Para - Wir sind King

Coming-of-Age-Film | Deutschland 2021 | 277 Minuten

Regie: Özgür Yildirim

Vier toughe Freundinnen aus einkommensschwachen Familien in Berlin-Wedding träumen vom Ausbruch aus ihren prekären Lebensverhältnissen und einem selbstbestimmten Leben und Lieben. Als ihnen durch Zufall eine große Menge Drogen in den Schoß fällt, versuchen sie ihr Glück im Kokainhandel, was turbulente Folgen nach sich zieht. Getragen von einer originellen Besetzung, authentischer Milieu-Atmosphäre, einer fiebrig-temporeichen Inszenierung sowie einem energetischen Soundtrack entfaltet sich die Girlpower-Serie als mitreißende Mischung aus Berlin-Krimi und Coming-of-Age-Drama. - Ab 16.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2021
Produktionsfirma
W&B Television
Regie
Özgür Yildirim
Buch
Hanno Hackfort · Bob Konrad · Richard Kropf · Katharina Sophie Brauer · Luisa Hardenberg
Kamera
Matthias Bolliger
Musik
Timo Pierre Rositzki
Schnitt
Lars Jordan · Sebastian Thümler
Darsteller
Jeanne Goursaud (Jazz) · Jobel Mokonzi (Fanta) · Soma Pysall (Hajra) · Roxana Samadi (Rasaq) · Walid Al-Atiyat (Hatam)
Länge
277 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 16; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Coming-of-Age-Film | Drama | Krimi | Serie

Heimkino

Verleih DVD
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Verleih Blu-ray
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Mitreißende, visuell bestechende Girlpower-Serie aus Berlin-Wedding, die aktuelle Milieu- und Gender-Diskurse aufgreift.

Diskussion

„Wir wollen ticken, ficken, ballern. Und vor allem Para machen. Para, Para, Para!“ Bereits in den ersten energetisch aufgeladenen Straßenszenen von Özgür Yildirims weiblich-wilder Großstadtsaga „Para – Wir sind King“ wird ein Straßenslang angeschlagen, der sich durch jede der sechs kurzweiligen, visuell bestechenden Episoden zieht. Auf diese Weise bereichert der Genrekino-affine Regisseur die deutsche Serienlandschaft nach „4 Blocks“ um eine weitere, höchst sehenswerte Berlin-Serie.

Denn ums Para, türkisch für „Schnelles Geld“, dreht sich jede Menge in dieser hitzig aufgeladenen Welt von vier jungen, extrem toughen Berliner Großstadtgirls, die im sozialen Brennpunktviertel Wedding zu Hause sind und gemeinsam mehr schlecht als recht durch ihr prekäres Leben driften. Im schmucklos-rauen Straßenkiez zwischen den Berliner U-Bahnhöfen Leopoldplatz und Pankstraße befindet sich die dreckig-laute „hood“ der vier Freundinnen Jazz (Jeanne Goursaud), Hajra (Soma Pysall), Fanta (Jobel Mokonzi) und Rasaq (Roxana Samadi), in der zwischen Shisha-Bars, Dönerläden und „Spätis“ umherziehen, feiern und nicht selten Krawall machen. In den frühen Morgenstunden müssen sie dann für wenige Stunden in ihre ärmlich-dysfunktionalen Familiencluster zurückkehren, ehe das unstete On-/Off-Leben zwischen Kleinkriminalität und sozialer Ödnis von Neuem beginnt.

Endlich selbstbestimmt sein!

Dabei wollen sie doch eigentlich nur „aus dieser Scheiße“ ausbrechen. Ein neues Leben starten, wie es für andere junge Leute mit 18 Jahren in Deutschland millionenfach möglich scheint. Endlich selbstbestimmt sein! Reisen, shoppen, feiern, solange man will, und parallel mit gleichaltrigen Männern anbandeln, ohne dass die eigenen Familienmitglieder sofort etwas dagegen haben. Ohne die permanente Angst vor Polizeikontrollen, Französischvokabeln, Steuerbehörden, wiederholten Mahnungen.

