Serie | USA 2021 | Minuten

Regie: Daniel Gray Longino

Eine Professorin hat es geschafft, als erste Frau und als „Asian American“ auch als erste Nicht-Weiße an der Spitze des Literaturdepartments einer US-Eliteuniversität zu sein. Die verkrusteten Strukturen auf dem Campus machen ihre Arbeit allerdings fast unmöglich. Die Miniserie beleuchtet in verschiedenen Miniaturen eine Institution zwischen Diversität und Cancel Culture. Ohne didaktisch Unterton werden widersprüchliche Fragen aufgeworfen, um das universitäre wie gesellschaftliche System zu bewegen, sich selbst zu hinterfragen. Geerdet wird dies durch die Hauptdarstellerin, die mit ihrer witzigen Art dazu beiträgt, die Brisanz wie die Absurdität der Themen gleichermaßen zu reflektieren. - Sehenswert ab 14.
Zur Filmkritik

Filmdaten

Originaltitel
THE CHAIR
Produktionsland
USA
Produktionsjahr
2021
Produktionsfirma
Netflix Studios
Regie
Daniel Gray Longino
Buch
Amanda Peet · Annie Wyman
Kamera
Jim Frohna
Musik
Stephanie Economou
Darsteller
Sandra Oh (Ji-Yoon Kim) · Jay Duplass (Bill Dobson) · Holland Taylor (Joan Hambling) · Bob Balaban (Elliot Rentz) · David Morse (Dekan Paul Larson)
Länge
Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Genre
Serie | Tragikomödie

Comedy-Serie um eine koreanisch-stämmige Professorin, die als erste farbige Frau einen Lehrstuhl an der Englisch-Fakultät einer renommierten Universität übernimmt und über alteingesessene Probleme stolpert.

Diskussion

Der erste Witz der Miniserie „Die Professorin“ ist der Übersetzung zum Opfer gefallen. Das ist an sich bei Synchronfassungen keine Seltenheit, allerdings etwas ulkig, denn in dem von Amanda Peet entwickelten Format geht es ausgerechnet um die Literaturfakultät einer Elite-Uni. Grade dort nimmt man es mit der Sprache ja mehr als genau! Der Witz funktioniert immer noch, wenn man den Titel der Serie wortwörtlich übersetzt. Sie heißt „The Chair“ – „Der Lehrstuhl“. Und genau der bricht unter seiner frisch ernannten Inhaberin zusammen.

Ji-Yoon Kim (Sandra Oh) ist die erste Frau, die es an der fiktiven Pembroke University an die Spitze der Amerikanisten geschafft hat; obendrein die erste nicht-weiße Person in diesem Amt. Am ersten Tag ihrer Professur schreitet sie selbstbewussten Schrittes über den herbstlichen Campus, vorbei an den holzvertäfelten Hallen mit den Porträts alter weißer Männer, vorbei an staubigen Bücherregalen und alten Kaffeemaschinen. Sie bleibt stolz vor ihrer neuen Bürotür stehen. „Dr. Ji-Yoon Kim, Chair“ steht da. Sie lächelt. Sie hat es allen gezeigt und will nun alles anders machen.

Auf dem Schreibtisch findet sie ein Geschenk ihres Vorgängers: ein Namensschild mit der Aufschrift „Fucker in charge of you fucking fucks“ – „Leitendes Arschloch Eurer arschigen Ärsche“. Ji-Yoon lacht freudig auf und setzt sich zufrieden in ihren neuen Chefsessel, den wortwörtlichen Lehrstuhl – der jedoch in einem Slapstick-Moment seitlich einknickt und sie ungalant abwirft.

Sexismus, Altersdiskriminierung, Rassismus

Die Professur wird also kein Zuckerschlecken, das macht nicht nur das Möbelstück unmittelbar klar. Nur wenig später stellt Ji-Yoon resigniert fest: „Ich bin offenbar nach der letzten Runde auf der Party aufgeschlagen.“ Das Department wie auch die Uni mit ihren verstaubt-verkrusteten Strukturen sind vor Gravitas nahezu unbeweglich. Sexismus, Altersdiskriminierung und Rassismus sind an der Tagesordnung. Ji-Yoon soll drei alteingesessenen Mitgliedern des Lehrkörpers direkt nahelegen, dass sie bitte freiwillig in Rente gehen mögen. Kaum noch jemand schreibt sich für deren Kurse ein; sie beziehen allerdings die höchsten Gehälter.

