Dokumentarfilm | Frankreich/Deutschland/Schweiz 2019 | 99 Minuten

Regie: Thomas Balmès

Ein buddhistischer Mönch aus Bhutan verliebt sich über eine Chat-Plattform in eine junge Frau aus der Hauptstadt und will sie unbedingt kennenlernen. Als sie sich dann persönlich treffen, werden Halbwahrheiten und Unstimmigkeiten offenbar. Der Film nutzt dokumentarische Bilder, die über einen Zeitraum von 10 Jahren entstanden sind, verwendet aber auch hybride Elemente, in denen sich Realität und Fiktion mischen. Dabei geht es um Glück und Leid einer ersten Liebe, aber mehr noch um die Widersprüche des modernen Lebens, wobei die Zeit- und Kulturkritik eindeutig dominiert. - Ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
SING ME A SONG
Produktionsland
Frankreich/Deutschland/Schweiz
Produktionsjahr
2019
Produktionsfirma
Arte France Cinéma/Close-Up Films/Participant/RTS/TBC Prod./Zero One Film
Regie
Thomas Balmès
Buch
Thomas Balmès
Kamera
Thomas Balmès
Musik
Nicolas Rabaeus
Schnitt
Alex Cardon · Ronan Sinquin
Länge
99 Minuten
Kinostart
09.12.2021
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Dokumentarfilm
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Semidokumentarische Parabel über einen buddhistischen Mönch aus Bhutan, der den Einflüsterungen der Moderne erliegt und sich in eine junge Frau verliebt.

Diskussion

Peyangki kam als kleiner Junge in das Mönchskloster in Bhutan, mitten im Himalaya. „Er ist eine Inkarnation des Lama“, hieß es bei seiner Ankunft. Peyangki wollte unbedingt Mönch werden. Bereitwillig und gehorsam folgte er den Anweisungen der Älteren. Sein Tagesablauf ist streng geregelt – Gebete, Meditationen, Schule und Arbeit bestimmen das einfache Leben; da bleibt kaum Zeit zum Herumtoben oder zum Spielen. Trotzdem ist der Junge zufrieden. Er hat aber auch Träume: Zu gerne möchte er einmal in einem Flugzeug fliegen und große Häuser sehen.

Zehn Jahre später sieht alles ganz anders aus: Peyangki ist zu einem jungen Mann herangewachsen, aber das ist nicht die einzige große Veränderung. Mittlerweile sind die Errungenschaften der modernen Zivilisation bis in die Berge vorgedrungen. Strommasten wurden errichtet und Leitungen verlegt, mit denen das Kloster am Hang hoch über dem Dorf Laya mit der Welt verbunden ist, nicht nur über das Fernsehprogramm, sondern auch via Internet. Alle Mönche inklusive Peyangki besitzen ein Handy, das sie eifrig benutzen, sogar während der Meditationen, was eigentlich streng verboten ist.

Ein unzufriedener Teenager

Aus dem glücklichen, kleinen Jungen ist ein unzufriedener Teenager geworden, der sich nicht mehr anpassen kann oder will. Ständig muss sich Peyangki die Ermahnungen seines Meisters anhören. Angeblich lernt er nicht genug, spielt nur mit dem Handy, konzentriert sich nicht auf seine Arbeit. Wenn das so weitergehe, drohe ihm der Ausschluss aus dem Kloster. In Wirklichkeit aber ist Peyangki schwer verliebt. Über eine Chat-Plattform hat er Kontakt mit Ugyen aufgenommen, einer jungen Frau aus Thimphu. Beide tauschen sich in jeder freien Minute über ihre Wünsche und Träume aus und singen sich Liebeslieder vor. Peyangki will sie unbedingt kennenlernen. Aber das ist gar nicht so einfach für einen mittellosen jungen Mönch.

Bhutan, die kleine Monarchie mitten im Himalaya, war schon in „Happiness“ das Ziel des französischen Filmemachers Thomas Balmès. Im Jahr 2011 drehte er mehrere Wochen in Laya, dem glücklichsten Ort im glücklichsten Land der Erde; in Bhutan wurde schon vor 400 Jahren das Glück der Bewohner zur Maxime allen staatlichen Handelns erklärt und später durch den Begriff des „Bruttonationalglücks“ weiter ausformuliert. Das scheint geholfen zu haben, denn Untersuchungen bestätigen, dass in Bhutan die zufriedensten Menschen weltweit leben.

