Dokumentarfilm | Schweiz/Mexiko 2019 | 79 Minuten

Regie: Juliana Fanjul

Dokumentarfilm über die regierungskritische mexikanische Journalistin Carmen Aristegui und ihren Kampf für Pressefreiheit und Menschenrechte. Seit Ende der 1980er-Jahre arbeitet sich die Radiomoderatorin an den repressiv-korrupten Strukturen der mexikanischen Gesellschaft und der politischen Klasse ab. Auch als sie nach der Aufdeckung eines Immobilienskandals um die Präsidentenfamilie von Enrique Peña Nieto im Jahr 2015 entlassen wurde, resignierte sie nicht, sondern gründete eine unabhängige Nachrichtenplattform. Der Film verbindet Archivmaterial und Off-Kommentar geschickt mit spannenden Beobachtungen aus Aristeguis aktuellen Arbeiten. - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
SILENCE RADIO
Produktionsland
Schweiz/Mexiko
Produktionsjahr
2019
Produktionsfirma
Akka Films/RTS Radio Television Suisse
Regie
Juliana Fanjul
Buch
Juliana Fanjul
Kamera
Jeröme Colin
Schnitt
Yael Bitton
Länge
79 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 16; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Genre
Dokumentarfilm
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Doku über die mexikanische Enthüllungsjournalistin Carmen Aristegui und ihren Kampf für Pressefreiheit und Menschenrechte in Mexiko.

Diskussion

„Gerechtigkeit für Journalisten und Menschenrechtler!“, skandieren die Demonstranten in Mexiko-Stadt vor dem Innenministerium. Sie erinnern an den Journalisten Javier Valdez, der im Mai 2017 ermordet worden war. Durch seine Berichte über den Drogenkrieg und die Kartelle war Valdez bekannt geworden. In einer Ansprache würdigt die Enthüllungsjournalistin Carmen Aristegui den ermordeten Kollegen als einen Kämpfer für die Meinungsfreiheit und gegen das organisierte Verbrechen.

Kritische Journalisten leben in Mexiko gefährlich. Sie bezahlen ihre unbequeme Position zwischen dem Profit ihrer Arbeitgeber, der Arroganz der politischen Macht und der Brutalität der Drogenkartelle oft mit ihrer körperlichen Unversehrtheit, dem Verlust ihrer beruflichen Existenz und mitunter auch mit dem Leben.

Eine Frau erhebt ihre Stimme

Carmen Aristegui ist seit 1987 Journalistin, eine der bekanntesten Stimmen Lateinamerikas. Ihre Sendung beim privaten Rundfunksender MVS war sehr einflussreich; eine Stimme, die auch das politische Bewusstsein der Regisseurin Juliana Fanjul als Heranwachsende geprägt hat. Aristegui, so die Filmemacherin im Off-Kommentar, habe äußerst anschaulich ein korruptes System beschrieben, das seit über 70 Jahren von einer einzigen Partei geprägt wurde: der Partei der institutionalisierten Revolution (PRI), die eine Art „Pax Mafiosa“ geschaffen habe. Doch dann kam im Jahr 2000 die Opposition an die Macht und erklärte den Drogenkartellen den Krieg. Damit begann eine grauenvolle Gewaltspirale, ein Krieg, den die Regierung nicht gewinnen konnte und der „uns zu Geiseln und zu entsetzten Zuschauern gleichermaßen machte“.

„Silence Radio“ konfrontiert mit unerträglichen Archivbildern der Opfer des Drogenkrieges, etwa erhängten Männern an Autobahnbrücken. Die PRI, die 2012 wieder an die Macht kam, wollte diese Horrorbilder schnell wieder vergessen machen. Mit Enrique Peña Nieto präsentierte sie einen Märchenprinzen der Politik, unterstützt vom Mediengiganten Televisa, dessen Gründer sich als „Soldat des Präsidenten“ versteht. Das glatte Bild des hübschen Präsidenten mit seiner ebenso hübschen Gattin, der Schauspielerin Angélica Rivera, überzeugte auch internationale Medien vom Reformkurs Mexikos.

Enrique Peñas Weißes Haus

Doch dann wurden 2014 im ländlichen Iguala 43 Studenten von der Mafia und wohl auch der Polizei entführt; an den korrupten Strukturen hatte sich also wenig geändert. Demonstranten forderten hartnäckig die Aufklärung des Falls. Der Film zeigt in Archivbildern, wie eine übergroße Pappfigur des Präsidenten mit einer roten Clownsnase verbrannt wird, während die Stimme der Regisseurin aus dem Off kommentiert: „Im schwierigsten Moment für den jungen Präsidenten, während das moralische Rückgrat des Landes verrottete, griff Carmen Aristegui das Herz der Macht in Mexiko an.“ „Enrique Peñas Weißes Haus“ lautete der Skandal um eine luxuriöse Villa, die das Präsidentenpaar von einem Baukonsortium erhalten hatte, als Dank für einen milliardenschweren Auftrag beim Bau einer Hochgeschwindigkeitsstrecke für die Bahn. Der Präsident musste sich öffentlich entschuldigen; das Bild des „Reformpräsidenten“ im Ausland war zerstört. Die Rache ließ nicht lange auf sich warten: Carmen Aristegui und ihr Team wurden entlassen. Der Sprecher des Rundfunksenders erklärte: „Die Freiheit von MVS, Mitarbeiter einzustellen, ist ebenso wertvoll wie die freie Meinungsäußerung.“ Pressefreiheit ist am Ende die Freiheit der Medienhäuser. Aristegui und ihre Kollegen wurden bespitzelt, beschimpft und bedroht. Nach dem Rauswurf fand Aristegui auch bei anderen Sendern keine Arbeit mehr und gründet mit ihren eigenen Ersparnissen eine unabhängige Nachrichtenplattform.

„Silence Radio“ ist kein biografischer Film; man erfährt wenig über das Privatleben von Carmen Arastegui, nur dass sie ihren 12-jährigen Sohn ins Ausland schickte, um ihn aus dem Schussfeld zu ziehen. Der Film fokussiert vielmehr auf Aristeguis Arbeit innerhalb der zerrütteten Strukturen in Mexiko, aber auch auf den Widerspruch zwischen der Wirklichkeit und dem Bild, das sich das Fernsehen davon macht.

So lehrreich wie spannend

Juliana Fanjul hat an der Internationalen Film- und Fernsehschule im kubanischen San Antonio studiert. Diese Einrichtung entstand aus der Tradition des Neuen lateinamerikanischen Kinos der 1970er-Jahre; die geschickte Montage von Archivmaterialien und eigenen Bildern zu neuen Sinnzusammenhängen erinnert an große Vorbilder des lateinamerikanischen Dokumentarfilms: an Marta Rodriguez, Santiago Alvarez, Fernando Solanas oder Patricio Guzmán.

„Silence Radio“ ist ein mitreißender politischer Dokumentarfilm, lehrreich und spannend. Im März 2021 wurde der Film von der Weltvereinigung für Christliche Kommunikation und der katholischen Weltvereinigung für Kommunikation SIGNIS mit dem Menschenrechtspreis ausgezeichnet.

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