Nine Perfect Strangers

Drama | USA 2021 | 373 (acht Folgen) Minuten

Regie: Jonathan Levine

Neun gestresste Großstädter suchen in einem Resort namens "Tranquilium House" unter der Obhut der Resort-Leiterin nach Erholung und einem Weg zu einer gesünderen Lebensweise. Die Patienten, die alle mit unterschiedlichen Problemen im Gepäck angereist kommen und in dem Anwesen alsbald völlig von der Außenwelt abgeschnitten sind, ahnen nicht, worauf sie sich damit eingelassen haben. Die Drama-Serie entfaltet sich als Bravourstück an Situationskomik und spannender Charakterzeichnung. Dabei geht es um vordergründig gutsituierte Figuren, die alle auf ihre je eigene Art unglücklich sind unter dem Diktat, immer guter Laune zu sein. Ein exzellentes Ensemble und spannende motivische Widerhaken sorgen für hintersinnige Unterhaltung rund um die Neurosen einer Gesellschaft im Selbstoptimierungswahn. - Sehenswert ab 16.
Zur Filmkritik

Filmdaten

Originaltitel
NINE PERFECT STRANGERS
Produktionsland
USA
Produktionsjahr
2021
Produktionsfirma
Made Up Stories/Blossom Films/Endeavor Content
Regie
Jonathan Levine
Buch
David E. Kelley · John-Henry Butterworth
Kamera
Yves Bélanger
Schnitt
Ben Lester · David Berman
Darsteller
Nicole Kidman (Masha) · Tiffany Boone (Delilah) · Bobby Cannavale (Tony) · Luke Evans (Lars) · Melvin Gregg (Ben)
Länge
373 (acht Folgen) Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12 (Ep.1-3,5-8) & ab 16 (Ep. 4)
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Genre
Drama | Literaturverfilmung | Serie

Achtteilige Drama-Serie, angesiedelt in einem Wellness-Resort: Neun gestresste Großstädter suchen unter der Obhut der Resort-Leiterin nach Erholung und einem Weg zu einer gesünderen Lebensweise, ahnen aber nicht, worauf sie sich damit eingelassen haben.

Diskussion

Das neue Projekt von Producer und Showrunner David Edward Kelley und dem Regisseur Jonathan Levine (wie schon „Big Little Lies“ erneut nach einem Roman von Liane Moriarty), zeigt früh alle Zeichen eines großen konzeptionellen Wurfs. Die Qualitäten von Drehbuch, geschicktem Casting der eigenwilligen Charaktere sowie der Sinn für außergewöhnliche Situationen, in die jene im Lauf einer immer auch rätselhaften Handlung gestellt werden, sprechen jedenfalls sehr dafür. Schon die furios und mit viel Sinn für das Licht und die Landschaft Kaliforniens gedrehte Exposition, in der die Hauptfiguren erstmals skizziert werden, ist ein kleines Meisterstück an Situationskomik und Charakterzeichnung. Sie legt das Fundament für alle weiteren sich entspinnenden Interaktionen und Konflikte der neun sich einander fremden Gäste in dem von Masha (Nicole Kidman) geführten Wellness-Resort Tranquillum House. Dieser Luxusranch mit allen Annehmlichkeiten im Grünen geht der Ruf voraus, Menschen in ein anderes, ihr besseres Selbst transformieren zu können. Und das wollen, ob sie es zu Beginn glauben oder nicht, letztlich alle von ihnen. Dieser Prozess hat natürlich seinen Preis – und der bemisst sich nicht nur in den mehreren Tausend Dollar, die für den zehntägigen Aufenthalt in Tranquillum House fällig werden.

Therapiebedürftig: Melissa McCarthy, Michael Shannon & Co.

Da ist zum Beispiel die erfolgsverwöhnte Schriftstellerin Frances Welty (Melissa McCarthy), die, anfangs sehr selbstbewusst und voller Standesdünkel, schnell offenbart, dass sie mit einsetzender Menopause und beginnendem Misserfolg gleichzeitig zu kämpfen hat – und sich mit dem verkrachten Ex-Football-Star Tony Hogburn (Bobby Cannavale) ein höchst amüsantes Hund-und-Katz-Spiel liefert, das man fast eine Hassliebe nennen könnte. Oder die junge, ultraschlanke Influencerin Jessica Chandler (Samara Weaving), zutiefst verunsichert über ihr Selbstbild und ihren Body-Mass-Index; sie will die Flaute in ihrer Beziehung zu dem Lottomillionär Ben (Melvin Gregg) kurieren.

Am originellsten aber sind die Marconis, in Trauer um ihren Sohn, der vor Jahr und Tag Suizid beging. Im Gruppenbild dieser uramerikanischen Kernfamilie („we are runners“) zeigt die Serie alle Stadien der Bewältigung des Unvermeidlichen, aber auch, sich misszuverstehen und aneinander vorbeizureden. Während Tochter Zoe (Grace Van Patten) ihre Situation noch am realistischsten einschätzt und sich anderen öffnen kann, lässt sich Mutter Heather (Asher Keddie) kaum in die Karten schauen und macht die Dinge lieber mit sich selbst aus. Vater Napoleon Marconi (Michael Shannon), ein überlasteter Highschool-Lehrer mit zu großem Namen, versucht, sich in allgemeine Umtriebigkeit und lärmende Aufgeräumtheit zu retten, was natürlich nicht glücken kann. Michael Shannon gestaltet das zum großartigen Porträt des modernen „Pater familias“ in der Krise, fundamental verstört über seine Rolle als Ehemann und Vater, Ernährer und Versorger. Man spürt in seinem Spiel die Geburt einer neuen Ausprägung dieses Archetyps.

Nicole Kidman als statuengleiche „Muttergöttin“ des Wellness-Tempels

Singles, Paare, Familien – alle auf ihre je eigene Art unglücklich unter dem selbst gesetzten Diktat, immer guter Laune zu sein. Sie sind der kuriosen Kur allesamt sehr bedürftig, die Masha in einer Mischung aus Wellness für Körper und Seele, New-Age-Esoterik und konventioneller Gesprächstherapie im Angebot hat. Sie, das helle Zentrum mutmaßlich wesentlich dunklerer Machenschaften (deren Vorgeschichte in kurzen Erinnerungs-Flashbacks angedeutet wird), schwebt zu Beginn statuengleich herein, spricht in pythischen Sentenzen und gibt ersichtlich eine Mutter-Erde-Gottheit von der schlanken Gestalt.

Als erste Regel ihres Regimes verhängen sie und ihre modelmäßige Crew (Tiffany Boone; Manny Jacinto; Zoe Terakes) eine strikte Smartphone-Diät („be off the grid“ – „einfach mal nicht erreichbar sein“) und schneiden so die „Patienten“ völlig von der Außenwelt ab, während sie selbst durch ein ausgeklügeltes System von Kameras und Lautsprechern nahezu totale Kontrolle über jene erlangen.

Es gelingt der Serie, diesem an sich simplen Set-up tiefere Bedeutung abzugewinnen, indem sie eine Gesellschaft vorführt, deren Verhältnis zu Ruhm und Privatheit, zu Innen und Außen, Entblößung und Verhüllung durch die sogenannten sozialen Medien fundamental gestört ist. „Nine Perfect Strangers“ beginnt thematisch wie filmisch stark, managt die anspruchsvolle Riege hochindividueller Schauspieler und ihrer Charaktere souverän und legt von Anfang an einige originelle motivische Widerhaken aus, die einen den weiteren Verlauf stets mit Spannung erwarten lassen.

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