2011 war Laya noch vollkommen von der Welt abgeschnitten. Der kleine Peyangki wurde zum Protagonisten des Films „Happiness“, der sich damit befasste, inwieweit Medien, vor allem das Fernsehen, die Menschen glücklicher machen. Für „Sing Me a Song“ konnte Balmès nicht nur auf sein eigenes Material zurückgreifen; er war dadurch auch in der Lage, dem neuen Werk die Anmutung einer Langzeitdokumentation zu geben. Allerdings überschreitet und verwischt Balmès häufig die Grenzen des Dokumentarfilms.

Beobachtung und Inszenierung

Wie schon in „Happiness“ mischt sich die reine Beobachtung mit inszenierten Bildern und Dialogen. Die Wirkung ist verblüffend, denn auf diese Weise wird – unter Ausnutzung der Publikumserwartung – die Authentizität noch gesteigert. Wenn die jungen Mönche alle gleichzeitig und immer hektischer ihre Meditationen abarbeiten, während sie auf ihren Handys daddeln oder Filme schauen, dann ist das nicht nur ziemlich lustig, sondern es entspricht der Erwartungshaltung, dass in einem weltabgeschiedenen Kloster die Nutzung von Mobiltelefonen absolut unpassend ist. Auch wenn Ugyen mit ihren Freundinnen auf dem Mobiltelefon das Video einer Enthauptung verfolgt, während sie von ihrem neuen Chatfreund erzählt, lässt die Gestaltung der Szene auf eine Inszenierung schließen.

Die Kombination von Beobachtung und Inszenierung macht die Botschaft des Films also umso deutlicher: Handys und Internet haben eine zwar verbindende, aber vor allem destruktive Wirkung. Sie bringen die Menschen davon ab, empathisch und sozial zu handeln; stattdessen intensivieren sie negative oder schädliche Folgen wie Vereinzelung und Materialismus. Die alte Geschichte von der Landmaus (Peyangki) und der Stadtmaus (Ugyen) spielt ebenfalls mit herein. Das Stadtleben mit seinen Verlockungen wird in Gestalt von Ugyen personifiziert, die tagsüber Gemüse verkauft und nachts singt und als eine Art Animierdame arbeitet. Peyangki ist die Landmaus, die auf die Reize der Stadt – und der Stadtmaus – hereinfällt.

Seine handfeste Kritik verpackt Balmès in wunderschöne, eindringliche Bilder. Zu Beginn geht es vor allem um Peyangki und seine Vorgeschichte, wobei die beeindruckende Berglandschaft eine wichtige Rolle spielt. Peyangki rutscht das Treppengeländer des Klosters hinunter, tollt über eine Blumenwiese und flicht sich selbst ein Kränzlein. Das ist romantisch und aus europäischer (Bildungsbürger-)Sicht die perfekte Idealvorstellung einer herrlichen Kindheit in der Natur. Der erwachsene Peyangki ist nicht mehr mit der Landschaft verwachsen, sondern mit dem Handy, das ihn mit seiner großen Liebe verbindet. Dabei ahnt er nicht, dass Ugyen ihm wichtige Details verschwiegen hat, etwa dass sie bereits verheiratet war und eine kleine Tochter hat.

Die Unterschiede sind zu groß

Auch er hat sich ihr gegenüber als wohlhabender Bergbauer ausgegeben, der vom Verkauf medizinischer Pilze gut leben kann. Tatsächlich gibt es diesen Pilz. Er ist das wichtigste Handelsobjekt der Region, und Peyangki sammelt die Pilze, um sich damit die Fahrt zu Ugyen leisten zu können. Dafür vernachlässigt er seine Arbeit als Mönch. Für Ugyen ist er bereit, sein ganzes Leben aufzugeben. Doch das erste Treffen mündet in eine Katastrophe. Sie finden keine gemeinsame Sprache, die Unterschiede sind zu groß. Peyangki kann sie gar nicht anschauen, er sieht weg oder auf sein Handy, und es kommen ihm die Tränen – eine der eindringlichsten und schönsten Szenen des Films.

Immer wieder lässt Balmès die beiden Welten aufeinanderprallen: auf der einen Seite das einfache, aber harte Leben in der ursprünglichen Natur, auf der anderen Seite der Luxus und die Versuchungen der Moderne. Die Botschaft ist klar: Der Weg zum Geld führt ins Verderben. Am Ende geht Ugyen nach Kuwait und verlässt dafür ihr Kind. Peyangki kehrt in sein Kloster zurück und findet dort vielleicht wieder zu Ruhe und Glück.

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