Drama | Polen 2022 | 263 (6 Folgen) Minuten

Regie: Jan Holoubek

Sechsteilige Serie über die Oderflut 1997, die in Polen als „Jahrtausendflut“ bekannt ist. Festgemacht an den Schicksalen unterschiedlicher Protagonisten, rollt die Serie auf, wie vor der Flut vergeblich um Maßnahmen gegen die Überflutung gerungen wird und schließlich die Wassermassen die Stadt Breslau heimsuchen, und erzählt von den Konflikten rund um den Umgang mit der Katastrophe. Dabei schaffen die Serienmacher die Balance zwischen Drama und Katastrophenfilm und setzen vor allem auf komplex erzählte Figuren, sodass die Folgen ebenso unterhaltsam wie vielschichtig ausfallen. - Sehenswert ab 16.
Zur Filmkritik

Filmdaten

Originaltitel
WIELKA WODA
Produktionsland
Polen
Produktionsjahr
2022
Produktionsfirma
Telemark/Netflix
Regie
Jan Holoubek · Bartlomiej Ignaciuk
Buch
Kasper Bajon · Anna Kepinska · Kinga Krzeminska
Kamera
Bartlomiej Kaczmarek
Musik
Jan Komar
Schnitt
Andrzej Kowalski · Rafal Listopad
Darsteller
Agnieszka Zulewska (Jasmina Tremer) · Tomasz Schuchardt (Jakub Marczak) · Ireneusz Czop (Andrzej Rebacz) · Blanka Kot (Klara Marczak) · Marta Nieradkiewicz (Ewa Rucik)
Länge
263 (6 Folgen) Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Genre
Drama | Katastrophenfilm | Serie

Eine polnische Drama-Serie rund um die Oderflut im Jahr 1997, als Wassermassen die Stadt Breslau heimsuchten.

Diskussion

Jasmina Tremer ist als Hydrologin eine schillernde Expertin. Sie trägt ein schwarzes „Hardrock Café Amsterdam“-T-Shirt, raucht, war einst heroinabhängig und lebt irgendwo im Osten Polens in einem Campingwagen mit ihrem niederländischen Freund. Im Sommer 1997 schickt sie ein Fax in ihre Geburtsstadt Wroclaw. Sie befürchtet, die Altstadt könnte überschwemmt werden, wenn man keine drastischen Gegenmaßnahmen ergreift. Wenig später landet ein Hubschrauber an ihrem Wohnort, bringt die Mittdreißigjährige in die Stadt. Dort trifft sie auf Jakub Marczak, einen alten Bekannten, der jetzt als Lokalpolitiker Karriere macht, aber einst als Anarchist Steine auf Polizisten warf. In der Expertenrunde sitzen außerdem arrogante Wissenschaftler und angebliche Sachverständige, die vor allem beschwichtigen: Das Hochwasser werde abfließen. Nicht einmal, als Wroclaw noch Breslau hieß und den Deutschen gehörte, habe es je eine wirkliche Flutkatastrophe und Überschwemmung gegeben.

Lavieren zwischen Beschwichtigung und radikalen Maßnahmen

Schon in der Pilotfolge der sechsteiligen Miniserie „Hochwasser“ werden die wichtigsten Figuren etabliert und der Grundstein für über vier Stunden voller Spannung gelegt. Eigentlich müssten in den die Stadt umgebenden Dörfern Deiche gesprengt oder aber ein Stausee verändert werden. So könne man die Oder in ihr altes Flussbett umleiten, auf Kosten überschwemmter Anbauflächen und überfluteter Dörfer. Dagegen wehren sich jedoch die Dorfbewohner, die Deiche besetzen. Lokale Politiker, aber auch ein Minister lavieren zwischen Beschwichtigung und radikalen Maßnahmen. Ein kommerzieller TV-Sender berichtet unentschieden über die sich immer weiter zuspitzenden Ereignisse. So wird die Flut nicht aufgehalten, und der Stadt Breslau droht die schlimmste Überschwemmungskatastrophe aller Zeiten.

Wie schon die beiden herausragenden polnischen Netflixserien „Im Sumpf“ oder „1983“ kann sich auch „Hochwasser“ nicht nur sehen lassen, sondern international in der A-Liga mitspielen. Das liegt vor allem an einem sehr intelligenten Drehbuch, gut geschriebenen Figuren und ihrer versierten Darstellung durch in Polen so bekannte Schauspielerinnen wie Agnieszka Żulewska als Jasmina Tremer oder Tomasz Schuchardt als Jakub Marczak. Die beiden Protagonisten waren einst ein Paar und haben eine gemeinsame 14-jährige Tochter, Klara, die aber überhaupt nicht weiß, wer ihre Mutter ist.

Nur langsam erfährt man, dass einst die Drogenabhängigkeit Jasminas zu ihrer Flucht aus Polen führte. In den Niederlanden in Utrecht hat sie dann studiert und die Vergangenheit verdrängt. All diese Informationen zu den Figuren bekommt man als Zuschauer in kleiner, feiner Dosierung erzählt. Das macht sie lebensecht, oft zwiespältig, aber auch in ihren Verfehlungen menschlich. Das gilt ebenso für den von Ireneusz Czop verkörperten Andrzej Rębacz, einen eigentlich in Deutschland lebenden Polen, der das Haus seines kranken Vaters renovieren will. Auch Andrzej wird von den Ereignissen überrascht und zum Fürsprecher der Dorfbewohner, die sich gegen die Sprengung der Deiche wehren.

Das Misstrauen in Politiker, Polizei und Militär ist groß

Dabei deuten die Serienmacher immer wieder an, dass im Jahr 1997, nur wenige Jahre nach dem Systemwechsel, das Misstrauen in Politiker, Polizei und Militär groß ist. Auch Jasmina gerät zwischen die Fronten, als die Polizei und das Militär ähnlich brutal gegen Aktivisten vorgehen wollen wie einst im kommunistischen Polen gegen Bürgerrechtler und protestierende Studenten. In den letzten beiden Teilen kann „Hochwasser“ dann auch mit spektakulären Bildern als Katastrophenfilm punkten. Diese wirken indes nie sensationslüstern, weil stets geschickt persönliche Schicksale mit dem historischen Hochwasser verknüpft werden.

Auch hier erlebt man neben dramatischen Zuspitzungen und dem einen oder anderen zu gewollten Knalleffekt – vor allem wenn es um die junge Klara geht – überraschend anders gefilmte Nebengeschichten, die wie Miniaturkurzfilme funktionieren und atmosphärisch beeindrucken. So geht Jasmina in der schlimmsten Nacht durch eine persönliche Hölle, überquert Dächer, landet in Hinterhäusern, wo wilde Partys gefeiert werden. Diese Nachtszenen sind ebenso surreal wie apokalyptisch. Plötzlich erscheint in „Hochwasser“ das Leben wie ein letzter, durch Alkohol und Drogen befeuerter Tanz vor dem Untergang. Am Morgen danach beginnen dann die Aufräumarbeiten.

Kommentar verfassen

Kommentieren