Drama | China/Japan/Frankreich 2018 | 116 Minuten

Regie: Kei Chikaura

Ein illegaler chinesischer Einwanderer in Japan tritt unter falscher Identität einen Job als Gehilfe in einem traditionellen Soba-Restaurant an; dort lebt er sich bald ein und wird von seinem Chef unter die Fittiche genommen, der ihn rasch als Ersatzsohn betrachtet. Zudem verliebt sich der Immigrant in eine junge Künstlerin. Dem privaten Glück und beruflichen Erfolg steht jedoch die Lüge im Weg, die ihm die Tür zu seiner neuen Existenz geöffnet hat. Eine subtile Charakterstudie, die vor dem Hintergrund der illegalen Immigration zeigt, wie Freundschaft und Vertrauen bei der Überwindung von Vorurteilen helfen und die Völkerverständigung fördern können. - Ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
COMPLICITY
Produktionsland
China/Japan/Frankreich
Produktionsjahr
2018
Produktionsfirma
Creatps/Myth Pictures
Regie
Kei Chikaura
Buch
Kei Chikaura
Kamera
Yutaka Yamazaki
Schnitt
Kei Chikaura
Darsteller
Lu Yulai (Chen Liang) · Tatsuya Fuji (Hiroshi Inoue) · Sayo Akasaka (Hazuki Nakanishi) · Kio Matsumoto (Kaori Inoue) · Fusako Urabe (Schwiegertochter)
Länge
116 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Drama

Ein illegaler chinesischer Einwanderer in Japan kommt mittels einer falschen Identität an eine Stelle in einem traditionellen Soba-Restaurant. Dort zeigt er sich talentiert und findet neue Freunde, doch seine Lüge droht das Glück zu gefährden.

Diskussion

Der junge Chinese Chen Liang schlägt sich als illegaler Migrant mehr schlecht als recht in Japan durch. Er hofft, dort genug Geld zu verdienen, um seine kranke Mutter und seine nörglerische Großmutter versorgen und später die Autowerkstatt seines Vaters wieder eröffnen zu können. Mit einem Komplizen stiehlt Chen ein Elektrogerät und verhökert es an einen Hehler. Von ihm erhält er einen gefälschten Ausweis; mit dessen Hilfe hofft er endlich eine reguläre Arbeit zu bekommen. Dann kommt ihm der Zufall zu Hilfe: Er gerät an ein Stellenangebot, das für eine andere Person bestimmt war, und nimmt es an. Fortan arbeitet er unter falscher Identität als Gehilfe in einem traditionellen Soba-Restaurant in einer Provinzgemeinde. Dort nimmt ihn der erfahrene Restaurantbesitzer Hiroshi Inoue, der sich auf die Zubereitung von Nudeln aus Buchweizen (Soba) spezialisiert hat, unter seine Fittiche.

Trotz erheblicher sprachlicher Hürden lernt Chen, beziehungsweise Liu, wie er nun heißt, schnell die nötigen Handgriffe und serviert auch Gerichte im Lokal. Dabei hilft ihm Kaori, die warmherzige Tochter Hiroshis. Beim Ausliefern der Soba-Leckereien lernt Chen/Liu die attraktive Malerin Hazuki Nakanishi kennen, die Mandarin lernt, weil sie nach Peking gehen will. Schon bald unternehmen die beiden gemeinsame Ausflüge. Und Hiroshi erkennt das Talent des jungen Mannes und betrachtet ihn zunehmend als eine Art Ersatzsohn. Mit Zustimmung seiner Tochter will der Soba-Meister Chen/Liu zu seiner rechten Hand machen und ihm später die Leitung des Restaurants anvertrauen. Doch der Chinese zögert, weil er ständig befürchten muss, dass seine Tarnung auffliegt. Tatsächlich steht eines Tages die Polizei vor der Tür…

