Dokumentarfilm | Deutschland 2019 | 88 Minuten

Regie: Gesa Hollerbach

Wer bestimmt das Leben auf dem Land? Wie begegnet man ländlicher Strukturschwäche und ihren Folgeerscheinungen wie Landflucht oder Leerstand? Der Dokumentarfilm porträtiert vier Menschen, die sich in ihren Dörfern, aber auch bei der EU in Brüssel oder bei der UNESCO für sozialverträgliche und ökologische Strukturen einsetzen. Eine unaufgeregte Studie, die beispielhafte Zusammenhänge aufzeigt und mit einer Prise Humor Menschen begleitet, die sich gegen bürokratische Hürden oder die Macht der Großkonzerne zur Wehr setzen. - Ab 14.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2019
Produktionsfirma
Corso Film- und Fernsehproduktion
Regie
Gesa Hollerbach
Buch
Gesa Hollerbach
Kamera
Jennifer Günther
Schnitt
Carina Mergens
Länge
88 Minuten
Kinostart
01.07.2021
Fsk
ab 0; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Dokumentarfilm
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IMDb | TMDB

Dokumentarische Studie über die Folgen des Strukturwandels auf dem Land und vier Menschen, die sich gegen die Bedrohung ländlicher Lebens- und Arbeitskultur stemmen.

Diskussion

Manchmal brauchen Gemeinschaften ein paar Einzelkämpfer, die den Mut und die Ausdauer besitzen, um Veränderungen anzustoßen und – bestenfalls –durchzusetzen. Das Leben auf dem Lande leidet an Einwohnerschwund, Landkonzentration und Strukturschwäche und erscheint wohl nur noch städtischen Urlaubern als Idylle mit viel Grün und frischer Luft. Dorfbewohner und Menschen, die von der Landwirtschaft leben, kämpfen dagegen an vielen Fronten, wie der Dokumentarfilm „Landretter“ von Gesa Hollerbach aufzeigt. Sie porträtiert vier Menschen, die sich im Kampf gegen bürokratische Vorschriften oder Großkonzerne für das Wohl ihrer Gemeinden einsetzen.

Mehrere Jahre lang hat sich die Regisseurin mit der Kamera in die kleine österreichische Gemeinde Großmugl, in ein Dorf im Allgäu sowie ins sächsische Seifhennersdorf begeben. Die parteilose Bürgermeisterin von Seifhennersdorf, Karin Berndt, wird von Außenstehenden gern als Querulantin diffamiert. Dabei hat sie nur eine Elterninitiative gedeckt; pensionierte Lehrer stemmten sich aktiv gegen die Schließung der örtlichen Mittelschule. Um klare Verhältnisse zu schaffen, verklagte die Gemeinde den Freistaat Sachsen; inzwischen liegt die Angelegenheit beim Bundesverfassungsgericht.

Auch das Kino wird abgerissen

Neben der Unterstützung, die Berndt von den Dörflern erhält, zeigt der Film in Kamerafahrten und Standbildern immer wieder leerstehende und verfallene Fabriken, Geschäfte und Häuser. Sie zeugen von der ehemaligen Bedeutung des Ortes: Seifhennersdorf war einst das größte Industriedorf der DDR. In den letzten 30 Jahren ist die Bevölkerung aber um die Hälfte geschrumpft, auf nunmehr 5000 Einwohner. Auch ein mittlerweile zugemauertes Kino wird abgerissen – eine umstrittene Aktion, die den sinkenden Stellenwert von Bildung und Kultur im ländlichen Raum symbolisiert.

Die Bio-Milchbäuerin Maria Heubuch, die für die Grünen im Europaparlament sitzt, pendelt zwischen ihrem Dorf und Brüssel hin und her. Sie hat miterlebt, wie Agrarkonzerne regionale Strukturen durch massiven Landkauf zerstören. Denn die industriellen Landwirtschaftsbetriebe verfügen über ausreichende Finanzkraft und denken in großen Maßstäben. Das Nachsehen haben kleinere Futterbetriebe und regionale Zulieferer – und damit soziale Strukturen, auf die – wie in der sächsischen Gemeinde – eine Spirale aus Überalterung, Verödung und Leerstand niedergeht. Heubuch streitet als Politikerin gegen den sogenannten Landraub, den die Agrarindustrie völlig legal über EU-Landesgrenzen hinweg betreibt – eine anspruchsvolle Aufgabe in dem von Lobby-Interessen umkämpften Brüssel.

Um historische oder juristische Sachverhalte zu erläutern, blendet „Landretter“ regelmäßig Inserts ein. Auf einen akustischen Kommentar verzichtet die Regisseurin; sie unterlegt einige Sequenzen allerdings mit dröhnenden Ambient-Klängen. Doch die Konzentration des Films gilt den Akteuren. Nummer Drei und Vier sind ein Astronom aus Wien und ein Gastwirt aus der kleinen niederösterreichischen Gemeinde Großmugl. Die liegt nur wenige dutzend Kilometer von der österreichischen Hauptstadt entfernt, deren Lichtdom nachts in der Ferne erstrahlt.

Am Firmament blitzen Sternschnuppen

Die umliegenden Berge bilden allerdings ein natürliches Bollwerk gegen die industrielle Lichtverschmutzung, weshalb man in Großmugl mit bloßem Auge tausende Sterne der Milchstraße bewundern kann. Regelmäßig verschlägt es deshalb nächtliche Sternbeobachter in das Örtchen. Die Städter lauschen den Erklärungen des Astronomen Günther Wuchterl, und ein andächtiges Raunen ertönt, wenn am Firmament Sternschnuppen aufblitzen. Dem Restaurantbetreiber Charly Schillinger sind die Besucher sehr willkommen, bringen sie doch ein wenig Leben in das abgelegene Dorf. Schillinger und Wuchterl setzen sich gemeinsam dafür ein, die Gemeinde zum UNESCO-Weltkulturerbe erklären zu lassen. Damit soll die einmalige Stellung des Ortes erhalten bleiben. Doch der Schutz des Sternenhimmels ist bei der UNESCO noch nie beantragt worden; Wuchterl & Schillinger betreten mit ihrem Gesuch also Neuland.

So wechselt der Film zwischen Orten, Geschichte(n) und Schicksalen. Er porträtiert sachlich und mit einer Prise Humor die ganz gewöhnlichen Protagonistinnen und Protagonisten und hält Fortschritte und Rückschläge fest. Das trägt zur wachsenden Identifikation mit den Figuren bei und führt in Sachverhalte ein, die von den Medien selten aufgegriffen werden. Was die Protagonisten dabei eint, ist ihr realistischer Idealismus: ein Glaube daran, dass ihre Welt und die Welt als solche mit legalen, aber auch sympathisch grenzanarchistischen Mitteln ein Stück weit besser werden kann.

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