Lars von Trier: Geister - Exodus

Drama | Dänemark 2022 | 319 (5 Teile) Minuten

Regie: Lars von Trier

25 Jahre nach den übernatürlichen Ereignissen im Reichskrankenhaus in Kopenhagen, wie sie in den beiden Staffeln von „The Kingdom – Hospital der Geister“ aus den 1990er-Jahren geschildert wurden, versucht ein Medium, die damaligen Gräueltaten aufzuarbeiten. Altes und neues Krankenhauspersonal stellt sich den Mächten des Bösen dabei entgegen – oder an dessen Seite. Die Fortsetzung der kuriosen Mischung aus Sitcom und Horror-Epos markiert mit einem umfangreichen Ensemble voller idiosynkratischer Figuren die Schnittmenge von Bürokratie und Weltuntergang. Neu ist ein melancholischer Unterton, der dem Galgenhumor der Serie eine neue Tragweite verleiht. - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
RIGET EXODUS
Produktionsland
Dänemark
Produktionsjahr
2022
Produktionsfirma
viaplay
Regie
Lars von Trier · Morten Arnfred
Buch
Niels Vørsel · Lars von Trier
Kamera
Manuel Alberto Claro
Musik
Joachim Holbek
Schnitt
Olivier Bugge Coutté · Jacob Secher Schulsinger · My Thordal
Darsteller
Søren Pilmark (Jørgen Krogshøj) · Ghita Nørby (Rigmor Mortensen) · Birgitte Raaberg (Judith Petersen) · Peter Mygind (Morten "Mogge" Moesgaard) · Bodil Jørgensen (Karen Svensson)
Länge
319 (5 Teile) Minuten
Kinostart
26.10.2023
Fsk
ab 16; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Genre
Drama | Geisterfilm | Horror | Serie
Externe Links
IMDb

Weitere Fortsetzung der Geistergeschichten um das Reichskrankenhaus in Kopenhagen, wo ein Medium die Gräueltaten der Vergangenheit aufarbeiten will.

Diskussion

Zwei Geschichten vom Untergang ziehen sich durch das Werk von Lars von Trier. Die eine handelt von der glorreichen Apokalypse, von Ragnarök und Höllenfeuern. Die andere vom grauen Elend der Welt, von tausend Nadelstichen und kleinen Gesten menschlicher Bosheit, die alles Edle und Schöne überwältigen. Der dänische Regisseur besitzt dafür auch zwei Arten von Bildern, zwei Darstellungsmodi: einerseits pompöse Tableaus, angelehnt an berühmte Gemälde von Meistern wie John Everett Millais, Pieter Bruegel oder Eugène Delacroix. Andererseits zittrige Dogma 95-Auswürfe, die mit ärmlichen Handkamera-Bildern Verfallsprozesse begleiten. Am interessantesten ist er als Künstler immer dort, wo deutlich wird, dass es sich eigentlich um nur eine Geschichte handelt, an der Schnittstelle zwischen dem Göttlichen und Allzumenschlichem.

Dort befindet sich beispielsweise auch seine erstaunliche Fernsehserie „The Kingdom – Hospital der Geister“, die in zwei Staffeln 1994 und 1997 erschien. Ein kurioser Hybrid aus „Workplace Comedy“ (wie etwa später „The Office“ oder „Parks & Recreation“) und blutiger Schauergeschichte. Verwaltungsinterne Streitereien und die Rückkehr des Leibhaftigen wurden hier ohne größere Brüche nebeneinandergestellt, der Horror von Gremien und bürokratischen Prozessen mit der Banalität des Dämonischen verknüpft. Schauplatz ist das Reichskrankenhaus in Kopenhagen, erbaut über den ehemaligen Färbersümpfen der Stadt, aus denen immer noch Ausdünstungen und die verdrängte Irrationalität der Menschheit aufsteigt. Ein mythologischer Abgrund direkt unterhalb von Zivilisation und Fortschritt.

„Alles ist gestohlen“

Von Trier wurde merklich von David Lynchs und Mark Frosts Serie „Twin Peaks“ inspiriert. Auch in „The Kingdom“ treffen schrullige Figuren auf einen abstrakten Kampf zwischen Gut und Böse. Genau wie Lynch mit „Twin Peaks: The Return“ kehrt auch von Trier nach 25 Jahren mit einer Fortsetzung zurück und macht die vergangene Zeit und das Serienformat zu Kernthemen. Nach den fünf Episoden von „Lars von Trier: Geister - Exodus“ lässt von Trier das Publikum mit einer persönlichen Notiz zurück: „Alles ist gestohlen“. Nicht nur von Lynch, auch etwa Szenen aus Bergmans Das siebente Siegel“ oder Andrei Tarkowskis „Solaris“ klingen an.