Doch die mit Naivität und Sturheit aufrechterhaltene Hoffnung darauf, sich frei zu strampeln, reibt sich immer wieder an der Realität. Während bei der ghanaisch-stämmigen Fanta und ihrem jüngeren Bruder infolge der plötzlichen Kündigung ihrer alleinerziehenden Mutter zuhause tatsächlich der Strom abgedreht wird, geraten Jazz’ Tanzkarriepläne gerade arg ins Stocken. Aus diesem Grund muss sich die promiskuitive Blondine mit einem Faible für unerreichbare Luxusmode wieder als Poledancerin in einem schäbigen Nachtclub verdingen, obwohl sie insgeheim immer noch von einer Karriere im Showbusiness mit Auftritten, Musikvideos und hunderttausenden Instagram-Followern und einer „Villa am See“ als Lohn träumt.

Die sowohl mit Strenge wie Milde erziehenden Eltern der Deutschtürkin Rasaq, die eine Ausbildung zur Zahnarzthelferin begonnen hat, planen währenddessen ein arrangiertes Kennenlernen mit Hatam (Walid Al-Atiyat), dem Sohn aus einer befreundeten türkischen Familie. Ihrer Meinung nach soll ihre Tochter deutlich weniger Zeit mit Jazz, Fanta und Hajra verbringen und lieber seriöse Karrierepläne schmieden oder langfristig über eine eigene Wohnung in Zehlendorf mitsamt Kindern nachdenken.

Ein Drogenfund als trügerischer Ausweg

Hin- und hergerissen zwischen hehrer Vernunft und purer Lust am Stören und Stänkern, kehrt zur gleichen Zeit die gerade volljährig gewordene Deutsch-Libanesin Hajra aus einer sechsmonatigen Jugendhaft zurück. Ihre Betreuerin rät ihr zu einer Ausbildung in einem Weddinger Sanitärbetrieb, da dort gerade eine Stelle frei wurde, worauf sich die innerlich gespaltene junge Frau mit anfänglicher Begeisterung tatsächlich einlässt.

Doch dann wirft ein Drogenfund gigantischen Ausmaßes in der von der Russenmafia aufgebrochenen Wohnung ihres Bekannten Calle (Florian Renner) sämtliche Pläne der vier Freundinnen über den Haufen. Könnten sie durchs nächtliche Dealen auf einen Schlag nicht alle ihre finanziellen Sorgen loswerden und so völlig neu durchstarten? Der gemeinsame Traum von „ein bisschen Gönnung“ und echtem sozialen Aufstieg („Die, die alles haben, kriegen alles in den Arsch geschoben. Und die, die nichts haben, kriegen gar nichts“) scheint plötzlich in greifbarer Nähe zu rücken.

Die erste Staffel von „Para – wir sind King“ überzeugt mit dem frech-frivolen Spiel einer glänzenden weiblichen Darstellerinnenriege, einem jederzeit spürbaren Bemühen um authentisch-ungekünstelte Dialogen, die oft genug an den Dokumentarfilm „Prinzessinenbad“ (2007) von Bettina Blümner erinnern, sowie einer überbordender Portion Weddinger „street credibility“.

Zusammen mit dem gelungenen Einsatz von Farbfiltern und Splitscreen-Effekten (Bildgestaltung: Matthias Bolliger) sowie einem abwechslungsreichen Figurenarsenal aus der Feder des Kreativteams von „4 Blocks“ (Konzept und Drehbücher: Hanno Hackfort, Bob Konrad, Richard Kropf, Luisa Hardenberg, Katharina Sophie Brauer) und einer elektrisierenden Musikauswahl, die jede Straßensequenz kongenial unterstützt, funktioniert die Serie sowohl als zeitgenössisches Coming-of-Age-Drama wie als Berliner Krimi-Serie für ein jugendliches Publikum.

Zudem befeuern die im dramaturgischen Hochgeschwindigkeitsmodus fiebrig inszenierten sechs Folgen den gegenwärtigen Armutsdiskurs innerhalb der deutschen Hauptstadt auf ernsthafte, aber durchwegs unterhaltsame Weise. Oder wie es die explosive Hajra während ihres Vorstellungsgesprächs verbal besonders eindrucksvoll auf den Punkt bringt: „Ick kann nett, ick kann charmant, ich kann ernst – arbeiten kann ick och, wenn’s sein muss.“ Genau mit dieser Mixtur aus Schlitzohrigkeit und Seriosität, aus echtem Interesse für multiethnische Herkünfte und reichlich coolen Posen ist den Machern um Regisseur Özgür Yildirim eine aufregende Großstadtmär gelungen, die die deutsche Serienlandschaft positiv auffrischt und sicherlich bald eine Fortsetzung finden wird.

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