Biopic | Russland/Frankreich 2022 | 143 Minuten

Regie: Kirill Serebrennikow

Im Urteil von Zeitgenossen wie Nachwelt erscheint Antonina Iwanowna Miljukowa, von 1877 bis 1893 die Ehefrau des russischen Komponisten Pjotr Iljitsch Tschaikowski, meist im negativen Licht. Das biografische Drama zeichnet hingegen das positiv gemeinte Bild einer gegen jede Vernunft liebenden Frau und blendet Tschaikowski daneben fast aus, was sich vor allem als Angriff gegen das im Putin-Russland propagierte Männlichkeitsbild verstehen lässt. Indem der Film in Miljukowas Innenleben eintaucht, macht er einen großen Schmerz greifbar, verharrt aber gleichzeitig in reaktionären Bildern von Weiblichkeit, sodass sich eine spannende, mitunter aber auch arg befremdliche Mischung ergibt. - Ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
SCHENA TSCHAIKOWSKOGO
Produktionsland
Russland/Frankreich
Produktionsjahr
2022
Produktionsfirma
Hype Film/Arte France Cinéma/Bord Cadre Films/Charade Films/Charade Prod./Logical Pict.
Regie
Kirill Serebrennikow
Buch
Kirill Serebrennikow
Kamera
Wladislaw Opeljants
Musik
Danill Orlow
Schnitt
Juri Karich
Darsteller
Aljona Michailowa (Antonina Miljukowa) · Odin Lund Biron (Pjotr Tschaikowski) · Miron Fedorow (Nikolai Rubinstein) · Andrej Burkowski (Wladimir Meschtscherski) · Julia Aug
Länge
143 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Biopic | Drama
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IMDb | TMDB

Drama um die scheiternde Ehe des russischen Komponisten Pjotr Tschaikowski mit Antonia Miljukowa aus der Perspektive der bedingungslos liebenden Frau.

Diskussion

„Tchaikovsky’s Wife“ von Kirill Serebrennikow gehört zu jenen Filmen, bei denen es mehr darauf ankommt, wer sie sieht, als darauf, was sie zeigen.

Das mag ein bisschen seltsam klingen, handelt es sich doch um ein recht herkömmliches, wenn auch stilistisch aus allen Rohren des Exzesses feuerndes Melodram. Alles dreht sich im wahrsten Sinne des Wortes um Antonina Iwanowna Miljukowa, die titelgebende Ehefrau des berühmten Komponisten Pjotr Iljitsch Tschaikowski. Sie wirft sich mit Körper und Seele an den gelinde gesagt zurückhaltenden Mann und – soweit stimmt der Film mit den vielen offiziellen Tschaikowski-Biografen überein – klammert sich auch mit Erpressungen und Täuschungen an die Ehe, die er nicht gerade aus Gründen der Liebe einging.

Gleichzeitig aber zeigt der Film die ihr widerfahrende Ungerechtigkeit, denn sie wird, salopp formuliert, von ihm wie der letzte Dreck behandelt; das musikalische Genie ist weder in der Lage, zu seiner Homosexualität zu stehen, noch dazu, sein Leben mit etwas anderem als der Musik zu teilen. Er fühlt sich von Antoninas Präsenz gestört und verheimlicht seine Affären. Seine Verwandten und Freunde schützen ihn und seine Musik; die Frau wird wie eine lästige Fliege behandelt. Die netteren von ihnen öffnen das Fenster und bitten sie zu gehen, die anderen schlagen nach ihr.

Immer wenn Antonina ihrem Pjotr näherkommt, zuckt dieser förmlich in sich zusammen und begegnet ihr mit distanzierter Kühle. Hinter seinem aristokratischen Gebaren steckt eine verzweifelte Ablehnung. Irgendwann verschwindet er ganz aus ihrem Leben, versteckt sich vor ihr, lässt sie verzweifelt zurück. Doch auch in ihrer Verzweiflung liebt sie einfach weiter. Egal wie oft er sie demütigt, egal wie offensichtlich sein Interesse anderen Männern gilt, Antonina hat ein Bild von ihrem Pjotr, und sie wird lieber wahnsinnig, als dass sie dieses korrigiert.

