Dokumentarfilm | Argentinien 2021 | 66 Minuten

Regie: Martín Farina

Der experimentelle Filmessay taucht in die Welt der argentinischen Gauchos zwischen harter Arbeit auf der Rinderfarm und dem ausgelassenen Treiben der Männer im Karneval ein, wo sie sich in spärlich bekleidete, lasziv glitzernde Tänzer verwandeln. Ohne Dialoge entfaltet der sinnliche Film eine Sinfonie aus den Körpern von Männern, Pferden und Rindern, die das Bild animalischer Kraft und Schönheit feiert und zugleich konterkariert. Eine ebenso reizvolle wie rätselhafte Reise in eine exotische Welt voller Arbeit, Erregung, Ekstase und Erschöpfung. - Sehenswert ab 16.
Zur Filmkritik

Filmdaten

Originaltitel
EL FULGOR
Produktionsland
Argentinien
Produktionsjahr
2021
Produktionsfirma
Cinemilagroso
Regie
Martín Farina
Buch
Martín Farina
Kamera
Martín Farina
Musik
Jorge Barilari · Martín Farina
Schnitt
Martín Farina
Länge
66 Minuten
Kinostart
24.02.2022
Fsk
ab 6
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Genre
Dokumentarfilm | Filmessay
Externe Links
IMDb | TMDB | JustWatch

Heimkino

Verleih DVD
GMfilms (16:9, 1.78:1, DD5.1 span.)
DVD kaufen

Bildmächtiges Doku-Essay über die Welt der Gauchos zwischen ritualisierter Männlichkeit und karnevaleskem Überschwang.

Diskussion

Durch einen groben Lattenzaun werden kleine Ferkel schemenhaft sichtbar, dazu sind die Geräusche einer Farm oder eines Bauernhofs zu hören: muhende Rinder, Männerstimmen, Schweine, Pferde und bellende Hunde. Ein Tag auf dem Lande beginnt. Über die Grassteppe weht leiser Wind; ein Schuss fällt, Vögel fliegen auf. Wie ordentlich aufgereiht hängen Spinnen über- und nebeneinander in ihren Netzen. Ein bärtiger junger Mann ist mit der Morgentoilette beschäftigt. Danach trocknet er seine Schuhe über dem Feuer. Der Mann holt Sattelzeug aus der Hütte; über dem Zaun hängen Fleisch und Eingeweide.

Auf der anderen Seite

Schon der Beginn von „El Fulgor“ von Martin Farina ist so eigenwillig wie exotisch. Die Bilder aus der argentinischen Pampa zeigen zunächst die alltäglichen Verrichtungen der Gauchos auf einer Rinderfarm. Die jungen Männer verrichten Hilfs- und Zuarbeiten, die Älteren übernehmen die Leitung. Fleisch wird geschnitten, gewaschen und vermischt. Pferde werden verladen, Rinder drängen sich mit weit aufgerissenen Augen dicht nebeneinander durch enge Gänge in den Pferch – es scheint, als wüssten sie, was auf sie zukommt.

Auf der anderen Seite des Flusses liegt die Stadt. Dort laufen die Vorbereitungen auf den Karneval; überall herrscht reges Leben. Mittendrin: der Bärtige und andere Gauchos. Sie kostümieren sich für die große Parade. Glitzernde, knappe Höschen und weiße Strumpfhosen werden über Männerschenkel gezogen, darüber klappern bestickte Lendenschurze, manche mit roten Herzchen. Federkronen schmücken die Köpfe, golden glänzende Beinschienen und gekreuzte Sandalenbänder erinnern an römische Rüstungen, Pferdemasken werden übergestreift. Zum Schluss noch das Make-up: balkendicker Lidstrich, bunter Lidschatten, Gesichtspuder.

Dann geht es los: Die große Karnevalsparade startet zwischen eng besetzten Tribünen. Die Gauchos sind zu Tänzern geworden, die sich mit Applaus und Gejohle von der jubelnden Menge feiern lassen. Unter den Blicken von Frauen, Männern und Kindern tanzen sie sich in Ekstase. Später folgt auf die Party die Katerstimmung. Wenn der Müll aus den Straßen gefegt wird, kehren die Gauchos zurück über den Fluss oder schlafen am Wegrand ein.

Eine Sinfonie der Körper

All das beruht auf Interpretation, denn hier wird nichts erklärt. Der künstlerisch gestaltete Essayfilm ist eine sinnliche Performance, eine Sinfonie der Körper von Männern, Pferden und Rindern, die sich zum feurigen Karnevalstreiben hin steigert. Über den rauschhaften Bildern, mal in Farbe, mal in Schwarz-weiß, mit symbolhaften Clips, die sich gelegentlich wiederholen, und mit Hilfe von Vor- und Rückblenden lässt Farina den Karneval Revue passieren; er baut ihn in das Farmleben ein und stellt ihn als erstrebenswertes Ziel, aber auch als verblassende Erinnerung dar.

Der bärtige Jung-Gaucho ist dabei so etwas wie ein Hauptdarsteller. Sein hübsches, freches Gesicht mit den weißen Flecken auf der gebräunten Haut studiert Farina bis in alle Einzelheiten, ähnlich wie die Gesichter von Kühen und Pferden. Auf den Flanken und Rücken der Tiere ruht die Kamera genauso wie auf den nackten Körpern der jungen Männer, die sich umziehen und kostümieren. Ihre unbekümmerte Nacktheit setzt Farina gegen die Laszivität ihrer Kostüme, die manchmal sogar ein wenig albern wirken, und gegen die ritualisierte Arbeit auf der Farm.

Arbeit und Ekstase

Die Inszenierung verzichtet komplett auf Dialoge; stattdessen sind die Bilder mit Originaltönen und musikalischen Rhythmen zwischen Free-Jazz und Ethno-Pop unterlegt. Der Film feiert die stumme Schönheit der Darsteller, die er in einen direkten Zusammenhang mit der animalischen Kraft der Tiere setzt, mit den Muskeln der Rinder und Pferde. Hier geht es nicht um Namen und Gesichter, sondern um eine Sinfonie des Fleisches, um Männlichkeit und um Rituale, die das Bild vom taffen Kerl zunächst zu bestätigen scheinen, um es im nächsten Augenblick zu konterkarieren.

Farinas reine Männergesellschaft kommt ohne Sprache aus. Es gibt nur Arbeit, Erregung, Ekstase und Erschöpfung. Der Film wirkt wie ein Liebesakt in symbolischen, sehr ästhetischen Bildern, wie eine Hymne an die Kraft der Natur, aber ohne jeden Schwulst. Am Ende sucht sich ein nackter Mann seinen Weg durch das flirrende Grün des Flusstals und wird eins mit seiner Umgebung.

Kommentar verfassen

Kommentieren