Drama | USA 2021 | Minuten

Regie: Craig Gillespie

Eine achtteilige Serie über den Skandal um die Veröffentlichung eines privaten Sexvideos der Schauspielerin Pamela Anderson („Baywatch“) und ihres damaligen Ehemanns, des Rockmusikers Tommy Lee, das Mitte der 1990er-Jahre aus dem Haus der beiden gestohlen wurde und Raubkopie mit Hilfe des Internets eine breite Öffentlichkeit erreichte. Dabei steht unter anderem jener gesellschaftliche Wandel im Fokus, den die neuen Formen der Öffentlichkeit durch das Internet herbeiführten. Visuell ohne Zurückhaltung und selbst nicht frei von Sensationslust, stellt die Serie durchaus mit Nachdruck Fragen nach Grenzüberschreitungen im Umgang mit Prominenten. - Ab 16.
Zur Filmkritik

Filmdaten

Originaltitel
PAM & TOMMY
Produktionsland
USA
Produktionsjahr
2021
Produktionsfirma
Annapurna Pic./Annapurna Television/Limelight/Point Grey Pic./Ramona Films
Regie
Craig Gillespie · Gwyneth Horder-Payton · Hannah Fidell
Buch
Robert Siegel · D.V. DeVincentis
Kamera
Paula Huidobro
Musik
Matthew Margeson
Schnitt
Tatiana S. Riegel · Annette Davey · Michael Giambra · Eric Kissack
Darsteller
Lily James (Pamela Anderson) · Sebastian Stan (Tommy Lee) · Nick Offerman (Miltie) · Taylor Schilling (Erica) · Seth Rogen (Rand)
Länge
Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Drama | Serie

Eine Serie über den Skandal um die Veröffentlichung eines privaten Sexvideos der Schauspielerin Pamela Anderson ("Baywatch")und ihres damaligen Ehemanns Tommy Lee, das Mitte der 1990er aus dem Haus der beiden gestohlen worden war und als Raubkopie via Internet eine breite Öffentlichkeit erreichte.

Diskussion

„Wie fühlt es sich an, plötzlich so entblößt zu werden?“ Pamela Anderson bleibt bei dieser Frage von Jay Leno schlicht die Spucke weg. Worauf der US-Talkmaster zu Beginn von „Pam & Tommy“ anspielt, ist das berüchtigte Sexvideo, das die „Baywatch“-Darstellerin mit ihrem damaligen Ehemann Tommy Lee beim Flitterwochen-Sex zeigte. 1995 gelangte es durch einen Diebstahl in die Öffentlichkeit, erlangte immer weiter Verbreitung, bis sich kaum noch jemand fand, vor dem sich das Paar nicht bis ins Privateste entblößt fühlen konnte.

Pam bleibt Jay die Antwort erst einmal schuldig. An ihrer Stelle rollt die Serie „Pam & Tommy“ als realsatirisches 1990er-Zeitbild die Affäre rund um das legendäre Sexvideo in 8 Folgen auf. Dabei stellt sie den Titelfiguren als dritte Hauptfigur den Mann gegenüber, der ein Jahr vor diesem TV-Auftritt für die Veröffentlichung der Aufnahmen verantwortlich war. Im Juli 1995 schießt der Handwerker Rand Gauthier (gewohnt großartig: Seth Rogen) mit einer Nagelpistole Nägel ins Holz eines beeindruckenden Prunkbetts, während aus dem Stockwerk über ihm unmissverständliches Stöhnen dringt. So sehr ist der gutmütige Schreiner in das rhythmische „Nageln“ vertieft, dass sich seine Hand verkrampft. Fatboy Slims „Praise You“ tönt über den Bildern, als sich Rand aus seinem vor der Malibu-Villa geparkten Lieferwagen eine Salbe holt.

