Drama | Tunesien 2021 | 96 Minuten

Regie: Youssef Chebbi

Eine taubstumme Tunesierin streift nachts durch Bars und Clubs und lässt sich von Männern abschleppen, die sie dann betäubt, misshandelt und vergewaltigt. Als es ihr eines Nachts nicht gelingt, dem anvisierten Opfer das Betäubungsmittel zu verabreichen, wird sie erstmals zur Mörderin. Die Versuche einer neuen Kollegin, mit der Frau zu kommunizieren, scheinen gegen die düster-brutalen Verstrickungen wenig Chancen zu haben. Ein in schwarz-weiß gedrehter, atmosphärischer Thriller um weibliche Wut in einer patriarchalisch geprägten Gesellschaft, wobei die Gewaltakte äußerst beklemmend wirken dank der Nähe zu der Protagonistin, für die sie die einzige Sprache zu sein scheinen, um schwelende Gefühle nach außen zu lassen. - Ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
MA TASMAA KEN ERRIH
Produktionsland
Tunesien
Produktionsjahr
2021
Produktionsfirma
Utopia Films
Regie
Youssef Chebbi
Buch
Youssef Chebbi · Gérard Ismaël
Kamera
Imed Aissaoui
Musik
Omar Aloulou
Schnitt
Gérard Ismaël
Darsteller
Nour Hajri (Nada) · Rym Hayouni · Aymen Ben Hmida · Aymen Mejri
Länge
96 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Drama | Thriller
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IMDb | TMDB

Ein tunesischer Horrorfilm um eine junge Serienmörderin, die sich brutal an der Männerwelt rächt.

Diskussion

Eine junge und begehrenswerte Frau zieht nachts durch die Clubs der tunesischen Hauptstadt und reißt Männer auf. Was die Ahnungslosen nicht wissen: Sie fallen in die Hände einer Gewalttäterin, die sich an der Männerwelt rächt – vielleicht aufgrund des Traumas einer persönlichen sexuellen Gewalterfahrung (was an einer Stelle ein surreal anmutender Flashback andeutet), vielleicht auch stellvertretend für ihr Geschlecht. „Black Medusa“, bezugnehmend auf die Figur der monströsen Gorgone aus der griechischen Mythologie, die in der feministischen Deutung des 20. Jahrhunderts zu einem Symbol weiblicher Wut gegen die patriarchalische Gesellschaft wurde, kreist um eine Frau, die sich auf ziemlich radikale Weise die Spielregeln der „rape culture“ angeeignet und sie gegen die Männer gekehrt hat. Das visuell beindruckend erzählte Drama orientiert sich an der Ästhetik klassischer Noir-Filme und spielt mit Verweisen auf Rape-and-Revenge-Movies, jedoch ohne beim Zuschauer Genugtuung auszulösen.

Eine Frau, die nicht redet, lässt Taten sprechen

Nada (Nour Hajri) ist jung und schön, ihre Verehrer sind zahlreich und aufdringlich. In den Partynächten der tunesischen Hauptstadt macht sie Bekanntschaft mit einer Reihe männlicher Aspiranten, die noch keine Ahnung davon haben, was das Schicksal für sie bereithalten wird. Nada nämlich ist eine wahrhafte femme fatale, ein Rachenengel par excellence. Mit einigem Geschick füllt sie – während sie selbst nüchtern bleibt – die Typen systematisch ab und flößt ihnen exakt dosiertes Betäubungsmittel ein, so dass sie just dann umkippen, wenn sie in der Wohnung des jeweiligen Aufreißers angekommen sind. Was dann folgt, entzieht sich zu großen Teilen dem Blick der Kamera, wir Zuschauer bekommen aber genug vom grausamen Geschehen mit, um zu erahnen, was Motiv- und Sachlage ist.

Auf die Männer wirkt die attraktive junge Frau hilflos, da sie nicht spricht und mit ihnen ausschließlich mittels einer App kommuniziert, die schriftliche Eingaben in Gesprochenes verwandelt. Nadas spärliche Kommunikation fällt dabei jedoch kaum ins Gewicht, reden die Typen doch ohnehin die ganze Zeit, und zwar vor allem von sich selbst. Sie fühlen sich als triumphale Eroberer, bis Nada ihnen dann mittels verschiedener zu Waffen umfunktionierter Alltagsgegenstände zu Leibe rückt.