Ein Drama vor dem Hintergrund von Japans Immigrationspolitik

Der japanische Regisseur Kei Chikaura greift in seinem Langfilmdebüt ein schwieriges Thema auf. Der wohlhabende fernöstliche Industriestaat betreibt seit langem eine recht restriktive Ausländerpolitik. Nur etwa 2,7 Millionen Menschen in Japan haben einen ausländischen Pass, das entspricht rund zwei Prozent der Bevölkerung. In Deutschland liegt der Ausländeranteil bei etwa zwölf Prozent. Weil die Bevölkerung schon seit 2008 schrumpft und daher in vielen Branchen Arbeitskräfte fehlen, lässt Japan neuerdings deutlich mehr Arbeitsmigranten ins Land. Dazu kommen viele illegale Immigranten – deren Zahl wird auf etwa 300.000 geschätzt. Viele von ihnen sind einfach nach dem Auslaufen ihrer Visa geblieben. Eine Chance auf ein Visum hatte der Protagonist des Filmes erst gar nicht, daher verschafft er sich eine neue Identität, um arbeiten zu können.

Doch Chikaura hat kein geradliniges Politdrama über die Lage von Migranten im Sinn. Ihm geht es vielmehr um die menschlichen Beziehungen zwischen Fremden und Einheimischen. Im Kern der gemächlichen Inszenierung steht eine ungewöhnliche Männerfreundschaft. Dabei wandelt sich die anfängliche Beziehung zwischen Meister und Lehrling allmählich zu familiärer Nähe, wobei Chen/Liu gleichsam die Lücke füllt, die Hiroshis Sohn hinterlassen hat, der fernab in Tokio lebt und den Vater drängt, das Lokal endlich zu schließen. Für Chen/Liu seinerseits wird der Soba-Meister eine Vaterfigur; der in sich ruhende Japaner gibt dem labilen Jüngling Stabilität – eine Stabilität, die ihm zuhause in der chinesischen Provinz Henan fehlt, wie die gelegentlich eingestreuten Rückblenden oder Telefonate mit den Verwandten offenbaren.  

Ein Lügengespinst droht die Annäherung zu sabotieren

Getragen wird das Freundschaftsdrama, das leider auch einige Längen aufweist, vor allem von den Hauptdarstellern: Während Lu Yulai vor allem die innere Zerrissenheit von Chen/Liu eindringlich verkörpert, entwickelt Tatsuya Fuji eine noch stärkere Leinwandpräsenz in seiner packenden Darstellung des Soba-Meisters. Kameramann Yutaka Yamazaki, der häufig für den Meisterregisseur Hirokazu Kore-eda filmt und in „Complicity“ großteils mit ruhiger Handkamera arbeitet, nimmt die beiden oft in langen Zweier-Einstellungen auf.

Der Identitätsschwindel des Protagonisten führt zwangsläufig zu einem komplizierten Lügengespinst, das die Beziehungen überlagert und belastet. So belügt Chen/Liu nicht nur Hiroshi und seine Tochter, sondern auch die Künstlerin Hazuki, die wiederum seine Demaskierung einleitet. Von gutgemeinten Lügen ist auch sein Verhältnis zur Familie in China geprägt: Seiner Mutter erzählt er, dass er als technischer Praktikant elektronische Steuergeräte baut, während seine besorgte Mutter fälschlicherweise behauptet, zu Hause sei alles in Ordnung.

In den privaten Beziehungen spiegelt sich auch das japanisch-chinesische Verhältnis

Chikaura bettet das Migranten- und Familiendrama in eine breitere Erzählung ein, die facettenreich das gespannte Verhältnis zwischen Japan und China beleuchtet. Etwa als Chen/Liu mit den chinesischen Versen in ein japanisches Liebeslied von Teresa Teng einstimmt, das Hazuki auf Japanisch vorträgt und das asienweit sehr beliebt ist. Während Hazuki nach Peking zieht und damit eine gegenläufige Bewegung zum „Helden“ vollzieht, der als Chen noch nie in der Hauptstadt war, aber als Liu von dort kommt, hat Hiroshi eine enge Beziehung zu Peking: Er wurde dort am Ende des letzten Krieges geboren. Als Remigrant erinnert damit auch Hiroshi an die von Krieg, Gewalt und Misstrauen geprägte Geschichte beider Länder. Indem Meister und Schüler gleichsam zu Komplizen werden und sich Vertrauen schenken, entwickelt sich der Film zu einem unaufgeregten Plädoyer für kulturelle Toleranz und Völkerverständigung.

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