Drama | Türkei 2019 | 95 Minuten

Regie: Leyla Yilmaz

Ein insgeheim schwuler türkischer Jugendlicher sieht sich durch ein Foto in den sozialen Netzwerken geoutet, obwohl das Bild lediglich falsch interpretiert wurde. Das bringt ihn in Erklärungsnöte vor seinen homophoben Freunden im Wassersportverein, sodass er sich zunehmend isoliert; da seine Eltern sich ihrerseits in Beziehungsproblemen aufreiben, bekommt er auch von dieser Seite keine Unterstützung. Ein stilles, unaufgeregtes, dabei aber nicht minder aufwühlendes Drama über eine Gesellschaft der Ausgrenzung und Doppelmoral. Dabei versteht sich der Film weniger als kämpferisches Pamphlet für die (sexuelle) Freizügigkeit denn als eindringliches Plädoyer für das Freisein. - Ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
BILMEMEK
Produktionsland
Türkei
Produktionsjahr
2019
Produktionsfirma
FGS Film
Regie
Leyla Yilmaz
Buch
Leyla Yilmaz
Kamera
Meryem Yavuz
Schnitt
Osman Bayraktaroglu
Darsteller
Emir Ozden (Umut) · Senan Kara (Selma) · Yurdaer Okur (Sinan) · Levent Üzümcü (Atila) · Çetin Sarikartal (Kemal)
Länge
95 Minuten
Kinostart
02.06.2022
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Drama
Externe Links
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Heimkino

Verleih DVD
Pro-Fun (16:9, 2.35:1, DD5.1 türk.)
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Drama um einen türkischen Jugendlichen, der durch ein vermeintlich kompromittierendes Foto in die Schusslinie seiner homophoben Kameraden aus dem Wassersportverein gerät.

Diskussion

Lebenskonzepte scheitern manchmal recht beiläufig. Eigentlich hat sich Umut (Emir Ozden) mit seinen 17 Jahren ganz gut mit sich und seiner Umwelt arrangiert. Seit er denken kann, durchpflügt er in seiner türkischen Heimatstadt mit den Kumpels das gechlorte Wasser des örtlichen Schwimmvereins im sportlichen Kampf um den Ball. Seine Familie ist fest im gutbürgerlichen Mittelstand der Doppelverdiener verankert, mit Vater Sinan (Yurdaer Okur) und Mutter Selma (Senan Kara) als treusorgenden Eltern.

Doch so freigeistig und modern, wie sich der Alltag an der Oberfläche gibt, ist er mitnichten. Im Herzen ist sein Vater ein Chauvinist und Autokrat, der seiner als Ärztin arbeitenden Frau und erst recht seinem Sohn jenseits eng gefasster Rollenklischees keine Luft zum Atmen lässt. Die Frau dient, der Mann herrscht, und der Nachkomme hat zuallererst die Familie, sprich: den Vater stolz zu machen. Daher ist die steile Karriere in der Schule und im Sport oberstes Gebot und das Stipendium mit Auslandsaufenthalt alternativlos.

Der Sohn gerät in Erklärungsnot

Während die Eltern zumindest am Abendbrottisch noch gesittet zusammensitzen, weil sie sich während der Arbeitszeit Beziehungsfreiräume nehmen können, bereiten Umut die Friktionen innerhalb der Familie zunehmend Sorgen. Dabei ist sein eigenes Leben kaum weniger frei davon. Umut hat sich noch nicht öffentlich zu seiner Homosexualität bekannt, und das Fehlen weiblicher Begleitung fällt inzwischen auch im Kreis der Wasserball-Kollegen auf. Als dann noch ein vermeintlich kompromittierendes Foto die Runde in den sozialen Medien macht, ist Umut auch bei seinen sämtlich heterosexuellen Freunden in Erklärungsnot. Dabei tut es nichts zu Sache, dass das Bild kein eng umschlungenes Paar zeigt, sondern Umut nur einem von Schul-Rowdies zusammengeschlagenen Jungen helfen wollte. Die offen homophobe Gemeinschaft im Sportverein droht Umuts Ruf nachhaltig zu zerstören.

In ihrem zweiten Langfilm erzählt Regisseurin und Autorin Leyla Yilmaz von einem in der türkischen Gesellschaft mit einem Tabu belegten Thema. Sexuelle Spielarten jenseits der Heterosexualität werden besonders unter der aktuellen konservativen, kaum mehr säkularen Regierung im günstigsten Fall ignoriert, im schlimmsten Fall mit Repressionen belegt. Kaum effeminierte, sich aber der LGBTQ-Bewegung zurechnende Männer werden offiziell nicht als „schwul“, sondern als „heterosexuell auf homoerotischen Erfahrungsreisen“ klassifiziert.

Ein Mensch in einer unfreien Gesellschaft

Yilmaz’ Protagonist Umut bewegt sich als maskuliner, nicht offen schwul auftretender Mann zudem in einem typischen „Männersport“, in dem jegliches Nichtheterosexuellsein stigmatisiert wird. Die Autorin vermeidet es aber, ein emotional aufbrausendes Liebesdrama daraus zu stricken. Umut ist weder in einer Beziehung, noch spielen sexuelle Interaktionen überhaupt eine dramaturgische Rolle. Vielmehr zeigt Yilmaz grundsätzlicher, was mit einem Menschen in einer latent unfreien Gesellschaft passiert, wenn er sich nicht dazu entschließt, zu kämpfen.

„Not Knowing“ ist in erster Linie ein Pamphlet für das Freisein, jenseits sexueller Präferenzen. Dabei spielt die latente Unterdrückung der Frau in der türkischen Gesellschaft (repräsentiert durch das Beziehungsdrama der Eltern) ebenso eine Rolle wie das Recht auf ein selbstbestimmtes Leben ohne gesellschaftliche Repressalien (repräsentiert durch den durch die behauptete Homosexualität isolierten Sohn).

„Not Knowing“ ist ein stilles, unaufgeregtes, dabei aber nicht minder aufwühlendes Drama, das in einer autokratisierten Gesellschaft wie in der Türkei kaum eine Chance hat, hoffnungsvoll zu enden. Wie gesagt: Lebenskonzepte scheitern manchmal recht beiläufig. „Not Knowing“ zeugt davon.

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