Drama | Frankreich 2020 | 102 Minuten

Regie: Arnaud Desplechin

Ein jüdisch-amerikanischer Autor lebt Ende der 1980er-Jahre in London und trifft sich regelmäßig mit einer verheirateten Engländerin. Während die Affäre ihren Fortgang nimmt, spielen auch seine abgekühlte Ehe, verschiedene ehemalige Geliebte und frühere Berührungen mit dem kommunistischen Osteuropa eine Rolle – wobei offenbleibt, wie viel nur in seiner Fantasie stattfindet. Die Verfilmung eines Romans von Philip Roth nutzt die Vorgaben für ein konzentriertes, ausgezeichnet gespieltes Dialogdrama, das permanent Zweifel an der Realität des Geschehens sät. Dem selbstbezogenen Autor steht eine Riege facettenreicher Frauenfiguren gegenüber, die seine künstlerische Kreativität erst möglich machen. - Ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
TROMPERIE
Produktionsland
Frankreich
Produktionsjahr
2020
Produktionsfirma
Why Not Prod./Canal+/Ciné+
Regie
Arnaud Desplechin
Buch
Arnaud Desplechin · Julie Peyr
Kamera
Yorick Le Saux
Musik
Grégoire Hetzel
Schnitt
Laurence Briaud
Darsteller
Denis Podalydès (Philip) · Léa Seydoux (Die englische Geliebte) · Emmanuelle Devos (Rosalie) · Anouk Grinberg (Philips Frau) · Madalina Constantin (Die Tschechin)
Länge
102 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Drama | Literaturverfilmung

Verfilmung eines Romans von Philip Roth um einen amerikanischen Autoren, der sich in London mit einer Geliebten trifft.

Diskussion

Wie haust ein Schriftsteller im selbstgewählten Exil? Zu Beginn sind es nur unverputzte, raue Lehmwände, die den US-Autor Philip und seinen Schreibtisch umgeben, bis dieser seine Geliebte auffordert, sein Arbeitszimmer in London zu beschreiben. Erst jetzt tauchen die einzelnen Elemente auf und setzen das Büro zusammen: Die vorhanglosen Fenster, die Bücherregale mit Inhalt, die Lampen, Stühle und Sessel, der Papierkorb, die Muster an Decke und Fußboden und auch die wichtigsten Kennzeichen der schriftstellerischen Arbeit in Form der Schreibmaschine, zahlreicher Zeitungsausschnitte und Notizen.

Der Autor mag diesen Aufbau des Raums durch seine Geliebte als Spiel inszenieren, in dem er vermeintlich die Kontrolle behält; tatsächlich jedoch entsteht schon hier der Eindruck von Planlosigkeit auf seiner Seite. Die kulturelle Entwurzelung durch den Umzug nach London hemmt ihn offensichtlich in seiner Arbeit; die prominent auf einem Extra-Tisch platzierte Schreibmaschine wird während der ganzen Zeitspanne, die der Film „Deception“ umfasst, nicht einmal in Aktion zu erleben sein. Stattdessen verfasst Philip nach den Treffen mit seiner Geliebten sowie anderen Begebenheiten Notizen von den geführten Gesprächen, dies aber so eifrig, dass sich unweigerlich Fragen nach dem Verhältnis von Leben und Fiktion stellen: Hat Philip ein ausgefülltes Dasein und ist es nur natürlich, wenn er sich davon auch als Künstler inspirieren lässt? Oder hält er womöglich seine Affäre, den Kontakt mit früheren Partnerinnen und die Freundschaft mit alten Weggefährten vor allem deshalb aufrecht, damit sein Leben potenziell konfliktreich bleibt, weil ihm sonst keine Einfälle kommen wollen?

Die Grenzen zwischen Autobiografischem und Fiktionalem verwischt

Diese Fragen warf bereits das 1990 erschienene Buch von Philip Roth auf, ein Werk, bei dem schon die Einordnung als Roman nicht leicht ist, da es nur aus Dialogen besteht – überwiegend zwischen einem jüdisch-amerikanischen Schriftsteller und seiner englischen Geliebten am Rande ihrer amourösen Zusammenkünfte, aber auch zwischen dem Autor und seiner Frau und anderen Personen. Zum ersten Mal in seiner Laufbahn gab Roth bei „Deception“ („Täuschung“) dem Protagonisten seinen eigenen Namen und leistete damit noch mehr als bei anderen Werken Spekulationen Vorschub, wo die Grenzen zwischen autobiografischen und fiktionalen Stellen zu suchen seien. Zweifellos eine Vorlage mit spezieller Faszinationskraft für den französischen Filmemacher Arnaud Desplechin, der in seinen Arbeiten immer wieder ein ähnliches Spiel mit autobiografisch beeinflussten Stellvertreterfiguren getrieben hat, Intellektuellen und Künstlern mit wiederkehrenden Nachnamen wie „Dédalus“ und „Vuillard“.

