The Eyes of Tammy Faye

Biopic | USA 2021 | 126 Minuten

Regie: Michael Showalter

Ein biografischer Spielfilm über das Leben der US-amerikanischen Fernsehpredigerin Tammy Faye, die ab den 1960er-Jahren gemeinsam mit ihrem Ehemann Jim Bakker ein christliches Medienimperium aufbaute, das revolutionär modern und genussbetont war, aber auch auf Lügen und Spendenbetrug fußte. Vom kometenhaften Aufstieg bis zum tiefen Fall zeichnet das glänzend gespielte Drama die Entwicklungen nach, wie die Protagonisten zunehmend an ihren Widersprüchen zerbrechen. Die überkandidelte, zugleich pathologisch verdrängende, aber für aufrichtige Nächstenliebe einstehende Protagonistin bleibt in ihre Ambivalenz durchgehend spannend. - Sehenswert ab 14.
Zur Filmkritik

Filmdaten

Originaltitel
THE EYES OF TAMMY FAYE
Produktionsland
USA
Produktionsjahr
2021
Produktionsfirma
Fox Searchlight Pictures/Freckle Films/MWM Studios/Semi-Formal Productions
Regie
Michael Showalter
Buch
Abe Sylvia
Kamera
Mike Gioulakis
Musik
Theodore Shapiro
Schnitt
Mary Jo Markey · Andrew Weisblum
Darsteller
Jessica Chastain (Tammy Faye Bakker) · Andrew Garfield (Jim Bakker) · Cherry Jones (Rachel Grover) · Vincent D'Onofrio (Jerry Falwell) · Mark Wystrach (Gary Paxton)
Länge
126 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Genre
Biopic | Drama | Tragikomödie
Externe Links
IMDb | TMDB | JustWatch

Biografisches Drama um die christlich-evangelikale Sängerin Tammy Faye (1942-2007) und ihre Ehe mit dem Fernsehprediger Jim Bakker, die gemeinsam das christliche Fernsehnetzwerk PTL gründeten.

Diskussion

Die kleine Tammy Faye ist die Schande ihrer Familie. Während des Gottesdienstes muss sie vor der Tür warten, um die konservative Gemeinde nicht daran zu erinnern, dass ihre Mutter (Cherry Jones) schon einmal verheiratet war. Das Mädchen will sich jedoch nicht in sein Schicksal fügen. Als Tammy Faye, aus der später eine berühmte Fernsehpredigerin wird, die Kirche schließlich doch betritt, fällt sie umgehend in Trance, spricht in Zungen und absolviert so ihren ersten großen Auftritt.

Religion und Hedonismus

Regisseur Michael Showalter porträtiert in dem auf dem gleichnamigen Dokumentarfilm basierenden Film „The Eyes of Tammy Faye“ eine Protagonistin, die schon als Kind über schauspielerisches Talent verfügte und es mit der Wahrheit nicht so genau nahm. Als sich Tammy Faye (Jessica Chastain) und ihr späterer Ehemann und Geschäftspartner Jim Bakker (Andrew Garfield) Jahre später bei einer Bibelstunde kennenlernen, vereint sie ihre revolutionäre Haltung innerhalb der evangelikalen Szene. Die für eine gläubige Christin ungewöhnlich stark geschminkte Tammy Faye und ihr Freund mit der Betonfrisur und dem jungenhaften Gesicht sehen in der Religion nicht Leid und Verzicht, sondern Freude, Lust und Konsum. Bei einem ihrer ersten Dates wandert Fayes Hand in den Schritt ihres Freundes, während sie gleichzeitig beteuert, der Versuchung zu widerstehen. In diesem Widerspruch liegt gewissermaßen das Erfolgsgeheimnis der beiden begründet.

Mit der festen Überzeugung, dass auch Religion Verführungskraft besitzen und mit der US-amerikanischen Unterhaltungsindustrie kompatibel sein müsse, werden Faye und Bakker schnell zu christlichen Popstars. Erst unterhalten sie Kinder mit Stoffpuppen, später gründen sie mit „PTL“ (Praise the Lord) ihren eigenen Fernsehsender sowie einen christlichen Freizeitpark. Konkurrenten wie dem erzkonservative Pastor Jerry Falwell (Vincent D'Onofrio) ist dieses genussorientierte Imperium selbstredend ein Dorn im Auge.

