- | Taiwan 2019 | 156 Minuten

Regie: Chung Mong-Hong

Die Geschichte zweier Brüder einer taiwanesischen Arbeiterfamilie, von denen der eine als introvertierter Schüler der Hoffnungsschimmer, der andere das schwarze Schaf der Familie ist. Eine sinnlose Gewalttat bringt den Jüngeren ins Gefängnis und seine Familie an den Rand des Zusammenbruchs. Doch nicht allein sein Handeln bereitet den Angehörigen große Not. Das visuell und inszenatorisch virtuose Drama beleuchtet meisterhaft ein Figurenensemble an der Nahtstelle von Sozialdrama, Familienerzählung und antiker Tragödie. Das Leiden der Frauen wie die Gewalt der Männer sind dabei gleichermaßen in die wachsende Ungleichheit der Gesellschaft verwoben. - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
YANGGUANG PUZHAO
Produktionsland
Taiwan
Produktionsjahr
2019
Produktionsfirma
3 Ng Film/Eight Eight Nine Films/Mandarin Vision/Mirror Fiction/UNI Connect Broadcast Prod.
Regie
Chung Mong-Hong
Buch
Chung Mong-Hong · Chang Yao-sheng
Kamera
Chung Mong-Hong
Musik
Lin Sheng-xiang
Schnitt
Lai Hsiu-hsiung
Darsteller
Chen Yi-wen (A-Wen) · Samantha Ko (Qin) · Wu Chien-ho (A-Ho) · Greg Han Hsu (A-Hao) · Liu Kuan-Ting (Radish)
Länge
156 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
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Eine taiwanesische Arbeiterfamilie gerät durch die Verfehlung eines ihrer beiden Söhne an den Rand des Zusammenbruchs. Fortan ruhen die Hoffnungen der Eltern ganz auf dem zweiten Bruder.

Diskussion

Es ist die Geschichte zweier Brüder. Der eine ist ein Vorzeigejunge mit den größten Ambitionen, der andere das schwarze Schaf der Familie. A-hao und A-ho lauten die Namen der ungleichen Geschwister. Sie leben bei ihren Eltern in der taiwanesischen Hauptstadt Taipeh. Die Ereignisse einer Nacht führen jedoch dazu, dass die Familie für immer auseinanderbricht.

Der Gewaltexzess, in den A-ho (Wu Chien-ho) verwickelt ist, steht im krassen Widerspruch zu den ersten friedvollen Momenten des Films. A-ho und ein anderer Junge sind auf einem Moped in den von bunten Lichtern erhellten Straßen Taipehs unterwegs. Sanft hingetupfte Noten erklingen, während die Kamera den Jugendlichen bei der Fahrt durch den Regen folgt. Am Hintereingang eines Restaurants beginnt der Schrecken. Die beiden Jungen sind bewaffnet und dringen in den Laden ein. Drinnen attackiert A-hos Begleiter einen jungen Mann und hackt ihm mit der Machete die Hand ab. Ein jäher Gewalteinbruch, der erschaudern lässt.

Es dauert nicht lange, bis die jugendlichen Täter von der Polizei gefasst werden. Zu den Hintergründen der Tat erfährt man zunächst nicht viel. A-hos Vater drängt vor Gericht auf eine harte Bestrafung seines Sohns. Fortan behauptet er, dass er und seine Frau nur noch ein Kind haben. Auf A-hao ruhen dadurch noch größere Hoffnungen als zuvor.

Währenddessen wird A-ho mit den Gepflogenheiten des Knastalltags vertraut. Auch die ersten Monate in der Haftanstalt sind von Konflikten und Gewalt geprägt, doch langsam vollzieht sich bei dem jungen Mann ein Wandel in seinen Einstellungen. Filmisch kündigt sich auf subtile Weise eine Verlagerung des Gleichgewichts im Verhältnis der Brüder zueinander und gegenüber ihren Eltern an.

Virtuose Verkehrung der Verhältnisse

Regisseur Chung Mong-hong gelingt die Darstellung der allmählichen Verkehrung der familiären Muster – wie so vieles andere in dem Film – erzählerisch virtuos. Es ist das Handeln des Vorzeigesohnes A-hao, der das Leben des Elternpaars endgültig zum Einsturz bringt. Über die plötzliche Wendung sei hier nicht zu viel verraten. Eines der Hauptmotive von „A Sun“ tritt dabei aber deutlich hervor: Niemals kann man sich sicher sein, was im Inneren eines Menschen vorgeht, egal wie vertraut diese Person auch erscheinen mag.

Die Inszenierung hebt nicht auf die psychologischen Beweggründe für das Handeln der Filmfiguren ab, deren Innenwelten rätselhaft bleiben. Sie arbeitet vielmehr den Grundkonflikt zwischen den Daseinsvoraussetzungen der Menschen und ihrer gesellschaftlichen Einbettung heraus. „A Sun“ erzählt vom Schicksal einer Arbeiterfamilie in Zeiten wachsender Ungleichheit und der immer stärkeren Spreizung von Arm und Reich, die längst auch Taiwan erfasst hat.

Der Vater A-wen ist ein angestellter Fahrschullehrer, seine Frau arbeitet als Kosmetikerin. Als A-ho aus dem Gefängnis entlassen wird, findet er Arbeit bei einem Autowaschservice, wo er Luxuskarossen poliert. Weil das hinten und vorne nicht reicht, schiebt er zusätzliche Nachtschichten in einer Tankstelle. A-ho war kurz nach seiner Inhaftierung Vater geworden; jetzt muss er seine kleine Familie versorgen. Während der Zeit im Knast hatte sich seine Mutter um A-hos künftige Ehefrau gekümmert und die Schwangere bei sich aufgenommen. Eine weitere Dimension von „A Sun“ wird hier deutlich: das Unheil männlicher Gewalt. Frauen sind zwar nicht direkt Opfer von Gewaltausübung, die ausschließlich unter Männern stattfindet; in der Bewältigung ihrer Folgen schultern die Frauen aber allein die Last.

Das Schicksal lässt sich ändern

Die von Samantha Shu-chin Ko verkörperte Mutter erscheint als stilles Zentrum der Handlung; ihr Leiden reicht an antike Dramen heran, denn nicht ihr eigenes Handeln besiegelt ihr Schicksal, sondern die Verfehlungen ihrer Söhne und ihres Ehemannes. Doch ist dieses Los in „A Sun“ nicht unumkehrbar. Was mit einer motorisierten Fahrt in die Nacht und in den Abgrund beginnt, endet mit einer spätnachmittäglichen Fahrradtour des Sohnes mit seiner Mutter auf dem Gepäckträger. Die meisterhafte, mitunter ins Gegenlicht der schon tiefstehenden Sonne gefilmte Sequenz führt auf leichter Schlangenlinie direkt ins Herz des Publikums.

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