Die Arbeit in der Villa des Paares Lee-Anderson läuft wahrlich alles andere als geschmiert. Bevorzugt in knappen Tiger-Tangas, geschmückt mit Tattoos und Brustwarzen-Piercings springt „Mötley Crüe“-Drummer Tommy Lee (Sebastian Stan) vor den Handwerkern herum und verweigert ihnen konsequent die Entlohnung. MAYHEM steht auf seinem Bauch. Und eine Art mentales Verstümmelungschaos veranstaltet Tommy Lee auch mit Rand. Immer teurere Einrichtungsideen zaubert er, gerne auch mal bewaffnet, aus dem Hut – bis er Rand endgültig ohne Bezahlung und Werkzeugkoffer an die Luft setzt.

Aus dem privaten Safe ins World Wide Web

Rand sinnt auf Rache. Als Tommy Lees persönliche „Karma“-Heimsuchung plant er einen Einbruch, der mit mehr Glück als Verstand sogar klappt. Der gemopste Safe des Paares entschädigt mit etwas Bargeld, Schmuck und einer ominösen Video-Kassette. Deren Inhalt? So heiß, dass Rands alter Bekannter Milton, ein Porno-Impresario mit den Plänen einer „Cockbuster“-Videokette, sofort drauf anspringt. Nur will das Video keiner der Porno-Verleiher ohne Einwilligung der Protagonisten veröffentlichen. Und so besinnt sich Rand auf einen anderen Distributionsweg: Dieses neue World Wide Web. Und da lauern die Geister, die man tatsächlich nie mehr loswird.

In „Pam & Tommy“ entführt Regisseur Craig Gillespie („I, Tonya“) in eine Zeit, in der es Zugänge zum Internet fast nur in Bibliotheken gab, in der man sich mit laut tutenden und klickenden Routern erst einwählen musste, bevor der Aufbau einer simplen Webseite so lange brauchte wie heutzutage das Herunterladen mehrerer Gigabyte großer Videodateien. „Pam & Tommy“ malt ein Zeitengemälde der poppigen Sounds und Outfits der 1990er-Jahre, wie sie gerade wieder zurückkehren: Knallenge Bonbon-Latex-Dresses, Tierfell-Imitate und überdimensionierte Hüte auf zu Dreadlocks gedrehten Haaren. Geschickt wechselt die Serie die Zeitebenen und Perspektiven, startend mit der von Anbeginn stark körperlichen Anziehung von Pam und Tommy bis hin zur kontrastierend „normalen“ Begegnung von Rand mit Porno-Darstellerin Erika. Fünf Jahre später ist Rand immer noch in seine mittlerweile in einer lesbischen Beziehung lebende Exfrau verliebt und hadert damit, die Scheidungspapiere zu unterzeichnen.

Die Dämmerung eines neuen Zeitalters

Die Sympathiepunkte werden neu verteilt, wobei die negative Zeichnung von Tommy Lee in der ersten Folge, in der auch Pamela nur eine wortlose Puppe bleibt, wohl kalkuliert ist. Allmählich wird sie revidiert, wenn man die Drucksituation kennenlernt, in der sich die beiden Promis im von harter Konkurrenz geprägten Showbiz befinden. Pam wird von den männlichen Tonangebern der Branche konsequent auf ihr Aussehen reduziert; ihre zunehmende Prominenz und ihren Marktwert in mehr Einflussnahme und eine Karriere als ernstzunehmende Schauspielerin umzuwandeln, gelingt ihr nicht. Die Glamrock-Musik von Mötley Crüe wirkt im Zeitalter des Grunge gnadenlos überholt. Ausgerechnet aus der Grunge-Hochburg Seattle stammt denn auch der Computer-Yuppie, der zur Nemesis von Rands Vermarktungsplänen wird. Die Jugend kommt zum Zug, während die vorangegangene Generation mit der eigenen Irrelevanz konfrontiert wird, die Kontrolle über die eigenen und fremd kreierten Bilder verliert und sich gegenseitig verklagt. Wobei gerade diese Klagen eine ganze Kaskade neuer ungewollter Aufmerksamkeit beherbergen. Man nennt es auch den (Barbra-)Streisand-Effekt.