Der Glaube wird zur Ausrede

Der Film zeichnet Faye und Bakker als aus Ehrgeiz und Charisma geborene Entertainer. Ihr Privatleben setzen die beiden publikumswirksam in Szene. Die Nachricht vom ersten Baby wird ebenso vor laufender Kamera verkündet wie später Fayes Seitensprung unter Tränen diskutiert. Die Strategie, zugleich ehrlich und manipulativ zu sein, ist lange von Erfolg gekrönt. Ein wiederkehrendes Moment sind eindringlich vorgetragene Monologe mit Spendenaufruf, auf die der sich zunehmend verdichtende Lärm der klingelnden Zuschauertelefone als Bestätigung folgt.

Der Glaube wird für beide zur ständigen Ausrede. Ob es veruntreute Spendengelder, angehäufte Schuldenberge oder lasterhafte Exzesse sind: irgendwie wird das schon Gottes Wille gewesen sein. Und wenn sich etwas gar nicht mehr schönreden lässt, ist eben der Teufel schuld. Schien die Verschränkung von Glaube und Hedonismus zunächst noch bahnbrechend, gehen die beiden zunehmend an ihren notorischen Lügen zugrunde.

Und doch sucht „The Eyes of Tammy Faye“ in der Hochstapelei auch stets die gute Absicht. Besonders Faye kommt einem durch ihr Leid spürbar näher. Jim Bakker beginnt sich immer mehr von seiner Frau zu distanzieren und sie mit passiv-aggressiven Attacken zu verunsichern. Ihre Verzweiflung verbirgt sie hinter einer Mauer aus Schminke und einer wachsenden Tablettensucht. Ihre optimistischen, im Singsang vorgetragenen Oneliner spult Tammy Faye irgendwann nur noch wie eine Maschine ab. Wenn gegen Ende des Films die Perücken immer skurriler werden und die Mimik immer bizarrer, überdeckt auch Jessica Chastains schauspielerische Anstrengung manchmal ihre Figur.

Faszinierend bleibt aber auch hier die von ihr geschaffene Grauzone aus unerschütterlicher Zuversicht und pathologischer Verdrängung. „The Eyes of Tammy Faye“ zeigt den Verfall, taucht aber auch immer wieder in die selbst geschaffene Welt der Protagonistin ein. Ein emotionaler Comeback-Auftritt in sehr bescheidenem Rahmen verwandelt sich in ihrer Fantasie zu einer glamourösen Großveranstaltung mit schmetterndem Backround-Chor.

Jessica Chastain gibt ihrer Figur eine Seele

Jessica Chastain füllt das überkandidelte Auftreten ihrer Figur mit einer Seele. Tammy ist scheinbar furchtlos, nimmt buchstäblich am Männertisch Platz, redet wie ihr der Schnabel gewachsen ist und bricht für viele Christen ein Tabu, wenn sie in ihrer Sendung über Erektionsprobleme spricht oder Mitgefühl für schwule AIDS-Kranke fordert. Für kurze Momente lebt sie fast vorbildhaft einen Glauben, der sich den Herausforderungen der Wirklichkeit stellt.

Gegen Ende gibt es eine Szene, in der sich einige Jugendliche über das immer groteske Erscheinungsbild der bereits tief gestürzten Fernsehpredigerin lustig machen. Statt die Spötter zu belehren, verunsichert Faye sie, indem sie ihnen die Hand entgegenstreckt. Für den Film ist dieser Moment exemplarisch, weil er seiner Protagonistin immer dann, wenn sie zur Karikatur zu werden droht, emotional näherkommt. Die titelgebenden Augen mögen von künstlichem Permanent-Make-up und falschen Wimpern gerahmt sein, aber in ihnen flackert doch auch aufrichtige Nächstenliebe.

Kommentar verfassen

Kommentieren