Dokumentarfilm | Schweiz 2018 | 81 Minuten

Regie: Stéphanie Chuat

Ein sensibel fotografierter Dokumentarfilm über fünf Schweizerinnen im Alter zwischen 63 und 75, die ein Jahr lang durch ihren Alltag zwischen Aufbruch, Einsamkeit und der Erfahrung einer neuen Liebe begleitet werden. In den unprätentiösen Lebensphasengeschichten geht es um Trotz und Traurigkeit, aber auch um Charme und Coolness, Heiterkeit und Melancholie. Ein sympathisch unspektakuläres Werk, das ohne Voyeurismus und steile Thesen auskommt und sich stattdessen mit viel Empathie der Vielfalt weiblichen Erlebens widmet. - Ab 14.
Zur Filmkritik

Filmdaten

Originaltitel
LES DAMES
Produktionsland
Schweiz
Produktionsjahr
2018
Produktionsfirma
Climage
Regie
Stéphanie Chuat · Véronique Reymond
Buch
Stéphanie Chuat · Véronique Reymond
Kamera
Joseph Areddy
Musik
Nicolas Rabaeus
Schnitt
Karine Sudan
Länge
81 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 0
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Dokumentarfilm
Externe Links
TMDB

Dokumentarfilm über fünf Schweizerinnen im Alter zwischen 63 und 75, die ein Jahr lang durch ihren Alltag zwischen Aufbruch, Einsamkeit und der Erfahrung einer neuen Liebe begleitet werden.

Diskussion

Zu den Dingen, über die wohl kaum jemand gerne nachdenkt, gehört die Frage, wie es ist, eine Frau jenseits der Pensionsgrenze zu sein. Eine alleinstehende noch dazu. Wenn Passanten einen keines Blickes mehr würdigen. Wenn sich Einsamkeit breitmacht, obwohl man noch voller Ideen für ein gemeinsames Leben wäre. Weil Männer nun einmal früher sterben, ungesellig auf der Couch versauern oder sich lieber nach Jüngeren umsehen. Was bleibt dann noch außer Chorgesang und Sockenstricken? Oder sind das alles nur Klischees?

Wünsche, Ängste und Freuden

Die Schweizer Filmemacherinnen Stéphanie Chuat und Véronique Reymond wollten es einmal genauer wissen. Sie riefen ältere Schweizerinnen dazu auf, sich zu melden, um von ihren Wünschen, Ängsten und Freuden zu berichten. Fünf von ihnen wählten sie als Protagonistinnen ihres Dokumentarfilms „Immer noch Frau“ aus. Der Originaltitel „Les dames“ klingt dabei um einiges lässiger als der weinerlich-trotzige deutsche Filmtitel, mit dem man offenbar betonen zu müssen meint, dass Frauen sogar dann noch dem weiblichen Geschlecht angehören, wenn sie keine 30 mehr sind.

Den Titel darf man also getrost als Hinweis auf den Geist einer Zeit lesen, die über ältere Frauen als Sonderproblem denkt und spricht. Trotz und Traurigkeit spielen deshalb eine besondere Rolle in diesen sensibel und unprätentiös erzählten Lebensphasengeschichten. Aber Charme, Coolness und Fragilität finden hier mindestens ebenso viel Raum. Das Plakatmotiv zeigt eine der Protagonistinnen im Bikini und mit Sonnenhut nixengleich auf einem Felsen ruhend, als hätte sie noch immer alle Zeit der Welt.

So verschieden wie die Frauen es sind

Die Frauen, die der Film ein Jahr lang begleitet, sind keineswegs allesamt Witwen, aber sie leben, oft nach vielen Ehejahren, erstmals wieder ohne Partner. Sie haben vielseitige Wünsche und Interessen, mit denen sie ihre Ängste vor der Isolation und der ablaufenden Zeit zu bändigen versuchen. Das können auch Maßnahmen der äußeren Verschönerung sein wie der Klamottenkauf: „Tötet das Beige!“, ruft die für Hosenrollen zuständige Laienschauspielerin Marion, als ihr in der Boutique typische Rentnertöne ans Herz gelegt werden.

Jede Erzählung entfaltet ihre eigene Würde, Heiterkeit und Melancholie. Pierette hat einst am Konservatorium Violine studiert; jetzt sieht man sie bei Proben mit einem Kammerorchester und wie sie Nachbarskindern Blockflötenunterricht erteilt. Eine andere schafft es zunächst nicht, nach dem Tod ihres Mannes dessen Arbeitszimmer leerzuräumen, weil sie sein „Chaos“ so liebt, „mit dem Staub aus seiner Zeit“. Die Sehnsüchte nach Gefährtenschaft, aber auch nach dem Vernehmen der eigenen Stimme ähneln einander; die Wege, ihnen nachzugehen, sind so verschieden wie die Frauen selbst.

Noëlle, die Plakat-Nixe und frühere Journalistin, erzählt, dass ihr weniger der Sex als die Zärtlichkeit fehle, und dass sie diese eine Zeit lang bei einer Frau gefunden habe. Die Naturfotografin Odile wiederum findet in einer Gruppe von Jägern „Männerfreundschaften“ und „Brüder“, wie sie sagt, und lernt schießen. Auch Dating-Apps werden ausprobiert. Doch immer gilt: „Lieber allein als in schlechter Gesellschaft“.

Es wird keine These präsentiert

Höflich und zart findet die Kamera von Joseph Areddy stets den richtigen Abstand, kommt den Frauen im Laufe des Jahres aber vertrauensvoll immer näher. Die zu Beginn noch etwas zerfahrene, dann aber ruhig und konzentriert fließende Montage von Karine Sudan entdeckt im aufblitzenden Wechsel von Gemeinsamkeiten und Gegensätzen einen feinen Rhythmus, der den Charakterstudien Genauigkeit verleiht und dennoch interpretatorische Offenheit ermöglicht. Es spricht für diesen Film, dass er seine Porträts zu keiner alles erklärenden These zusammenzwirbelt. Und schon gar nicht die abgedroschene Formel von der „starken Frau“ hervorholt, die ja immer latent die Leisen und Zaghaften abkanzelt. „Immer noch Frau“ wirft stattdessen einen unaufgeregten, liebevollen Blick auf die nicht immer steuerbaren, aber hartnäckig und freundlich sich ins Leben schleichenden Möglichkeiten auch in späteren Jahren.

Kommentar verfassen

Kommentieren