Das starke Interesse an jüdischen Perspektiven prägt Desplechins Schaffen ohnehin, wie es derzeit unter nicht-jüdischen Filmschaffenden wohl nur noch mit dem von Maria Schrader vergleichbar ist – auch von daher liegt die Affinität des Regisseurs zu Philip Roth nahe. Im Falle von „Deception“ kommen auch noch Rückblicke des Buchs auf Berührungsmomente mit dem kommunistischen Osteuropa in den 1970er- und 1980er-Jahren dazu, wie sie auch in früheren Desplechin-Filmen wie „Meine goldenen Tage“ schon eine wichtige Rolle spielten.

Alles nur eine Kopfgeburt?

Dementsprechend evident ist der Spaß, den der Regisseur an dem Stoff gehabt hat. Seine Ende 1987 einsteigende Adaption weicht von Anfang an von dem strengen Konzept ab, das die Vorlage nahelegt. Das Arbeitszimmer, das fast ausschließlich in der Funktion als Liebestreff gezeigt wird, versteht Desplechin als Raum der fließenden Einheiten, der sich bei Bedarf jederzeit verwandeln kann, etwa in eine abstrakte weiße Sphäre oder in eine Theaterkulisse mit fallendem Schnee. Erinnern diese Einfälle an die Werke von Alain Resnais oder Jacques Rivette, ist „Deception“ in seinen Szenen einer Affäre näher bei Ingmar Bergman; doch statt die unbarmherzig starre Kamera-Insistenz der Filme des Schweden nachzuahmen, löst Desplechin die Dialoge immer wieder durch unerwartete Schnitte und Wechsel der Kamera-Einstellungen auf.

Damit befeuert er die Frage, ob der Zuschauer vielleicht nur Zeuge einer (etwas sprunghaften) Kopfgeburt des Autors wird, noch mehr. Selbst die Zwänge des Kammerspiels akzeptiert der Filmemacher nur bedingt und wechselt mitunter in Pubs oder auf eine Parkbank, wo die Liebenden in ein unnatürlich strahlendes Abendrot getaucht werden, wie es mit dem – oft erwähnten – trüben englischen Winter kaum vereinbar scheint. Denn auch im Spiel mit den Jahreszeiten stellt sich der Film gegen die Erwartungen: Hier entflammt die Liebe im Herbst, um nach einem leidenschaftlichen Winter im Frühling kühl auszulaufen.

Glänzende Darstellerleistungen

Die daraus erwachsende dialogische Reflexion bleibt nahe an Roths Vorgaben und kreist mal sachlich, mal zärtlich, mal mit derber Direktheit um Romantik und Sex, Erfüllung und Enttäuschung, um immer wieder auch andere Themen zu streifen. So beziehungsreich Desplechins Inszenierung ist, so konsequent hält er sich an die Dialoge der Vorlage, was Bereitschaft einfordert, tief in die amourösen Befindlichkeiten zweier jeder für sich wohlgestellter und eher selbstbezogener Liebender Ende der 1980er-Jahre einzutauchen. Zum Glück machen die Darsteller ihre Sache ausgezeichnet: Frankreichs führender Leinwand-Melancholiker Denis Podalydès deckt Philips neurotischen Kontrolldrang auf, ohne die Figur je ganz unsympathisch werden zu lassen, Léa Seydoux stattet die Geliebte mit einer immer leicht spöttischen Haltung aus, die für die emotionalen, profanen oder auch machistischen Vorstöße ihres Liebhabers stets gewappnet wirkt. Auch Philips Ehefrau und mehrere frühere Geliebte von ihm werden von charismatischen Darstellerinnen gespielt, wobei der eindrücklichste Kurzauftritt Emmanuelle Devos als krebskranker Ex-Vertrauter gehört.

Sollten die Frauencharaktere wirklich nur Fantasien des Autors sein? Dann sind sie jedenfalls von ungewöhnlichem Facettenreichtum. Und zudem klar überlegen, denn an einem ließ schon der Anfang keinen Zweifel zu: So groß das Ego des Autors auch sein mag – ohne Beistand und Führung der Frauen wäre sein Dasein nichts als wüst und leer.

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