Eldorado KaDeWe - Jetzt ist unsere Zeit

Drama | Deutschland 2021 | 282 (sechs Folgen) Minuten

Regie: Julia von Heinz

In den 1920er-Jahren sind Berlin und seine Bevölkerung noch vom Ersten Weltkrieg gezeichnet, zugleich macht sich aber auch Aufbruchsstimmung breit. Auch die Tochter vom jüdischen Besitzer des Nobelkaufhauses KaDeWe geht mit ihrem kriegstraumatisierten Bruder daran, den Konsumtempel in die neue Zeit zu führen, stößt allerdings auf massive Widerstände, die mit dem Erstarken des Nationalsozialismus immer existenzbedrohender werden. Die sechsteilige Miniserie um das 1907 gegründete Berliner Kaufhaus sucht dezidiert den Schulterschluss mit der Gegenwart, indem sie Bilder des gegenwärtigen Berlins in den teils auf Fakten beruhenden, teils fiktionalisierten historischen Stoff einfließen lässt, und tut dabei oft des Guten zu viel. Eindruck hinterlassen hingegen die aufwändige Gestaltung und die Darsteller. - Ab 16.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2021
Produktionsfirma
Constantin Television/UFA Fiction/ARD Degeto/rbb
Regie
Julia von Heinz
Buch
Julia von Heinz · John Quester · Sabine Steyer-Violet · Oskar Sulowski
Kamera
Daniela Knapp
Musik
Matthias Petsche
Schnitt
Georg Söring · Florian Miosge · David Hartmann
Darsteller
Valerie Stoll (Hedi Kron) · Lia von Blarer (Fritzi Jandorf) · Joel Basman (Harry Jandorf) · Damian Thüne (Georg) · Jörg Pose (Adolf Jandorf)
Länge
282 (sechs Folgen) Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Drama | Historienfilm | Serie

Diskussion

„Eldorado KaDeWe“ – schon der Titel der sechsteiligen ARD-Miniserie markiert zwei Extreme des Berlin nach 1918: Das Nobel-Kaufhaus und die Halbwelt. Beide Orte werden gleichermaßen zur Bühne für eine Handvoll junger Menschen, für die Deutschlands 1920er-Jahre gerade auch in dem Chaos, das untrennbar zu ihnen gehört, der Haltlosigkeit der Gesellschaft und dem, was Zeitgenossen wie Hermann Broch als „Zerfall der Werte“ beschrieben, Aufbruchschance, neue Offenheit und tausend Möglichkeiten boten: Hedi, am ehesten die Hauptfigur, ist eine junge Frau aus kleinen, bettelarmen Berliner Hinterhof-Verhältnissen – der Vater ist ein kriegsversehrter Fuhrwerker, die Mutter tot, die kleine Schwester hat das Down-Syndrom – der ihre Lebensklugheit, ihr Pragmatismus und ihr gutes Aussehen dabei helfen, als Ladenmädchen im „Kaufhaus des Westens“ über den Durchschnitt hinaus aufzusteigen.

Ein ähnlicher Aufsteiger, dessen Karriere aber noch steiler, rasanter verlief, ist Georg Karg (eine von mehreren Figuren, denen ein historisches Vorbild zugrunde liegt). Er ist Chefprokurist im KaDeWe und trockener Alkoholiker, voller Sehnsucht nach dem anderen, vermeintlich wilden Leben, zugleich ein gehemmter, staubtrockener Spießbürger und politisch unzuverlässig. Den beiden gegenüber stehen die Geschwister Fritzi und Harry Jahndorf, Erben des KaDeWe. Doch vieles belastet sie und hemmt ihre persönliche Freiheit: Die jüdische Herkunft, die konservativen Wertvorstellungen des bürgerlichen Elternhauses. Dazu kommt, dass Harry als Frontkämpfer von den Stahlgewittern der Westfront schwer traumatisiert und drogenabhängig zurückkam, von Flashbacks verfolgt wird und sadomasochistisch veranlagt ist; er ein nihilistischer Hasardeur mit genialem Sinn für Geschäfte, aber von einem grundsätzlichen Todestrieb erfüllt, der sein Leben in einen ständigen Drahtseilakt verwandelt zwischen Selbstzerstörung und Fremdzerstörung. Seine Schwester Fritzi ist ihm in puncto Geschäftsverständnis vermutlich überlegen, zudem eine talentierte Designerin. Als Frau im heiratsfähigen Alter ist ihr aber das Arbeiten familiär verboten. Zudem liebt sie Frauen.