Alles erstrahlt in unwirklichem Weiß

Kirill Serebrennikow entscheidet sich, dass diese Frau und ihre Weltsicht für ihn interessanter sind als jene des Komponisten. Damit grenzt er sich auch von Ken Russells Musiker-Biografie „Tschaikowsky – Genie und Wahnsinn“ (1970) ab, der die scheiternde Ehe ebenfalls thematisierte. Serebrennikow geht sogar so weit, außer ein paar Anklängen fast ganz auf Tschaikowskys Musik zu verzichten. Stattdessen öffnet er einen filmischen Raum, der das Innenleben von Antonina beleuchtet. Durch die Fenster ballernde Scheinwerfer lassen alles in unwirklichem Weiß erstrahlen, eine um sich selbst, immer schneller drehende Kamera entspricht dem Gefühlsleben der Frau, es ist eine entfesselte, manchmal anstrengend virtuose Engführung zwischen Obsession und Wahnsinn. Ein melodramatischer Überschwall.

Alles fließt ineinander, verformt sich, Träume, Wünsche, Ängste und das grausame Leben. Die Wirklichkeitswahrnehmung gerät aus den Fugen. Mit einem Mal befindet sich Antonina in einem Ballett nackter, tanzender Männer, die nur tanzen, damit sie mit ihnen schlafen kann. Dann wieder stellt sie sich ein friedliches Familienleben mit ihrem Gatten und Kindern vor. Es ist ein bisschen lächerlich, wie angestrengt der Filmemacher hier in das Begehren seiner Protagonistin einsteigen möchte. Aber es ist ein Statement. Allerdings stellt sich die Frage, gegen oder für was aber?

Aus westeuropäischer Sicht steht man etwas ratlos vor diesem Werk. Denn spätestens seit Roberto Rossellinis „Europa 51“ kennt man die Geschichte der ungeliebten Frau, die vom Patriarchat in den Wahnsinn argumentiert wird. „Tchaikovsky’s Wife“ fügt dem nichts Neues, wohl aber deutlich weniger Subtiles hinzu. Serebrennikow exerziert ein penetrantes Einschlagen auf das weibliche Opfer. Die Entscheidung, sich auf die Frau zu fokussieren, verpufft, weil diese nur als Opfer gezeigt wird. Das hysterische Bild von ihr hätte Tschaikowskis Zeitgenossen Sigmund Freud, der vom körperlichen Ausdruck verdrängter weiblicher Wünsche schrieb, womöglich begeistert; aus heutiger Sicht wirkt es antiquiert.

Gegen die Kälte der Kunst

Spannender wird es, wenn man in Antonina eine Inkarnation der Liebe gegen die Kälte der Kunst sieht. Dann bekommt ihre Obsession einen anderen Anstrich, sie wird zu einer Metapher, die sich von der Wirklichkeit nicht unterkriegen lässt. Man stellt sich dann Fragen wie: Erfüllt sich Liebe auch in der bloßen Vorstellung? Kann man sich entlieben, wenn man das nicht möchte? Ist Liebe nur ein anderes Wort für Realitätsverlust?

Doch selbst wenn die Hauptdarstellerin Aljona Michailowa in ihrer körperlichen Darbietung von Zerbrechlichkeit und Trotz ziemlich aufopferungsvoll durch den Film wandelt, vermag man die Liebe in ihr nur selten zu erkennen. Eher ist es der Schmerz, den diese in einem Menschen verpflanzen kann, der aus ihren huschenden, rasenden, verkrümmten, euphorischen Bewegungen spricht.

Das eigentlich Subversive an „Tchaikovsky’s Wife“ hängt jedoch mit dem Bild zusammen, dass man in Russland von diesem Mann aufrechterhält, das Bild einer Männlichkeit, wie sie von staatlicher Seite propagiert wird. Serebrennikow will den Sockel umstoßen, auf dem der Nationalkünstler thront, er will einer von Macho-Tendenzen durchdrungenen Gesellschaft ihren schwulen und moralisch schwachen Helden vorführen, und zugleich zeigen, dass er sich gar nicht wirklich für ihn interessiert.

Eine doppelte Verneinung

Eine doppelte Verneinung sozusagen, die nie ganz aufgeht, aber anders rezipiert werden muss, wenn man nicht vom Licht der „Schwanensee“-Nostalgie geblendet werden will. „Tchaikovsky’s Wife“ ist also gleichzeitig ein reaktionärer Film über eine Frau als Opfer und ein progressiver Angriff auf Männlichkeitsbilder.

Am stärksten ist der Film, wenn er nichts von beidem ist, also immer dann, wenn man kurz allein sein darf mit den Verklemmungen dieses Mannes und der abgöttischen Verehrungslust dieser Frau.

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