In Treatment - In Behandlung

Drama | USA 2008-2010/2021 | Minuten

Regie: Paris Barclay

US-Remake einer israelischen Serie um einen Psychotherapeuten: Tag für Tag empfängt der Seelenarzt Menschen unterschiedlichsten Alters in seiner gediegenen Praxis in Baltimore, um ihnen mittels Gesprächstherapie bei der Überwindung ihrer psychischen Probleme zu helfen. Dabei wird er mit verschiedenen sozialen Sphären und beruflichen wie familiären Krisengebieten konfrontiert und immer wieder auch an seine persönlichen Grenzen gebracht; die Trennung zwischen Professionellem und Privatem fällt ihm nicht immer leicht. Einmal wöchentlich sucht er selbst eine Psychotherapeutin und Supervisorin auf. Dank cleverer Drehbücher und exzellenter Darsteller, die aus der kammerspielartigen Konstallation hochspannende verbale Duelle machen, gelingt fesselnd-vielschichtige Unterhaltung, die ein schillerndes US-amerikanisches Mentalitäts-Panorama eröffnet. Nach drei Staffeln (2008-2010) wurde die Serie vorläufig eingestellt und erfährt 2021 ein Revival mit einer neuen Hauptfigur; eine afroamerikanische Therapeutin steht nun im Zentrum. Mit den neuen Folgen und der neuen protagonistin greift die Serie zunehmend aktuelle US-Reizthemen rund um ethnische Identität und "White Privilege" auf. - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
IN TREATMENT
Produktionsland
USA
Produktionsjahr
2008-2010/2021
Produktionsfirma
Sheleg/Closest to the Hole Productions/Leverage Management/HBO
Regie
Paris Barclay · Rodrigo García · Jim McKay · Melanie Mayron · Ryan Fleck
Buch
Rodrigo García
Kamera
Mauricio Rubinstein · Derick V. Underschultz · Patrick Cady · Fred Murphy · Xavier Grobet
Musik
Richard Marvin · Marty Beller
Darsteller
Gabriel Byrne (Dr. Paul Weston) · Uzo Aduba (Dr. Brooke Taylor) · Dianne Wiest (Dr. Gina Toll) · Michelle Forbes (Kate Weston) · Alex Wolff (Max Weston (als Teen))
Länge
Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Genre
Drama | Serie

Die Therapieserie „In Treatment“ zeigt sich in ihrer vierten Staffel mehr als Reboot denn als Fortsetzung des langjährigen Formats. Die neuen Episoden knüpfen an alte Traditionen an, gehen aber auch gänzlich neue Wege. Gelegenheit, um einen Blick auf den Werdegang der Serie zu werfen.

Diskussion

Die Stimmung von der Patienten von Dr. Brooke Taylor (Uzo Aduba) verbessert sich für gewöhnlich bereits beim Betreten ihrer Therapieräume. In ihnen scheint die Welt leichter zu sein als andernorts: Lichtdurchflutet und von weichen, doch klaren Formen bestimmt, umarmt das Interieur der Psychotherapeuten-Praxis seine Besucher. Hoch oben in den Hügeln von Baldwin Hills – eine der wenigen reichen Gegenden mit überwiegend afroamerikanischem Bevölkerungsanteil in den USA – offenbart sich an der Panoramafensterfront von Dr. Taylors Architekten-Haus im Mid-Century Modern-Stil eine Aussicht über die Skyline von Downtown Los Angeles.

Das Setting der vierten Staffel von „In Treatment“, unterscheidet sich radikal vom Ambiente und Look seiner Vorgängerepisoden. In den Staffeln 1 bis 3 hatte Dr. Paul Weston (Gabriel Byrne) noch den Platz auf dem Therapeutensessel inne. Sein zunächst in Baltimore, später in den New Yorker Stadtteil Brooklyn verlegtes Büro machte im Gegensatz zum perfekt stilisierten Home Office von Dr. Taylor einen etwas ungelüfteten Eindruck, voller dunkler Winkel, zugestellt, überladen und eingerahmt von Bücherregalen wie persönlichen Gegenständen. Beim charmant-graumelierten Dr. Weston, der offenkundig aber auch seine abgründigen Seiten hatte, schienen die Geheimnisse seiner Patientinnen und Patienten sicher. Vor Dr. Taylor und ihrem perfektionistischen Spürsinn scheint kein Mysterium davor gefeit, ans Tageslicht der kalifornischen Sonne gezerrt zu werden. Dabei hat auch Brooke Taylor ihre Geheimnisse, die sie vor sich wie vor ihren Patienten hinter einer scheinbar makellosen Fassade zu verbergen weiß.

