Das Mädchen mit den goldenen Händen

Drama | Deutschland 2021 | 103 Minuten

Regie: Katharina Marie Schubert

In einem ostdeutschen Provinzstädtchen soll 1999 ein leerstehendes Gutshaus, das zu DDR-Zeiten als Kinderheim genutzt wurde, verkauft und in ein Luxushotel umgewandelt werden. Während viele im Ort das Projekt unterstützen, kämpft eine 60-jährige Frau vehement gegen das Vorhaben. Sie hat eine besondere Verbindung zu dem Haus, in dem sie elternlos aufgewachsen ist. Mit Bedacht und viel Umsicht lotet das Drama die Gräben zwischen Ost und West aus, wo Menschen zwischen Erinnern und Vergessen nach Wegen suchen, wie es weitergehen soll. Zugleich erzählt der psychologisch dichte Film ein komplexes Beziehungsdrama zwischen einer Mutter und ihrer Tochter. - Sehenswert ab 14.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2021
Produktionsfirma
if... Productions/mdr/arte/hr
Regie
Katharina Marie Schubert
Buch
Katharina Marie Schubert
Kamera
Barbu Balasoiu
Musik
Marvin Miller
Schnitt
Anja Pohl
Darsteller
Corinna Harfouch (Gudrun) · Peter René Lüdicke (Werner) · Birte Schnöink (Lara) · Gabriela Maria Schmeide (Jutta) · Imogen Kogge (Henriette)
Länge
103 Minuten
Kinostart
17.02.2022
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Genre
Drama
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Heimkino

Verleih DVD
EuroVideo (16:9, 1.85:1, DD5.1 engl./dt.)
Verleih Blu-ray
EuroVideo (16:9, 1.85:1, dts-HDMA engl./dt.)
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Eine 60-jährige Frau will ein Jahrzehnt nach der Wende nicht hinnehmen, dass in einem ostdeutschen Städtchen ein ehemaliges Waisenhaus in ein Luxushotel umgewandelt werden soll.

Diskussion

Was bleibt einem zwischen dem Erinnern und dem Vergessen? Gibt es noch etwas anderes außer „Ich will das Alte behalten!“ oder „Ich will alles neu!“? Als Gudrun sich diese Frage stellt, hat sie das Gefühl, gerade etwas Wichtiges zu verlieren. Vordergründig ist es ein denkmalgeschütztes Gutshaus, das bereits viele Jahre leer steht. Das Anwesen gehört zur Geschichte ihres Heimatortes im Berliner Umland, aber vor allem gehört es zu ihrer eigenen Geschichte. In der DDR wurde das Haus als Kinderheim genutzt. Dort ist Gudrun aufgewachsen und dort will sie ihren 60. Geburtstag feiern, zehn Jahre nach dem Mauerfall.

Sie hat einen großen Saal geschmückt, die Tafel gedeckt, schnell noch ein wackelndes Tischbein justiert und im Voraus bei ihrer Tochter Lara eine Rede zu ihrem Ehrentag bestellt. Doch nicht alles läuft nach Plan. Zwar empfängt und besingt man die Jubilarin wie eine Königin, doch dann erfährt sie im Laufe des Abends, was alle im Ort längst wissen: Jens, der Bürgermeister, wird das Haus an einen westdeutschen Investor verkaufen. Ein Luxushotel soll entstehen. Das bringt Arbeitsplätze, das hat Zukunft und niemand muss dabei zusehen, wie das einst herrschaftliche Haus zur Ruine zerfällt. Doch Gudrun hat andere Pläne, und sie ist es gewohnt, dass sie die Richtung vorgibt. Sie ist überzeugt davon, dass niemand aus dem Städtchen in dem künftigen Fünf-Sterne-Hotel je eine Tasse Kaffee trinken wird.