Die öffentliche Wahrnehmung unterlag einer Umbruchsphase, nach der das Privatleben der Stars unter ganz anderen Moralkriterien verhandelt wurde. Das hält die Serie indes selbst nicht davon ab, tief in den Wunden der Figuren zu wühlen. Wie schon beim Eiskunstläuferinnendrama I, Tonya arbeitet Gillespie dabei ein durchaus vielschichtiges Porträt einer Karrierefrau in einer auf Äußerlichkeiten und öffentlichem Image pochenden Branche heraus – angefangen mit Pamelas rührend unschuldig absolviertem, ersten Foto-Shooting auf der „Playboy“-Mansion mitsamt Brust-OP-Plänen, die von ihrer vor Stolz platzenden Mutter auch noch unterstützt wurden.

Der Rückblick auf den Beginn von Pamelas Karriere führt jene Gender-Verhältnisse in der Unterhaltungsindustrie drastisch vor Augen, die nun im „MeToo“-Zeitalter angeprangert werden. Etwa wenn Pam ganz selbstverständlich und vor den Augen der „Baywatch“-Produzenten der ikonische rote Badeanzug am Hintern zurechtgerückt wird. Gerade so knapp, dass die Zensur nicht aufmuckt. Das „Recht auf freie Meinungsäußerung“ in Form der Sexvideo-Veröffentlichung, durch ausnahmslos männliche Akteure der Erwachsenenunterhaltung, steht über Pams Recht aufs intimste eigene Bild. Ewig abonniert auf das platinblonde Sexsymbol, scheint die junge Frau mit dem Verkauf der Nacktbilder auch privat die Kontrolle über ihren Körper verloren zu haben – höchstrichterlich bestätigt.

Außer Kontrolle geratene Bilder

Pam wird zum Opfer eines außer Kontrolle geratenen Streits, den Tommy Lee mit einem betrogenen, auf Rache schwörenden Handwerker vom Zaun brach. Sie ist es, die glasklar die gesellschaftlich extrem ungleich aufgenommene Entblößung des weiblichen Körpers analysiert: „It’s because I am a woman.“ – was partout nicht in Tommy Lees Kopf gehen will.

Dabei muss sich die Entstehung der Serie „Pam & Tommy“ für Pamela Anderson und Tommy Lee wie ein zweites „Waterloo der Bilder“ angefühlt haben: Die realen Sex-Aufnahmen von damals werden zwar ausgespart. Dafür geizt die Serie an anderer Stelle nicht mit nackten Brüsten, knapp bedeckten Hinterteilen und ein paar Nahaufnahmen von Tommys sprechendem Penis. Einerseits prangert „Pam & Tommy“ den Voyeurismus der Menschen mitsamt seinem Zerstörungspotential an. Auf der anderen Seite schlägt die Serie in genau dieselbe Kerbe. Eine Zustimmung zum Serienstoff gab es von den beiden Stars auf jeden Fall nicht. Im Gegenteil: History repeating. Wieder ist Pamela und Tommy das Recht am eigenen Bild beziehungsweise an der eigenen Geschichte abhandengekommen. Verstärkt wird dieser Effekt durch zwei kongenial besetzte Hauptdarsteller, die eine verblüffend ähnliche Kopie der beiden abliefern.

Es ist eine vielschichtige Faszination, die „Pam & Tommy“ auslöst. Hier werden sprichwörtliche „Windows“ zu einer Zeit aufgestoßen, die viele Zuschauer noch als freiheitsliebend, bunt und etwas verrückt im Hinterkopf haben – und vielleicht auch vermissen. Eine Zeit, in der Stars noch eine geheimnisvolle Aura umgeben konnte. Gleichzeitig geht es um den unaufhaltsamen Anbruch der digitalen Ära, in der sich alles an Informationen in Bits und Bytes einhegen, aber eben auch verbreiten lässt. Ein totaler Kontrollverlust ist die Folge – über die Bilder, über die Wahrheit und über die gesellschaftspolitischen Konsequenzen verbreiteter Inhalte.

Die Musik wird von nun an im Internet der Totalentblößung spielen. Oder wie tönte es bei Fatboy Slim, irgendwo zwischen Nostalgie und Bewunderung: „We’ve come a long, long way together. Through the hard times and the good. I have to celebrate you baby. I have to praise you like I should.“

Kommentar verfassen

Kommentieren