran rühre.

Der Sohn schwingt sich nicht zum Richter auf

In den Interviews versucht Akinleminu die Schalen, die alle um sich gelegt haben, vorsichtig abzutragen. Es gibt keinen Kommentar; der Sohn schwingt sich nie zum Richter seiner Eltern auf, baut stattdessen Brücken fürs Gespräch, bietet Hilfe an, um Verhärtungen aufzuweichen. Dass er selbst die Kamera führt, trägt zur Intimität der Gespräche und Beobachtungen bei. Mit Hilfe alter 8mm-Materialien und Zitaten aus Briefen und Tagebüchern erzählt Akinleminu, dass es einst eine große Liebe gab, eine schöne Hoffnung. Auch das Umfeld kommt ins Spiel, etwa die Freundinnen der Mutter oder die Verwandten des Vaters, die malerisch zu erzählen verstehen – und doch zugleich Wesentliches verschweigen. Mit zärtlicher Dezenz verfolgt Akinleminu den Kampf seiner Mutter gegen ihre Krebserkrankung.

Aus Akins Perspektive, sagt Grete heute über ihren Mann, habe er sie möglicherweise nie verlassen, „sondern er hat nur eine andere Person hinzugefügt. Es ist wahrscheinlich ein kultureller Unterschied. Muss es ja sein.“ Vielleicht entsteht aus der Enttäuschung ein neues, entspanntes Verhältnis zur eigenen Biografie. Vielleicht trägt auch der Mut des Sohnes, einen Film über Entfremdung und Schweigen zugleich als Liebesfilm anzulegen, dazu bei. „Ich finde“, so sein Resümee, „dass eine Art von Erlösung und Loslassen spürbar ist“.

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