Das Analysezimmer als existenzielle Bühne

Die vierte Staffel „In Treatment“ samt neuer Therapeutin knüpft dreizehn Jahre nach der amerikanischen Erstausstrahlung der Debütfolge an ein Phänomen an, das seinen Anfang in der noch frühen Phase jener „goldenen TV-Ära“ nahm, von der heute noch oft die Rede ist, wenn von den Vorzügen des modernen seriellen Erzählens die Rede ist. Einer Zeit, die in ihren Anfängen noch nicht geprägt war vom heute allgegenwärtigen Streaming der Internetdienste, jedoch von ihren Vorgängern, Abonnementpflichtigen Cable Networks wie HBO und ihren neuen Ausstrahlungsformen und -formaten. Zu den 2000er-Jahre-Erfolgen des Senders hatten unter anderem Serien wie die „Sopranos“, „Six Feet Under“ oder „The Wire“ gehört.

Stets auf der Suche nach innovativen neuen Stoffen wurden die Executives und Produzenten von HBO früh auf die israelische Erfolgsserie „BeTipul“ (2005) aufmerksam, in der es um nichts anders ging als das dramatisierte Gespräch zwischen einem Therapeuten und seinen Patienten. Keine großartige Action, keine Ausschmückungen, nur die rigorose Offenlegung der Therapiesituation. Das Analysezimmer als existenzielle Bühne. Ein Kammerstück, dessen handelndes Personal sich auf Analytiker und Analysand beschränkte. Das Novum daran: Psychische Erkrankung nicht als spektakulär gefährlichen Wahn darzustellen, wie es so oft in der Film- und Fernsehgeschichte geschehen war, sondern als allgegenwärtiges Gesellschaftsphänomen mit jeder Menge Identifikationspotential für das Publikum. Liebesqualen, kleinere und größere Neurosen, Angstzustände und fixe Ideen aller Art wurden zu den Handlungsmotoren der präzisen und fesselnden Drehbücher des Produzenten und Showrunners Hagai Levi.

Ein Erzählessenzialismus, der hochgradig abhängig war von den überzeugenden Performances seines handelnden Personals. Im israelischen Original der Serie war es die nationale Filmlegende Assi Dayan, der in die Rolle des Psychotherapeuten Reuven Dagan schlüpfte. Fünf Mal die Woche präsentierte sich Dayan den israelischen Zuschauern als Therapeut der Nation, denn meist spielte die Serie auch auf subtile Weise vor der Folie prägender gesellschaftlicher Ereignisse. Das Enfant Terrible Dayan spielte den einerseits einfühlsam-kompetenten, aber zum Teil auch merklich Grenzen missachtenden Psychologen eindringlich. Mit einer seiner Patientinnen, gespielt von Ayelet Zurer („München“, „Illuminati“, „Man of Steel“) beginnt er ein auf therapeutischer Übertragung basierendes Verhältnis, eine eklatante Missachtung des analytischen Ethos. Hier wie auch in der amerikanischen Adaption des Stoffes zeigt sich die Instanz des Therapeuten nicht länger unangreifbar, sondern als Exempel nur allzu menschlicher Fehlbarkeit, der immer wieder seine eigene (Behandlungs-)Bedürftigkeit unter Beweis stellt. Das „BeTipul“/„In Treatment“-Prinzip sieht daher auch vor, dass ein Behandlungstag/eine Folge der Supervision des Psychologen selbst gewidmet ist.

Europäische Adaptionen

In den Reigen neuer Antihelden des US-TVs, zu denen psychisch lädierte Mafiabosse, fehlgeleitete Cops und hochkultivierte Drogenunternehmer zählten, reihte sich der Charakter des unzuverlässigen Nervenarztes geradezu idealtypisch ein, auch wenn es hier nicht gar so schlimm eskaliert. Mit der ersten Staffel „In Treatment“ übernahm HBO auch das Ausstrahlungsprinzip des israelischen Originals: je eine 30-minütige Folge täglich, fünf Tage die Woche. Eine damals für das Publikum noch höchst ungewöhnliche Darreichungsform, die der Sender im Laufe der Zeit auch immer wieder anpasste. Drei Staffeln lang war die US-Adaption rund um Dr. Paul Weston und seine Patienten zu sehen. Aufgrund mangelnder Einschaltquoten beschloss der Sender jedoch, die Serie im Jahr 2010 einzustellen. Eine nicht zu vernachlässigende Fangemeinde der Show ließ das enttäuscht zurück. Eine Fortsetzung zu einem späteren Zeitpunkt ließ sich HBO zu diesem Zeitpunkt offen.

Tatsächlich war die amerikanische Adaption von „BeTipul“ nicht die einzige Bearbeitung des Formats. Ableger der Serie gab es in verschiedenen europäischen Ländern, unter anderem in Polen, Tschechien, Rumänien, Slowakei und Ungarn. Sie alle basierten – wie auch die US-Version – auf den Originaldrehbüchern von Hagai Levi, der bei allen Umsetzungen auch als ausführender Produzent wirkte. Den größten Publikumserfolg erzielte jüngst die französische Verfilmung „En thérapie – In Behandlung“ (2021), die im April auch den Sprung ins deutsche Fernsehen schaffte, wo auf Arte die Erstausstrahlung stattfand. Ebenso auf den Originalskripts basierend, behandelt hier Frédéric Pierrot („Das Leben und nichts anderes“, „Land of Freedom“, „Jung & Schön“) als Dr. Dayan Patienten in seiner Pariser Altbauwohnung, wo sich alles ein wenig dramatischer und zugespitzter abspielt als im Original. Ein handlungsbestimmendes Element sind hier die Terroranschläge auf das Konzerthaus Bataclan; dessen traumatische Auswirkungen zeigen bei fast allen Analysanden direkte und indirekte Auswirkungen auf ihr Leben.

