Western | USA 2021 | 95 Minuten
Regie: Potsy Ponciroli
Filmdaten
- Originaltitel
- OLD HENRY
- Produktionsland
- USA
- Produktionsjahr
- 2021
- Regie
- Potsy Ponciroli
- Buch
- Potsy Ponciroli
- Kamera
- John Matysiak
- Musik
- Jordan Lehning
- Schnitt
- Jamie Kirkpatrick
- Darsteller
- Tim Blake Nelson (Henry) · Stephen Dorff (Ketchum) · Gavin Lewis (Wyatt) · Scott Haze (Curry) · Trace Adkins (Al)
- Länge
- 95 Minuten
- Kinostart
- -
- Fsk
- ab 16
- Pädagogische Empfehlung
- - Ab 16.
- Genre
- Western
Heimkino
Western um einen verwitweten Farmer und seinen Sohn, die einen verwundeten Mann mit einer Tasche voll Geld aufnehmen und in Schwierigkeiten mit einer Bande Krimineller geraten.
Ein reiterloses Pferd bringt die Vergangenheit zurück in Henrys Leben. Langsam trottet es über den Hügel, in dessen Schatten das bescheidene Haus des Farmers liegt. Das nicht unbeschwerte, aber doch ungefährdete Dasein, das Henry (Tim Blake Nelson) dort mit seinem Sohn Wyatt (Gavin Lewis) teilt, findet damit ein Ende. Henry spürt wenig später den Reiter auf, der in der Nähe von Henrys Farm schwer verletzt vom Rücken des Tiers gesunken ist. Dazu dessen Revolver und eine mit Dollarscheinen gefüllte Ledertasche. Kurz zögert er, dann schultert Henry den Sterbenden, sammelt das Geld und den Revolver ein. Sein Gesicht verrät, dass er es gegen besseres Wissen tut; sein Körper verrät, dass er nicht zum ersten Mal Beute aufliest, um anschließend seine Spuren zu verwischen.
Ein Verwundeter und eine Tasche voll Geld machen dem Frieden ein Ende
Die Vergangenheit, die hier kurz durchscheint, wird sich bald gänzlich über das einfache Leben des Frontier-Siedlers schieben. Die harte Arbeit, die dieses Leben in der Einsamkeit des amerikanischen Westens verlangt, verrichtet der Vater mit stoischer Ruhe. Hinter der Mühe der täglichen Anstrengung wird immer auch das Bewusstsein sichtbar, einen kargen, aber beständigen Lebensabend erreicht zu haben. Der Frieden ist eine zermürbende Lebensaufgabe. Für den Sohn, der sich nach einem Abenteuer oder zumindest einem Leben jenseits der täglichen Routine sehnt, ist das stoische Festhalten an dieser Idee des Friedens eine Bürde.
Der bis dato immer durch ein Machtwort Henrys beendete Vater-Sohn-Konflikt ist nicht allein ein zentrales narratives Element des Films. Er lässt sich zugleich als Meta-Ebene für die Art von Western begreifen, die Filmemacher Potsy Ponciroli hier inszeniert. „Old Henry“ ist als Western ein Treffen der Generationen. Ein klassischer und zugleich ein Neo-Western. Ein um den Frontier-Mythos konstruierter Action-Film – wie es der Western zu seiner Blütezeit in Fernsehen und Kino war – und zugleich dessen elegische, immer auf Selbstreflexion bedachte Neufassung. Das große Charisma der Greatest Generation trifft auf das nachdenkliche Nerdtum der Millennial-Generation.
Ein angeblicher Gesetzeshüter belagert die Ranch
Der für beide Generationen prägende Archetyp des Outlaws spaltet sich hier in zwei Figuren: Henry und Sam Ketchum (Stephen Dorff), der zu Henrys Antagonisten werden wird. Der angebliche Gesetzeshüter taucht, kurz nachdem Henry den Verletzten geborgen und seine Spuren verwischt hat, mit seinem Gefolge auf der Farm auf, auf der Jagd nach dem verunglückten Reiter und dem Geld, das dieser bei sich hat. Henry ist nicht bereit, den zahlenmäßig überlegenen Besuchern den Mann auszuliefern. Tim Blake Nelson erhält in der Rolle nach diversen Einsätzen als Redneck-Cowboy-Verschnitt mit breitem Akzent endlich die Möglichkeit, den Westerner einmal nicht als Selbstparodie zu spielen. Stephen Dorff wächst als sein Widersacher überraschend gut in die Rolle des reibeisernen Bösewichts. Als er das erste Mal über den Hügel Richtung Farm reitet, trifft die Brutalität des Kriminellen auf die Brutalität des Rechtschaffenden. Gut gegen Böse, aber eben nur auf den ersten Blick. Was der zweite Blick offenbart, denkt der Film mit jeder Geste, jedem Handgriff und jedem Satz, den Henry spricht, bereits mit.
So ist „Old Henry“, trotz des Versuchs, an Clint Eastwoods „Erbarmungslos“ oder „Ein Fremder ohne Namen“ anzuknüpfen, weniger eine wirklich fein austarierte Reflexion über Gewalt, Schuld und Sühne, sondern im Kern um die Momente konstruiert, in denen der Körper übernimmt. Das motorische Gedächtnis erinnert sich nicht an den Frieden, sondern nur an den Griff zum Revolver. Sam Ketchum und seine Bande bringen, als sie beginnen, die Farm zu belagern, das alte Selbst hervor, das in Henrys Körper lebt, das sein Körper noch immer ist. Jahrtausende der Evolution schließen sich mit Jahrzehnten der Erfahrung zusammen, als der Mann zur Waffe greift. Die von Henry konstruierte Identität, seine gegen den Körper und für den Sohn gelebte Lüge zerfällt mit der Bedrohung.
Der Film tut es ihm gleich, lässt den Körper übernehmen; stellt die Bilder von Kameramann John Matysiak, die bis dato die Schönheit und Kargheit der Landschaft einfingen, in den Dienst der einfachen, nicht durch den Verstand gefilterten Motorik. Wie in Trance entfaltet sich der gesamte Mythos der Henry-Figur in dessen Bewegungen. Der Verstand kann zum Vergessen gezwungen werden, doch der Körper erinnert sich. Für Potsy Poncirolis Debütfilm ist es ein Glücksfall.