Mit einem kurzen Auftritt in „The Big Lebwoski“ aus dem Jahr 1998 hat John Turturro eine der aberwitzigsten Szenen in einem frühen Werk der Coen-Brüder geschaffen: Als passionierter Bowler Jesus Quintana mit Haarnetz und lilafarbenem Jumpsuit zelebriert er darin den Bowling-Sport als sexuell aufgeladenen Tanz und verkündet zugleich selbstbewusst: „Nobody fucks with the Jesus‟.
Für den Schauspieler muss diese Nebenrolle, die auf einem seiner Bühnencharaktere beruhte, eine einschneidende Erfahrung gewesen sein. So sehr, dass er 20 Jahre später noch einmal in die Rolle von Jesus Quintana schlüpft und ihm einen eigenen Film widmet.
Das von Turturro selbst geschriebene und inszenierte Spin-off „Jesus Rolls‟ beginnt vielversprechend mit allerlei Wort- und Bildwitzen. Zu Flamenco-Klängen wird der Kleinkriminelle Quintana aus der Haft entlassen. Elegant gleitet er in einem blauen Einteiler durch die Gefängnisgänge, vorbei an anderen Häftlingen, denen sein Abschied schier das Herz bricht, sowie an den in einer Nachbarzelle musizierenden Gypsy-Kings-Musikern Nicolas Reyes und Tonino Baliardo, geradewegs hinein ins Büro des von Christopher Walken gespielten Gefängnisdirektors, der ihm seine lilafarbenen Schuhe und seine markanten Ringe zurückgibt. Man dankt Quintana, dessen Talent die „Black Sheep“-Knast-Bowler wieder zu Ruhm und Ehre führte; eine Rückblende entlastet ihn auch vom Ruf des Päderasten und ebnet den Weg zum Titelhelden mit Macken, aber ohne ernsthaften Makel. Gemeinsam mit seinem Kumpel Petey (Bobby Cannavale), der ihn vor dem Gefängnis abholt, beginnt die neuerliche Reise.
Nur selten blitzt der Coen-Humor auf
Das von Turturro geschriebene Drehbuch zeugt vom Willen zum Experiment. Es legt den Film als Spin-off von „The Big Lebowski‟ und als eine Art Remake von „Die Ausgebufften‟ (1974) von Bertrand Blier an. In der französischen Komödie machten sich zwei Taugenichtse mit anarchischem Gestus über die Errungenschaften des Bürgertums her, klauten teure Autos und hebelten die klassische Zweierbeziehung zugunsten der freien Liebe aus. Auch in „Jesus Rolls‟ geht es um zwei Gauner, die einen Wagen nach dem anderen stehlen, obwohl sie nur auf Bewährung freigekommen sind; sie gabeln eine junge Friseurin (Audrey Tautou) auf, die nicht zum Orgasmus kommen kann, und fahren mehr oder weniger ziellos durch die Gegend, bis sie durch die Nähe zu einem Mörder unfreiwillig selbst wieder zu Gesuchten werden.
Als Geschichte im „Lebowski‟-Universum mag man sich „Jesus Rolls‟ nicht so recht vorstellen. Nur an wenigen Stellen blitzt so etwas wie der Coen-Humor auf, der sich vor allem in dem skurrilen Figurenpersonal sowie in Details des Szenenbildes zeigt. Großartig sind etwa die riesigen Fotos eines narzisstischen Friseurs, dem Jesus und Petey den Sportwagen gestohlen haben. Meist aber wirkt es so, als ob Turturro sich zu sehr auf die Bekanntheit der Nebendarsteller verlässt und darauf setzt, dass diese den Film tragen. Das sind neben dem kleinen Gastauftritt von Christopher Walken etwa Jon Hamm als selbstverliebter Friseur oder Susan Sarandon, die in einer längeren Passage eine gerade aus dem Gefängnis entlassene Frau spielt und damit in die Fußstapfen von Jeanne Moreau in „Die Ausgebufften“ tritt.
Auflösung sexueller Orientierungsmuster
Indem Turturro gelegentlich das Kostümbild oder manches ikonische Bild aus „Die Ausgebufften‟ nachstellt, sucht er immer wieder die Nähe zum französischen Original. Während Bliers Komödie jedoch ganz dem Zeitgeist der 1970er-Jahre verpflichtet ist, taugt „Jesus Rolls‟ kaum zur Provokation. An der Unfähigkeit der beiden älteren Männer, ihre Begleiterin sexuell zum Höhepunkt zu bringen, und dem übersteigerten Stellenwert, den sie ihrer Potenz zumessen, lässt sich vielmehr eine Krise der Männlichkeit ablesen, die allerdings kein Mitgefühl erzeugt. Interessant ist lediglich, dass die Auflösung starrer sexueller Orientierungen heute sehr zeitgemäß wirkt. Denn Jesus macht seinen Kumpel Petey ebenso schöne Augen wie Marie, ohne dass der Film darum viel Aufheben machen würde.
In „Jesus Rolls“ wird viel geklaut, gevögelt und geflucht, doch sonderlich unterhaltsam, komisch oder gar subversiv ist das nicht. Der Film ist ein gutes Beispiel dafür, dass eine schillernde Nebenfigur noch lange keine eigene Geschichte trägt – erst recht nicht, wenn ihr größtes Movens darin besteht, nach 22 Jahren noch einmal ihre Potenz unter Beweis zu stellen und die in „The Big Lebowski“ binnen zweier Minuten etablierten Manierismen auf eine Laufzeit von 85 Minuten zu dehnen. Bei diesem Spiel schafft Jesus Quintana diesmal keinen Strike; die Kugel rollt vielmehr schnell in die Rinne.