Weder Besser-Wessi noch Jammer-Ossi

Die Schauspielerin Katharina Marie Schubert hat das Drehbuch zu „Das Mädchen mit den goldenen Händen“ geschrieben und bei ihrem ersten abendfüllenden Spielfilm auch Regie geführt. Sie erzählt die Geschichte mit Bedacht und verzichtet weitgehend auf Klischees. Es gibt weder den Besser-Wessi noch den Jammer-Ossi; kein Trabbi rattert durchs Bild, niemand trägt ausgewaschene Jeans. Sie habe alles „immer wieder gegenchecken lassen“, erzählt die Regisseurin, die aus Niedersachsen stammt und die DDR aus Verwandtschaftsbesuchen kennt. Nahezu alle Schauspieler kennen das Land hingegen aus eigener Erfahrung, etwa Jörg Schüttauf, Gabriela Maria Schmeide und allen voran Corinna Harfouch, die Gudrun – ähnlich wie schon die Titelfigur in Jan-Ole Gersters „Lara“ (2019) – als eine Frau gibt, die es niemanden leicht macht und die man nicht unbedingt mögen muss.

Spürbar wird in „Das Mädchen mit den goldenen Händen“, dass die Euphorie der ersten Stunde 1999 bereits Geschichte ist. Einige Menschen sind ernüchtert oder unzufrieden, andere haben ihr Leben weitergelebt und sich eingerichtet in dem Land, das vor kurzem noch aus zwei Staaten bestand. Im Konflikt um das ehemalige Kinderheim werden nun Risse deutlich, Gräben tun sich auf. Freundinnen, die Gudrun eben noch für ihre Tatkraft bewunderten und sie hochleben ließen, sind verärgert. Man wirft ihr Egoismus vor; es gehe ihr allein darum, den Ort ihrer Kindheit zu schützen. Vielleicht ist es tatsächlich das, was Gudrun antreibt. Ein Festhalten an etwas persönlich Wertvollem, gerade jetzt, wo vieles, was einst wichtig war, immer weniger zählt, und Lebensleistungen für null und nichtig erklärt werden. Womöglich ahnt sie aber auch, dass mit dem Verkauf des ehemaligen Kinderheims die Menschen etwas verlieren werden, vielleicht sogar einen Teil der eigenen Identität. Sie will sich ihre Zukunft und die des Ortes nicht aus den Händen nehmen lassen. Doch ihre emotionale Härte versperrt ihr den Blick auf ihre Mitmenschen und deren Bedürfnisse.

Mutter, Tochter und ein Generationenkonflikt

Das bekommt vor allem auch ihre Tochter Lara zu spüren, die nach Berlin gezogen ist. Das zweite Filmkapitel gehört Lara. Sie weiß nicht, wer ihr leiblicher Vater ist, und macht sich, nachdem sie von ihrer Mutter wieder mal vor den Kopf gestoßen wurde, auf die Suche nach ihm. Sie vermutet, dass Gudruns Unnahbarkeit eng mit ihm verknüpft ist. Damit verlagert sich der Kern der Geschichte; fortan geht es um die Beziehung von Mutter und Tochter und um einen Generationenkonflikt. Gudrun, in der Nazi-Zeit geboren, hat die DDR gelebt und ist im Laufe ihres Lebens nun im dritten System angekommen. Lara kennt nur einen Umbruch. Die eine ist in der Provinz geblieben, die andere ist weggegangen. Nicht nur die Mutter wirft Lara vor, dass sie sich davongemacht habe. Es ist Gudruns Mann Werner, der von sich behauptet, er habe nur einmal in seinem Leben rebelliert, der im dritten Teil des Films schließlich eine Entscheidung trifft.

Gerahmt wird diese Geschichte von dem Märchen „Das Mädchen ohne Hände“ der Brüder Grimm, das Gudrun ihrer Tochter als Kind vorgelesen hat. Darin verkauft ein armer Müller versehentlich dem Teufel sein Liebstes, nämlich seine Tochter, und verstümmelt diese später, um sich selbst zu retten. Wie man den Bezug dieser Erzählung zum Film interpretiert, muss man sich als Zuschauer selbst überlegen; das Ergebnis hängt wohl auch davon ab, ob man den Film als Nachwendegeschichte oder eher als Psychogramm einer Frau liest.

Der Film kreist ein, aber er erklärt nicht; er gibt keine eindeutigen Antworten. Er liefert auch keine großen Kinobilder, dafür aber ein psychologisch dichtes Drama, und er erzählt von einer Verunsicherung, die womöglich bis ins Heute fortwirkt.

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