Biopic | Großbritannien/USA 2022 | 322 (6 Folgen) Minuten

Regie: Nick Murphy

Sechsteilige Miniserie nach der realen Lebensgeschichte des britischen Geheimdienstlers Kim Philby (1912-1988), der als Doppelagent für die Sowjetunion und Mitglied der sogenannten „Cambridge Five“ im Zweiten Weltkrieg und während des Kalten Krieges tätig war. Die Serie stellt die langjährige Freundschaft zwischen Philby und einem MI6-Kollegen ins Zentrum, die durch seine Tätigkeit als Doppelagent und seine Flucht nach Moskau auf eine harte Probe gestellt wird. Detailreich und weithin als ruhiges Kammerspiel inszeniert, fordert die Serie einige Aufmerksamkeit, belohnt dies aber durch Nuancenreichtum und hervorragende Darstellerleistungen. - Ab 14.
Zur Filmkritik

Filmdaten

Originaltitel
A SPY AMONG FRIENDS
Produktionsland
Großbritannien/USA
Produktionsjahr
2022
Produktionsfirma
BritBox/ITV Studios/Sony Pict. Television/Spectrum/Veritas Ent. Group
Regie
Nick Murphy
Buch
Alexander Cary
Kamera
Nanu Segal
Musik
Dustin O'Halloran
Schnitt
Edel McDonnell · Matthew Gray
Darsteller
Guy Pearce (Kim Philby) · Damian Lewis (Nicholas Elliott) · Anna Maxwell Martin (Lily Thomas) · Adrian Edmondson (Sir Roger Hollis) · Stephen Kunken (James Jesus Angelton)
Länge
322 (6 Folgen) Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Biopic | Drama | Serie | Spionagefilm

Sechsteilige Miniserie nach der realen Lebensgeschichte des britischen, insgeheim für die Sowjetunion arbeitenden Doppelagenten Kim Philby und seines Freundes Nicholas Elliott.

Diskussion

Ein Spion, den man kennt, der gar weltberühmt ist, hat ganz grundsätzlich etwas falsch gemacht. Das dämmert bald auch dem einst allzu selbstsicher-extrovertierten englischen (Doppel-)Agenten Kim Philby (Guy Pearce), dessen Fall hier verhandelt wird. Kann ein solcher Mensch noch ein Freund sein, Freunde haben? Hier kommt Nicholas Elliott (Damian Lewis), der disziplinierte Mann aus der zweiten Reihe, ins Spiel. Philbys langjähriger Weggefährte wird 1963 vom britischen Geheimdienst MI6 nach Beirut geschickt, um den Agenten, der mittlerweile als Sicherheitsrisiko gilt, zu „lesen“ und wenn möglich zu Verstand zu bringen.

Der gut gewählte Titel dieser neuerlichen filmischen Beschäftigung mit dem faszinierenden Thema der „Cambridge Five“ (Buch: Alexander Cary, Regie: Nick Murphy) ließe sich gleichermaßen auf beide Hauptpersonen beziehen. Nahegelegt wird dies zusätzlich zu Beginn aller sechs Folgen durch die Einblendung von E.M. Forsters Bekenntnis: „If I had to choose between betraying my country and betraying my friends, I hope I should have the guts to betray my country.“ (Wenn ich mich zwischen dem Verrat an meinem Land und dem an meinen Freunden entscheiden müsste, hätte ich hoffentlich den Schneid, mein Land zu verraten.“) Woraufhin Julian Barnes (später) allerdings zurückgab: „If you betray your country, you by definition betray all your friends in that country.“ („Wenn man sein Land verrät, verrät man per definitionem alle seine Freunde in diesem Land.“) „Freunde“ nennen sich allerdings auch die Mitarbeiter des MI6 untereinander.

Eine höhere Ordnung mit anderen Regeln

Jene Gruppierung späterer Doppelagenten innerhalb der britischen Geheimdienste MI5 und MI6 formierte sich in den 1930er-Jahren an der Universität Cambridge in elitären Zirkeln („The Apostles“) aus meist privilegierten Söhnen des höheren Bürgertums. Ein britischer „Boys’ Club“ – Zulassung nur auf Empfehlung.

Ihre unbestreitbare intellektuelle Brillanz führte nicht nur zu einem gehörigen Dünkel („eine höhere Ordnung mit ganz anderen Regeln“, heißt es einmal kritisch-treffend über sie), sondern auch zum Interesse höherer Kreise an ihren Fähigkeiten während des heraufziehenden Zweiten Weltkriegs. So war einer von ihnen in Bletchley Park aktiv an der Aufklärung und Abwehr deutscher Spionage beteiligt. Anderen wird schnell ein fataler Hang zum Salonkommunismus unterstellt; die Serie motiviert aber zumindest das Handeln von Kim Philby glaubwürdig durch ein tragisches Erlebnis in Wien kurz vor dem „Anschluss“ 1938, das ihn für den Moment von der moralischen Überlegenheit der kommunistischen Sache überzeugt.