Staffel 4 von „In Treatment“ spielt in Zeiten der Covid-19-Pandemie

Ein anders geartetes, jedoch nicht minder traumatisierendes Hintergrundgeschehen zeigt nun auch in der neuesten US-Staffel „In Treatment“ seine Auswirkungen. Die Episoden spielen allesamt in Zeiten der Covid-19-Pandemie. Das eingangs erwähnte schmucke Designerheim der nun diensthabenden afroamerikanischen Therapeutin Brooke Taylor ist daher lediglich eine Interimslösung; sie fürchtet noch die Rückkehr in ihr Büro in einer Gemeinschaftspraxis. Ihre Patientinnen und Patienten empfängt die Doktorin teilweise per Video Call, so wie etwa den jungen homosexuellen Pfleger Eladio (Anthony Ramos), dessen Alltag bei einer gutbetuchten Familie sich als einziger unterprivilegierter Daseinskampf herausstellt. Ramos‘ Performance zeigt sich als eindringlichste der vierten Staffel, die sich als stark geprägt von den momentanen gesellschaftlichen Konflikten der USA zeigt.

Fragen nach Identität, Hautfarbe und dem eigenen Platz in der Gesellschaft stehen nun prominent im Fokus der Auseinandersetzungen von Dr. Taylor mit ihren Patienten. Mit diesen geänderten Voraussetzungen kämpft der narzisstisch veranlagte Tech-Unternehmer Colin (John Benjamin Hickey), den ein Börsenbetrug in den Knast gebracht hat. In einer Welt veränderter Vorzeichen und neu verteilter gesellschaftlichen Rollen findet der zu ungezügelten Wutausbrüchen und Selbstmitleid Neigende sich nicht länger zurecht. Die Orientierung scheint auch die frisch gebackene Collegestudentin Laila ein wenig verloren zu haben. Zwischen den Anordnungen und Verboten der resoluten und bisweilen ungerechten Großmutter und dem allgegenwärtigen Rassismus, mit dem die junge Hochbegabte immer wieder konfrontiert wird, entwickelt sie diffuse Fluchtgedanken. Dr. Brooke Taylor nimmt sich ihrer Patienten mit einem zu Perfektionismus neigenden Pflichtbewusstsein an, obwohl vieles in ihrem eigenen Privatleben drunter und drüber zu gehen scheint.

Emanzipation von der Original-Serie

Brooke kämpft mit ihren beiden großen Dämonen, ihrer Einsamkeit und dem Alkoholismus. Anders als die Serientherapeuten vor ihr, begibt sie sich nicht in Supervision bei einem Kollegen vom Fach, sondern sucht Rat und Trost bei ihrer Sponsorin Rita (Liza Colón-Zayas), die sie bei den Anonymen Alkoholikern kennengelernt hat. Ritas Nemesis ist der umwerfend gutaussehende und zu alkoholischen und sonstigen Exzessen neigende On-and-Off-Boyfriend ihrer Freundin Brooke, Adam (Joel Kinnaman). Als er sich nach dem Tod ihres Vaters, der auch der Architekt des Traumhauses ist, das sich zusehends als goldener Käfig herausstellt, erneut in Brookes Leben einmischt, läuten bei ihr sämtliche Alarmglocken.

Der Plot der vierten Staffel „In Treatment“ hat sich dabei von den Drehbüchern der Originalversion vollständig emanzipiert, die neuen Folgen zeigen sich mehr als Reboot denn als klassische Fortsetzung ihrer Vorgänger. Dadurch wirken sie spezifisch amerikanischer, in ihrer Hinwendung zu aktuellen US-Reizthemen Themen wie Identity, Race und White Privilege auch dezidiert politischer als ihre deutlicher zu Introspektion neigenden Vorläufer. Das verleiht der Show Brisanz, führt allerdings in manchen Momenten auch dazu, dass Charaktere mehr als gesellschaftliche Stellvertreter denn als lebendige Figuren erscheinen. Ganz bei sich ist die Show dagegen in Augenblicken, in denen die Last der Welt und ihrer festgeschriebenen Rollen von den Handelnden abzufallen scheint und es nur um den persönlichen Kontakt zweier Menschen geht, die sich bei ihrer Wahrheitssuche einander offenbaren. Eine Seite naturgemäß mehr als die andere, aber das ist ja auch das Grundprinzip einer jeden Therapie.

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