Und wenn sich Fritzi und Hedi früh im Film ineinander verlieben, wird diese Liebe zum Motor und Zentrum der Filmerzählung – was ihre Möglichkeiten wie ihre Grenzen bereits früh ahnen lässt.

Eine Zeit, die Fortschritt wagte

Von Anfang an sind die Verzweiflung spürbar und der Abgrund, der sich immer wieder unter den Protagonisten öffnet, eine Depression, die sich wie Mehltau über die Epoche legt, die aber jederzeit durch den Hedonismus und den Aufbruchsgeist gekontert wird, der ebenfalls ein Phänomen der Nachkriegszeit ist. Man begegnet einer ganzen Generation beim Tanz über Gräben: Die Schützengräben des Ersten Weltkriegs, die Risse durch die Gesellschaft, die Konflikte zwischen Klassen und unterschiedlichen Moralvorstellungen. Es ist eine „Lost Generation“, die um ihr prekäres Dasein weiß, und der Topos der verlorenen Jugend zieht sich durch alle sechs Folgen dieser traurigen Geschichte über Vergeblichkeiten und Verluste. Es geht um Frauenliebe, um den Kampf von Randgruppen um Anerkennung und überhaupt um diverse Formen der Diversität. Aber mehr als das geht es um den Kampf der Jugend und einer neuen, jugendlichen Generation um Freiheit.

Zugleich sollen die Orte miterzählt werde, und das, wofür sie standen: Das einmalige Warenhaus am Wittenbergplatz, das bald zur Bühne der deutschen Hauptstadt und der Roaring Twenties wurde, zum Schaufenster Deutschlands in der Welt, das wiederum alle Welt einlud, sich in ihm zu spiegeln. Und nur ein paar Fußminuten davon entfernt das Eldorado, ein Nachtlokal, das zwischen Lutherstraße und Motzstraße zum Treffpunkt der drogen- und körperkonsumierenden Halbwelt wurde und zum Aufführungsort schwul-lesbischen Lebensgefühls, aber ebenso von Anfang an zu einer Touristenattraktion, die in jedem Reiseführer stand und der insofern immer auch etwas Unauthentisches anhaftete. Beide Orte stehen für Weltoffenheit, für Vielfalt, für das Experimentieren mit sich selbst, das alle Zeitgenossen gemeinsam hatten.

Viel gewollt, viel geglückt

Regisseurin und Co-Autorin Julia von Heinz zeigt eine Zeit, die Fortschritt wagte. Diese Miniserie will sehr viel. Und so sehr das für sie einnimmt, gelingt ihr schon deswegen nicht alles, weil die unterschiedlichen Pole und Absichten nur schwer miteinander in Einklang zu bringen sind. Von den Zwängen einer Primetime-Miniserie öffentlich-rechtlicher deutscher Sender und dem verständlichen Wunsch der Produzenten nach internationaler Verkäuflichkeit einmal abgesehen, sollen sowohl politische Positionen vertreten, das Publikum bei aller Unterhaltsamkeit auch moralisch und historisch über vieles belehrt werden, als auch eine ästhetische Neugier und Faszination für Aspekte der Epoche und manche ihrer unerzählten Geschichten geweckt werden.

Vieles daran ist ausgezeichnet geglückt; Julia von Heinz ist etwas sehr Gutes, Bemerkenswertes, Einmaliges gelungen – erstaunlich ist der Variantenreichtum dieser Filmemacherin. Immer wieder wechselt sie zwischen Mainstream-Produktionen wie Ich bin dann mal weg, Agitprop-Thesen-Filmen wie Und morgen die ganze Weltund einer solchen Serie, die leichter ist, verspielter, wenn auch das Thesenhafte dann immer wieder mal für ein paar Momente dominiert. Von Heinz erzählt sehr schnell, oft nur in Andeutungen und Fragmenten, vor allem nachdem die ersten beiden Teile mit etwas mehr Ruhe das Fundament gelegt haben.

Besonders wichtig ist hierfür die Musik, insbesondere die von Inga Humpe und ihrem Team. Zum Teil handelt es sich um modernisierte Versionen historischer Lieder und Schlager; Creditsongs und zentrale Musiken sind aber eigens komponiert worden.

So überraschend und faszinierend die Besetzung von noch unbekannten Darstellerinnen wie Valerie Stoll und Lia von Blarer in den Hauptrollen ist, so konventionell erwartbar ist umgekehrt Joel Basman in der Rolle des durchgeknallten KaDeWe-Erben Harry, in der Basman gleichwohl wie schon so oft überzeugt. Vor allem Valerie Stoll ist hierunter eine echte große Entdeckung. Stoll hat einen Ton und eine Art, Dialoge zu sprechen, die man im deutschen Film noch nicht gehört hat. Ihre Hedi besitzt über alle Folgen hinweg eine seltsame Mischung aus Naivität und Weisheit, Unschuld und Wissen um alles.