Die Geschichten derer, die nicht nur Land und Krone, sondern (manches Mal mit Wonne) auch ihre engsten Freunde verrieten, erzählt „A Spy Among Friends“ in teilweise erstaunlicher historischer Schärfentiefe (inklusive Verweisen auf Ian Fleming oder die Panzerkreuzeraffäre von Portsmouth 1956).

Der Hauptfaden der Serie ist rasch resümiert. Nachdem bereits in den 1950er- Jahren zwei britische Agenten (Guy Burgess und Donald Maclean) nach Moskau übergelaufen sind, die Geheimdienst-Kommunikation zwischen dem Vereinigten Königreich und den USA aber immer noch kompromittiert erscheint (was die pikierten Briten dem Argwohn von James Jesus Angleton vom CIA aussetzt), macht sich MI6-Chef Sir Roger Hollis (Adrian Edmondson) daran, den ominösen „dritten Mann“ schleunigst zu identifizieren; man hat Philby bereits im Verdacht, und Elliott soll ihn in Beirut zur Rede stellen. Die beiden verhandeln länger miteinander, doch Philby gelingt die Flucht per Schiff in die UdSSR. Dies kommt einem Geständnis gleich.

Im Verhör enthüllen sich Details der Freundschaft

Zurück in London ist es nun Elliott, der das verdächtige Fiasko rechtfertigen muss. Hat er seinen Freund gewarnt und bewusst entkommen lassen? Dazu wird er in längeren Sitzungen von der psychologisch geschickt agierenden Spezialistin Lily Thomas (Anna Maxwell Martin) verhört und enthüllt nach und nach wichtige und spannende Hintergründe der Geschichte: ihr Kennenlernen während eines deutschen Bombenangriffs, ihre ungewöhnliche Freundschaft inklusive vieler schmutziger Limericks und die Kollegialität in Zeiten des heißen wie des Kalten Kriegs, den Versuch einer Erklärung für Philbys Verrat (Eskapismus, „unsere Ignoranz, das einer von uns anders sein könnte“).

All dies – gleichsam das erzählerische „Fleisch“ auf den Knochen der historischen Dokumentation – wird in oft sehr kleinteiligen Episoden durch vielfache Montagen rekapituliert. Auch wenn die Serie über weite Strecken ein ruhiges Kammerspiel über persönliche wie politische Allianzen und Loyalitäten ist, erfordert sie doch vom Publikum einige Aufmerksamkeit und gegebenenfalls geschichtlicher Recherche. Aber das ist gut so und verdient Respekt.

Der Streaminganbieter MagentaTV geht mit diesem Sechsstünder möglicherweise ein gewisses Wagnis ein, doch die packende Story sowie die durchweg sehr guten, teilweise brillanten Darstellerleistungen rechtfertigen dies auf jeden Fall. An erster Stelle ist dabei Guy Pearces nuancenreiches, zwischen Amüsement (im „merry old“ England) und Degout (im ewig kalten Moskau) changierendes Mienenspiel als Kim Philby zu nennen; ein noch im Altern und im Verfall rätselhaft attraktiver Typ, den Pearce auch in seiner Arroganz und Nostalgie als Liebender wie als Verräter höchst glaubwürdig verkörpert, wie es einst vielleicht nur Dirk Bogarde hinbekommen hätte.

Doch Damian Lewis, dessen Rolle noch größer ist, steht ihm nicht nach: gepanzert verschlossen in seinen Maßanzügen zu Beginn, zeigt er durch minimale Regungen des Mundes und der Braue in manchen Porträtaufnahmen eine durch emotionale Intelligenz gezähmte Welt der Gefühle, die weit mehr umfasst, als seine „Freunde“ ihm jemals zutrauten.

Der Spion, den keiner kennt

Die Serie macht klar, und das ist neu in der Saga der Cambridge Five, dass Elliott der (nahezu) perfekte Geheimdienstmann, Agent und Spionageabwehrexperte in einem ist, wenn auch lieber vom Schreibtisch oder dem Club aus als im Feld – ruhig, diskret, hochintelligent und zielstrebig sowie offensichtlich ohne ideologische Vorurteile. Und schließlich ebenso fähig zur internen Revision im MI6. Nur ein wenig spießig, jedenfalls verglichen mit Kalibern wie Sir Anthony Blunt (Nicholas Rowe), dem Vierten im Bunde, dessen steiler Aufstieg und peinlicher Fall hier ebenfalls novellistisch geschildert wird. Elliott ist der Spion, den keiner kennt; er hat alles richtig gemacht.

Kommentar verfassen

Kommentieren