Dokumentarfilm | Italien 2021 | 79 Minuten

Regie: Pietro Marcello

Dokumentarisches Porträt des in Bologna geborenen Musikers Lucio Dalla (1943-2012), der in den 1970er-Jahren als „Cantautore“ (Liedermacher) zu einer wichtigen Stimme der populären Musik in Italien wurde, nicht zuletzt mit politischen Liedern. Anhand von Archivbildern und Gesprächen mit seinem Freund und Manager Tobia Righi vermittelt der Film weniger einen Gesamtüberblick über die Karriere Dallas, sondern setzt sich anhand ausgewählter Passagen seines Schaffens mit der italienischen Geschichte nach dem Zweiten Weltkrieg auseinander. Der spezifisch italienische Film lädt dazu ein, weiter zu denken, zu hören und zu kämpfen. - Ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
PER LUCIO
Produktionsland
Italien
Produktionsjahr
2021
Produktionsfirma
IBC Movie/Rai Cinema
Regie
Pietro Marcello
Buch
Pietro Marcello · Marcello Anselmo
Kamera
Ilyà Sapeha
Schnitt
Fabrizio Federico
Länge
79 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Dokumentarfilm | Dokumentarisches Porträt
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Porträt des Musiker Lucio Dalla, der nicht zuletzt mit politischen Liedern in den 1970er-Jahren zu einer unverwechselbaren Stimme der italienischen populären Musik wurde.

Diskussion

In „Per Lucio“ lässt der Filmemacher Pietro Marcello Zeitgenossen und Archivbilder aus dem Leben des italienischen "Cantautore" Lucio Dalla berichten. Aus dessen schelmisch-bärtigem Gesicht blitzen stets Wut und Wärme auf, die ihn fest im Gedächtnis der italienischen Kultur verankern. Egal, ob er in Talkshows mit Politiker debattiert, auf einem ausrangierten Güterzug herumstrolcht oder zusammen mit seiner Mutter in einer Fernsehshow auftritt: Dalla bewegt.

Es ist ein ziemlich eigenwilliges und nicht nur deshalb sympathisches Abkehren Marcellos von den heutzutage vorgefertigten Wegen europäischer Filmemacher. Denn nach seinem famosen und weltweit gefeierten Spielfilm „Martin Eden“ folgt nicht der nächste, universal zugängliche Angriff auf den Olymp der Filmkunst, sondern ein recht gewöhnlich daherkommendes, kleines und spezifisch italienisches Werk.

Eine italienische Geschichtsstunde

Der Filmemacher bemüht sich gar nicht, Dallas Geschichte für alle jene zu erzählen, die sie nicht bereits kennen. Stattdessen nutzt er fragmentierte Einblicke in dessen Leben, um eine italienische Geschichtsstunde zu geben und Dalla als einen der vielen Außenseiter zu etablieren, für die das Herz von Pietro Marcello seit jeher brennt. Jenen, die im Zwielicht operieren und das Leben mit unbedingtem Hunger leben, statt sich hinter bürgerlichen Scheinfassaden zu verschanzen, widmet Marcello seine Aufmerksamkeit. Es überrascht nicht, dass er zu einem Lied Dallas – ohne Frage etwas selbstwichtig – Bilder seines „La bocca del lupo“ montiert.

Die Karriere Dallas umspannt den schnellen Wandel Italiens zu einer Konsumgesellschaft. In etwas übertrieben in Sepia getauchten Archivbildern mit künstlichem Filmkorn bringt „Per Lucio“ die Lieder in Verbindung mit der Gesellschaft. Damit zeigt er die große Stärke Dallas auf, der in seinen Texten – das wird auch im Film deutlich – viel von seiner Zusammenarbeit mit dem Schriftsteller Roberto Roversi profitierte. Ein gutes Beispiel für Dallas Wirken ist sein Album „Automobili“ aus dem Jahr 1976. Darin beleuchtet er die Begeisterung des italienischen Volkes für das Auto und vor allem das von den 1920er- bis in die 1950er-Jahre stattfindende Straßenrennen Mille Miglia.

Zwischen Heroismus und politischer Kritik

In ambivalenten Texten zwischen nostalgischem Heroismus und politischer Kritik gibt Dalla den Menschen eine denkende Stimme. All das mündet in einer kritischen Auseinandersetzung mit dem Fiat-Konzern und dessen Zusammenarbeit mit Gaddafis Libyen.

Berührend ist vor allem, wie Dallas langjähriger Manager Tobia Righi aus dem Leben seines Freundes erzählt. Dabei wird klar, dass Dallas Geschichte eng mit der Stadt Bologna verbunden ist. An den Aufnahmen der Stadt lässt sich die sich verändernde Struktur des Staates ablesen. Landwirtschaftliche Lebensweisen werden von rauchenden Schornsteinen abgelöst. Ein zunächst unschuldig leuchtender, vom Kapitalismus begünstigter Weihnachtsbaum in den Arkaden Bolognas muss mit anderen Augen betrachtet werden, wenn später Polizei und Militär auflaufen, um ein unzufriedenes Volk in Schach zu halten. Bei der Beerdigung Dallas sollen an der Piazza Maggiore bis zu 50 000 Menschen getrauert haben. Diese 50 000 Menschen konstituieren eine Öffentlichkeit, die zwar verschwunden scheint, deren Echo aber bis heute zu hören ist.

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