Im Weimar-Supermarkt

Das Problem dieser Serie ist ausgerechnet ihr Umgang mit dem historischen Material, beziehungsweise die allzu saloppe Haltung ihm gegenüber: Jahreszahlen werden aus gutem Grund gar nicht erst genannt. Denn wild springt der Film hin und her durch die Jahre und Ereignisse, verbindet Weimarer Republik- und Berlin-1920er-Klischees mit Halbbekanntem, völlig Neuem und gnadenlos Falschem, vermischt Zeitabschnitte, die zwar nur ein paar Jahre in diesem dichten, übervollen „Weimar“ trennt, die aber mit guten Gründen von Historikern auseinandergehalten werden.

Zum Beispiel wird Louise Brooks als Kinostar zu einer Zeit gezeigt, in der sie noch keinen deutschen Film gemacht hatte, umgekehrt kommt die Weltwirtschaftskrise drei Jahre zu spät. Auch nimmt die Konzentration auf die lesbische Kultur dieser Jahre paradoxerweise gerade durch den verengten und betonenden Blick viel von ihrer damaligen Selbstverständlichkeit. Da wissen die Macher offenbar nicht, wie viel fortschrittlicher, freizügiger und libertärer zumindest das Bürgertum der Weimarer Republik mit Bisexualität und Homosexualität umging, und projizieren Spießigkeit und Konservativismus unserer Gegenwart in damalige Verhältnisse.

So erinnert der aufs Schrille und Exzentrische und auf sexuelle Befreiung konzentrierte Blick, der die künstlerischen und sozialen Aufbrüche der Epoche ganz vergisst, die politischen Verwerfungen auch nur am Rande behandelt, eher an das so romantisierende wie einseitige Weimar-Bild aus Bob Fosses Cabaret als an Babylon Berlin, das so unvermeidlich wie erkennbar auch Pate stand. Schwerer wiegen womöglich aber noch die Artefakte aus unserer Gegenwart, die demonstrativ in den Film eingepflegt sind: Moderne Autos, Ampeln, Gebäude im Hintergrund, eine Regenbogenfahne im Vordergrund, ein NSDAP-Wahlplakat unter einem modernen, das erkennbar dem der AfD nachempfunden ist.

Der größte Irrtum wäre es daher, diese Serie als Historiendrama oder als korrekte Darstellung einer geschichtlichen Epoche zu betrachten. Vielmehr bedient er sich aus der Weimarer Republik wie aus einem Supermarktregal und baut ein fiktionalisiertes 1920er-Jahre-Berlin, das in etwa so aussieht, wie man sich ein zukünftiges Disneyland vorstellen kann. Wenn es aber nicht das Berlin der 1920er ist, und auch nicht das Berlin der Gegenwart oder das West-Berlin der 1980er, was ist es dann? Ein imaginäres, erfundenes, gewolltes Berlin.

Plakative Diversität ist „Eldorado KaDeWe“ viel wichtiger als Historizität. Das mag pädagogisch wertvoll sein, ist aber ästhetisch problematisch. Und was ist von einer Serie zu halten, der das Ästhetische und Historische offenkundig viel gleichgültiger sind als politische Moral? Zumal die Regisseurin die Nazis sehr deutlich und treffend nicht zuletzt auch als ästhetische Barbaren beschreibt, die gegen „das Exquisite“ sind. Der Film zeigt in der sechsten Folge mit aller Härte und ohne falsche Kompromisse oder Trostpflaster, was 1933 kaputtgegangen ist und zu Ende ging. Hier wird nichts schöngefärbt.

Zu viel gewollt

Ansonsten ist alles in allem ein bisschen zu viel gewollt in dieser Serie, und dann wird auch ein bisschen zu wenig gezeigt. Historisches Kino ist dann interessant, wenn es aus einer Epoche Funken schlägt, und zwar möglichst unbekannte, unerwartete, überraschende. Einfach nur in eine vergangene Epoche Phantasiewelten hineinzuprojizieren oder Wunschvorstellungen der Gegenwart, wird dagegen schnell ziemlich schal, und so wird diese Serie früher als viele andere altern. Sie wird schon in wenigen Jahren vor allem gesehen werden als ein allzu typisches Produkt unserer Gegenwart; nicht mehr und nicht weniger. Und zwar einer sehr deutschen Gegenwart. Kaum vorstellbar, dass „Eldorado KaDeWe“ zu einem ähnlich internationalen Erfolg werden wird wie Babylon Berlin.

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