Denn das gewaltige Krankenhaus, Schauplatz vieler Triumphe menschlicher Rationalität, wird immer weiter von der Fiktion erobert. Das Tor zwischen Menschen- und Geisterwelt wurde in den ersten Staffeln aufgestoßen, und so verschmelzen nun zunehmend auch verschiedene Ebenen von Wahrheit und Dichtung. Die erste Episode beginnt mit dem Medium Karen (Bodil Jørgensen), die „The Kingdom“ auf DVD schaut und sich von dem Abschluss der zweiten Staffel enttäuscht zeigt. Nun will sie alles „richtig“ zu Ende bringen.

Alle Menschen scheinen jetzt unter verschiedenen Vorzeichen zu existieren: als Normalbürger und als Serienfiguren. Der massive Krankenpfleger Bulder (Nicolas Bro) erklärt etwa, dass er wohl einem der Darsteller ähnle; deshalb habe er dessen Spitznamen erhalten. Der Regisseur wird selbstreflexiv und befragt kritisch seine eigene Schöpfung.

iederholungen und Möbiusbänder definieren die neue Staffel, aber auch Doppelgänger und Ahnenlinien. Grobkörnige 16mm-Aufnahmen weichen glatteren Digitalbildern, neue Generationen lösen die alten ab. Der schwedische Oberarzt Stig Helmer ist gestorben; jetzt übernimmt sein Sohn Helmer jr. (Mikael Persbrandt) die Leitung des „Riget“. Er stellt sich genauso ungeschickt, jähzornig und selbstgerecht wie sein Vater an. Stellan Skarsgårds Auftritt als Anwalt wird nun von seinem Sohn Alexander Skarsgård absolviert. Stars wie Willem Dafoe und Lars Mikkelsen stoßen zu vertrauten Gesichtern wie Udo Kier.

Das Böse inmitten aller Albernheit

Es entsteht weniger ein Plot als eine Erzählfläche, eine Textur aus bedingt kohärenten Strängen und Anknüpfpunkten. So geht es etwa gleichzeitig um eine schwedische Terrorzelle, den Geist eines Mädchens, das durch ärztlichen Pfusch gestorben ist, und um die Idee der Krankenhausleitung, Geld zu sparen, indem man alle Säfte mit Wasser verdünnt. Lars Von Trier erschafft Witzfiguren und nimmt sie ernst. „In all dieser Albernheit liegt das Böse verborgen“, heißt es in der zweiten Staffel einmal - fast eine Art Leitspruch der Serie. Das Krankenhaus mit seinen mehr als 30 Kilometer Gängen wird zum gewaltigen Resonanzraum, durch das die Echos der Vergangenheit hallen. Jede Windung verzerrt diese weiter, bis alles zur hysterischen Kakophonie anschwillt und zuletzt implodiert. Kleine Verfehlungen wachsen zu großer Wirrnis heran.

Ordnung und Chaos beschäftigen den Regisseur, der die Kontrolle über seine Geschichten auch schon an Maschinen („The Boss of it All“) oder Ameisen (die Installation „Psychomobile 1: The World Clock“) abgegeben hat, schon immer. Sein Kino hat stets Eiferer, Ideologen und Moralisten scheitern lassen. Auch die Ärzte in „Lars von Trier: Geister - Exodus“ sind selbstverliebte Gockel und böse Xanthippen, die selten Gutes wollen und es noch seltener erreichen. Der Mensch macht Pläne und Lars von Trier lacht.

Serien sind immer auch ein Versprechen auf Unendlichkeit. Alles geht ewig weiter, zumindest, bis die Zuschauer das Interesse verlieren. Und selbst wenn die jeweilige Welt irgendwann abgesetzt wird, kann alles irgendwann zurückkehren. Im biblischen „Exodus“-Buch, dem zweiten Buch Moses, sind all die quasi-apokalyptischen Plagen nur der Beginn des großen Auszugs. Ein Untergang als Neuanfang. Heute geht das Ende der Welt in Serie; alle paar Wochen geht die Menschheit in Nachrichten und Kinobildern zugrunde.

Mit Abscheu und voller Mitleid

Deshalb gibt es wohl diese neue „Geister – Exodus“-Staffel. Um der Serie ein „richtiges“ Ende zu geben, aber auch, um alle zu verhöhnen, die genau das gefordert haben. Von Trier präsentiert sich als schelmischer Teufel, doch wie so oft mischt sich Melancholie in die große Verwerfungsgeste. Er tritt selbst auf, zuerst verborgen, dann immer offener. Was impliziert, dass auch der Regisseur der von ihm beschworenen Logik nicht entkommt. Der Mensch zerstört sich durch seine Arroganz, Eitelkeit und Dummheit. Er erschafft die Unordnung, die ihn überwältigt, er lässt sich mit dem Bösen ein und wird selbst böse. Diese Entropie zeigt Lars von Trier mit Abscheu und Mitleid. Alles muss irgendwann sterben, verbrennen, vergehen. Traurig ist es dennoch.

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