Die Frage ist, ob Ji-Yoon ein Beweis dafür ist, dass Diversität auch in verkrusteten Institutionen langsam Einzug hält, oder ob ihre Besetzung nicht vielmehr nur eine Art Feigenblatt und sie die Quoten-Frau und Quoten-Nicht-Weiße darstellt, ohne dass sich wirklich etwas an den Zuständen ändert? Beides ist möglich.

„Die Professorin“ beleuchtet in mehreren Miniaturen verschiedene Perspektiven auf diesen Komplex. So will die Universitätsleitung lieber einen medienwirksamen Namen für einen Gastvortrag als eine junge afroamerikanische Dozentin haben. Yi-Joons Kollege Bill (Jay Duplass), einem Star-Autor und -Dozenten, liegt die Studentenschaft zu Füßen, obwohl er seit dem Tod seiner Frau sichtlich derangiert und unvorbereitet in Vorlesungen erscheint. Und das Büro der altehrwürdige Geoffrey-Chaucer-Expertin Joan Hambling (Holland Taylor) wurde in den Keller verlegt, um sie hinauszuekeln.

Wo hört Diskurs auf und fängt Cancel Culture an?

Das Erstaunliche an „Die Professorin“ ist, dass die Serie innerhalb von sechs lediglich halbstündigen Folgen eine Vielzahl an Nebenhandlungen aufmacht, ohne in ihre Einzelteile zu zerfallen. Merkwürdigerweise wirkt sie auch aufgrund dieser Dichte viel länger, als sie tatsächlich ist – im positiven Sinne. Wenn man ihr so etwas wie ein Statement abringen wollte, dann die Feststellung, dass all die Fragen, die sie aufwirft, auf gar keinen Fall nur eine einzige richtige Antwort finden, sondern vielmehr einem ganzen System dabei helfen sollen, sich selbst zu hinterfragen. Ist die politische Korrektheit, die sich viele Universitäten auf die Fahne schreiben, nur Kulisse oder Selbstzweck? Wo hört Diskurs auf und fängt Cancel Culture an?

Trotz all dieser Themen ist „Die Professorin“ niemals didaktisch, sondern stellt schlichtweg fest, wie widersprüchlich und zum Teil unauflösbar die Probleme sind. Alle Figuren, so absurd und aus der Zeit gefallen sie auch sein mögen, haben eines gemeinsam: Sie sind in einer emotionalen Realität verankert, die sie zugänglich und nachvollziehbar macht. Genau das hält die vielen Fäden und Ideen zusammen.

Geerdet wird dies alles von Sandra Oh, die als Ji-Yoon ihre komödiantische Bandbreite zeigt und sich dennoch einfühlsam in die facettenreiche Figur wirft. Auch hier könnte die Miniserie überladen wirken, doch Oh macht aus der Geisteswissenschaftlerin eine vielschichtige, nahbare Persönlichkeit zwischen idealistischer Professorin und verunsicherter Adoptivmutter.

Neben ihr glänzt vor allem Holland Taylor als Joan Hambling mit selbstironischer Grandezza, wenn sie ihren jahrzehntelangen Kampf gegen die sexistischen Windmühlen der Universität unverdrossen aus ihrem Kellerloch weiterführt. Von hier aus spioniert sie Studenten nach, die ihr eine schlechte Bewertung gegeben haben, fackelt dabei aber aus Versehen beinahe das Gebäude ab. Taylor spielt sie mit so viel Lust am Aberwitz, dass man ihr ein eigenes Spin-off wünscht.

Ji-Yoons Kollege Bill wiederum verstrickt sich selbst in einen Skandal, als er in der Vorlesung einen Hitlergruß persifliert und sich anschließend einem Mob der Entrüstung stellen muss – er hängt in einem Zwischenreich zwischen selbstgerechtem Trotz und der Gefahr, von der Universität für die politische Korrektheit geopfert zu werden. Es ist eine der Stärken der Serie, dass es keine klaren Gewinner und Verlierer gibt, und sie tut gut daran, sich auf keine Seite zu schlagen, sondern immer wieder zu demonstrieren, welche Welten hier aufeinanderprallen und sich aufeinander einlassen müssten, um das universitäre und gesellschaftliche System weiterzuentwickeln.

Kommentar verfassen

Kommentieren