Die Gründe für Nadas Aggression buchstabiert der Film nicht psychologisch-durchleuchtend aus, lässt sie aber erahnen. Das Schlüsselereignis offenbart sich filmisch in einer bedrohlichen Traumsequenz, weniger explizit als anspielungsreich und symbolisch. Der Ausgangspunkt einer Gewaltspirale, in der Nada das nicht Trauma sexueller Übergriffigkeit in Form von immer neuen Taten gegen männliche Stellvertreter des Gewalttäters fortsetzt – ein zum Scheitern verurteilter Bewältigungsversuch.

Rachetaten ohne kathartische Wirkung

Was in anderen Filmen des Rape-and-Revenge-Genres als kathartisches Ereignis idealisiert, inszeniert und bisweilen gefeiert wird, zeigt sich im Film der beiden Regisseure Youssef Chebbi und Ismaël als schwer zu kategorisierendes und ambivalentes Ereignis. Genugtuung über die Racheakte der jungen Frau empfindet man zu keinem Zeitpunkt, auch für die Protagonistin selbst stellen sie sich nicht als kathartisch dar.

Die zahlreichen poetischen und mythologischen Bezugspunkte des Films sind nicht beliebig gewählt, sie verweisen vielmehr auf eine schicksalshafte Fügung, der Nada zu unterliegen scheint und die ihre Freiheitsspielräume entscheidend beschränkt. Nada manövriert sich durch ihre Gewaltakte in eine immer einsamere und ausweglosere Situation hinein. Es dauert nicht lange, bis ihre nächtlichen Streifzüge auch die Aufmerksamkeit ermittelnder Behörden wecken. Während der ganzen Zeit vermag Nada sich dabei niemandem wahrhaft zu offenbaren. Die einzige Person, die ein wenig in der Lage zu sein scheint, zur jungen Frau durchzudringen, eine gleichaltrige Angestellte (Rym Hayouni als Noura) in der Agentur, in der Nada arbeitet, wird von der Protagonistin schließlich auch abgeblockt.

Der #MeToo-Diskurs aus einer arabischen Perspektive

„Black Medusa“ lebt von der intensiven Performance seiner Hauptdarstellerin Nour Hajri, ihr stets lauerndes Agieren, ihr brutal-entschlossenes Kalkül spiegelt sich auch in der äußerst präzisen Inszenierung der Regisseure wider. In markantem, an Noir-Klassiker erinnerndem Schwarzweiß zeigen sie die nordafrikanische Millionenstadt Tunis als Kulminationspunkt der arabischen Welt, an dem traditionelle Lebensformen und westlicher Lebensstil aufeinandertreffen. Die postrevolutionäre und desillusionierte Jugend in den Clubs und Bars, auf die die Protagonistin bei ihren Streifzügen durch die Nacht trifft, könnte sich so auch in den Metropolen New York, Tel Aviv oder Berlin tummeln.

Youssef Chebbi und Ismaëls poetisches Nachtstück präsentiert sich als durchgehend schlüssiges visuelles Narrativ. Um die Handlung voranzutreiben, benötigen sie keine Dialoge und sonstige Erklärungen, der logische Zusammenhang ergibt sich rein aus den Bildmotiven und deren Abfolge. Die gespannte Stimmung unserer Zeit hängt hier in der Luft wie die nächtliche Wärme des sich tagsüber aufheizenden Asphalts in den Straßen. „Black Medusa“ ist so auch ein konsequenter #MeToo-Film geworden, ein Diskurs, der längst auch die arabischen Gesellschaften erreicht hat und dort seine ganz eigenen gesellschaftlichen Reaktionsmuster freisetzt. Die Bedrohungssituation, der sich Frauen in der Öffentlichkeit allzu häufig ausgesetzt sehen, liegt im Film stets in der Luft, egal ob beim nächtlichen Gang durch die Straßen oder während einer Taxifahrt – Nada findet sich bei nahezu jeder Gelegenheit zu einem Sexobjekt degradiert, der man hinterherpfeift, sie volllabert, begrapscht oder gar mit dem Auto den Weg abschneidet.

„Black Medusa“ lässt sich als filmische Meditation über ein wiederkehrendes Muster von Gewalt lesen. Eine eindeutige Antwort auf die übergeordnete Frage, wer für Nadas Taten die Verantwortung trägt, liefern die Filmemacher mit ihrer eindringlich-ambivalenten Arbeit nicht. Ein Film, der durch seine Sinneseindrücke und moralische Fragestellung lange nachwirkt.

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