Drama | Deutschland/USA 2020 | 100 Minuten

Regie: Franka Potente

Ein Häftling wird nach 17 Jahren entlassen und kehrt nach Hause zurück. Dort erwarten ihn seine schwer kranke, pflegebedürftige Mutter und eine fast ausschließlich feindselige Stadt, die seine Tat nicht vergessen hat. In einem mühseligen Prozess versucht der Mann, der selbst noch immer unter seinem Verbrechen leidet, wieder Anschluss an die Gesellschaft zu finden. Mit viel Gespür für Atmosphäre und das Unausgesprochene inszeniertes Drama, das sensibel die Frage der Vergebung in den Blick nimmt. Die langsame Reparation des Sozialen vollzieht sich dabei ebenso unaufdringlich wie berührend. - Sehenswert ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
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Produktionsland
Deutschland/USA
Produktionsjahr
2020
Produktionsfirma
Augenschein Filmprod./Lemming Film/Fireglory Pic.
Regie
Franka Potente
Buch
Franka Potente
Kamera
Frank Griebe
Musik
Volker Bertelmann · Raffael Seyfried
Schnitt
Antje Zynga
Darsteller
Jake McLaughlin (Marvin Hacks) · Kathy Bates (Bernadette) · Aisling Franciosi (Delta Flintow) · Derek Richardson (Wade) · James Jordan (Russell)
Länge
100 Minuten
Kinostart
29.07.2021
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Genre
Drama
Externe Links
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Heimkino

Verleih DVD
Weltkino/Leonine (16:9, 2.35:1, DD5.1 engl./dt.)
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Ein sensibles Drama um die Rückkehr eines Mannes in seinen Heimatort fast zwei Jahrzehnte nach einem Verbrechen und seine Suche nach Vergebung in der Gemeinde wie auch in sich selbst.

Diskussion

Auf einem Highway gleitet ein Skateboard-Fahrer (Jake McLaughlin) durch die karge Landschaft. Seine Erscheinung wirkt surreal, als wäre er plötzlich aus dem Nichts aufgetaucht. Der lässige Trainingsanzug verdeckt die vielen Tätowierungen, von denen sein Körper überzogen ist, eine davon auf den Fingerknöcheln erzählt von verlorener Zeit. Als der junge Mann schließlich die verschlafene Kleinstadt Newhall erreicht, spricht ihn niemand direkt an, obwohl doch alle genau wissen, wer er ist. Marvin ist nach 17 Jahren aus der Haft entlassen worden, ein Zeitraum, der ein schweres Verbrechen erahnen lässt. Obwohl er inzwischen um die vierzig Jahre alt ist, tuschelt die Gemeinde über die unwillkommene Rückkehr des „Hacks-Jungen“. In der Tat wirkt Marvin seltsam aus der Zeit gefallen. Die rötlichen Haare hat er im aggressiv wirkenden Undercut zu einem Pferdeschwanz zurückgebunden, doch sein Blick wirkt kindlich und strahlt eine große Verletzbarkeit aus.

Der Weg führt ihn nach Hause, in die heruntergekommene Bleibe seiner schwer kranken Mutter Bernadette (Kathy Bates), deren Freude über den Heimkehrer sich in Grenzen hält. Zumal Marvin im Affekt ihren schwarzen Pfleger (Lil Rel Howery) überwältigt, der sie gerade versorgt. Ein Missverständnis, das dieser ihm überraschenderweise nicht übelnimmt. Neben dem übermotivierten Gemeindepfarrer (Stephen Root) ist er der Einzige, der Marvin positiv gegenübertritt, obwohl er von seiner Tat weiß. Besonders rabiat reagiert die Familie Flintow auf den entlassenen Häftling, was nahelegt, dass eines ihrer Mitglieder sein Opfer war. Was sich vor 17 Jahren zugetragen hat, offenbart sich im Laufe des Films stets nur indirekt und wird nicht vollständig aufgelöst. Eine kluge dramaturgische Entscheidung, die bis zum Schluss das Vorstellungsvermögen der Zuschauer herausfordert und durch immer neue Wendungen überrascht.

Vergebung, wenn es sie gibt

Franka Potentes Langfilmdebüt ist ein im besten Sinne altmodischer Film, der das Unsagbare thematisiert, das in der ethischen Dimension des Sozialen immer berührt wird. Vergebung, und um nichts Geringes geht es, vollzieht sich nicht als sprachliches Ereignis. Und obwohl der Film mehr auf Dialoge als auf die Montagearbeit setzt, vermeidet er es, in eine theatrale Geständniskultur abzugleiten. Stattdessen entwickelt Potente mit ihren Darstellern eindringliche Szenen, die das Gestische in seiner Vielschichtigkeit betonen. In ihnen wird auch ohne Worte deutlich, wie schwer die Reparation des Sozialen sein kann, wenn es einmal durch ein Verbrechen zerstört ist. Wo beginnt Vergebung und wo endet sie? „Home“ zeigt diesen Prozess als etwas Namenloses, das sich ganz unmerklich zwischen den Menschen ereignet, wenn sie sich einander wieder öffnen. Vergebung kann nicht eingefordert werden und doch appelliert der Film in wunderbar subtiler Weise für sie.

In einer der schönsten Szenen des Films besucht Marvin einen Fitnesskurs, den die junge Mutter Delta (Aisling Franciosi) in der Turnhalle für ältere Menschen gibt. Dass sie mit seinem Opfer verwandt ist, wusste er lange nicht. Ihn überhaupt einzuladen, ist der erste Schritt zu einer Wende in der Gemeinde. Nach und nach wird Marvin in den Kreis der Turnenden aufgenommen, bis es zu einer Art Vertrauensritual kommt. Ein Moment, der ins Pathetische kippen könnte, wenn die Figuren nicht so eigensinnig und originell gezeichnet wären.

Voller schmerzlicher Erinnerungen

Auch Marvins bester Freund Wade (Franka Potentes Ehemann Derek Richardson) ist ein schräger Typ, der wie so viele andere in Newhall die Grenzen zur Prekarität deutlich überschritten hat. Der alternde Skate-Punker mit einem gravierenden Drogenproblem lebt in seinem Wohnwagen und lässt gemeinsam mit Marvin schmerzhafte Erinnerungen wieder aufleben. Nicht nur an den Moment der Tat, als er neben seinem Freund stand, ohne einzugreifen, sondern auch an ein anderes Ereignis, dessen Zeuge beide wurden: den Nachmittag, an dem Marvins Bruder sich unerwartet das Leben nahm. Dass es eine Verbindung zwischen beiden traumatischen Handlungen gibt, wird spürbar und zugleich in der Schwebe gelassen. „Home“ sensibilisiert für die vielfältigen Hintergründe, die zu schweren Verbrechen führen können, ohne sich in einfachen Erklärungen zu verirren.

Als Marvin und Wade gemeinsam zu dem Song „Stop the Clocks“ der Donots wie in alten Zeiten durch die Halfpipes jagen, kommt auch in einem weiteren Sinne Nostalgie im Film auf. Es ist Musik aus einer Zeit, als es noch keine Smartphones gab und Social Media und Reality-TV in den Kinderschuhen steckten. Immer wieder spielt Franka Potente in kleinen Details mit dieser sozialen Zeitenwende und macht darüber das Gewicht von 17 Jahren spürbar. Es ist diese bedachte Gestaltung von Atmosphären, die „Home“ auf so unaufdringliche Weise anrührend macht und den Schauspielern Raum gibt, ihre Geschichte zu entfalten.

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