Stalingrad - Stimmen aus Ruinen

Dokumentarfilm | Deutschland 2022 | 89 Minuten

Regie: Artem Demenok

Im Winter 1942/43 kam es zur achtmonatigen Schlacht um Stalingrad zwischen der deutschen Wehrmacht und den sowjetischen Verteidigern. Zahlreiche Soldaten auf beiden Seiten sowie auch Zivilisten in der Stadt hielten ihre schrecklichen Erlebnisse und ihre Stimmung in Tagebüchern, Notizen und Briefen fest, aus denen der Dokumentarfilm eine Collage erschütternder Einblicke formt. Der auf weitere Kommentare verzichtende Film lässt die Tondokumente sowie das meist aus Wochenschauen stammende Bildmaterial für sich sprechen und mahnt auf beeindruckende Weise die Erinnerung an den grausamen Krieg an. - Sehenswert ab 16.
Zur Filmkritik

Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2022
Produktionsfirma
Schmidt & Paetzel Fernsehfilme/Russkoje Wosroschdenije
Regie
Artem Demenok
Buch
Artem Demenok
Kamera
Oleg Stinski
Musik
Alva Noto · Ryuichi Sakamoto
Schnitt
Sergej Range
Länge
89 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Genre
Dokumentarfilm
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IMDb

Ein Dokumentarfilm über die Schlacht um Stalingrad 1942/43, in dem ausschließlich aus damaligen Briefen, Notizen und Tagebucheinträgen von Soldaten und Zivilisten zitiert wird, um an die Grausamkeit des Zweiten Weltkriegs zu erinnern.

Diskussion

Es war eine junge Stadt in der Sowjetunion. Die meisten Wohnblöcke im klassischen Baustil der Stalin-Ära baute man erst in den 1930er-Jahren. Seit 1925 hieß das ehemalige Zarizyn dann Stalingrad, weil sich Stalin dort als Armeekommissar im Russischen Bürgerkrieg einen Namen gemacht hatte. Als die Deutschen mit ihren Verbündeten im Juli 1942 auf die Stadt mit den wichtigen Traktorenwerken vorrücken, die auch Panzer herstellen, befinden sich dort über 750.000 Zivilisten. In etwa 250.000 sind Binnenflüchtlinge. 

Drei Monate lang wird die Stadt täglich brutal und gnadenlos bombardiert, vor allem durch Brandbomben fast völlig zerstört. Filmemacher Artem Demenok zeigt dazu in „Stalingrad - Stimmen aus Ruinen“ vor allem Archivbilder aus deutschen und russischen Wochenschauen oder nachgestellten Propagandafilmen. Dabei zitiert er aus Briefen deutscher Wehrmachtssoldaten und Tagebucheinträgen der in Stalingrad eingeschlossenen Zivilisten. Aber auch der damalige Kriegsberichterstatter und spätere Schriftsteller Wassili Grossmann ist ein Zeuge der Schrecken ebenso wie Stalins Nachfolger Nikita Chruschtschow. 

Erschütternd sind Berichte junger Frauen, die vom täglichen Ausharren und Überleben in Schützengräben berichten. Eines Tages stirbt der Papa einer Augenzeugin. Sie beschreibt, wie sie verzweifelt versuchte, die blutende Wunde in der Schläfe nur mit ihrem Finger abzudecken.

Menschenverachtende Ideologie in Briefen

Wenn Deutsche nach Hause schreiben, sind die Briefe von menschenverachtender Ideologie durchtränkt. Gegenangriffe der Roten Armee werden mit Vokabeln wie „Diese Schweine“ beschrieben. Aber irgendwann reißen diese Zeugenaussagen der Täter und Zivilopfer ab, weil sie gefallen sind oder durch die Deutschen zu Tode kamen. 

Eher implizit wird der ideologische Wahnsinn thematisiert. Hitler opferte lieber eine ganze Armee, anstatt ihr zu erlauben sich zurückzuziehen oder später zu ergeben. Stalin gestattete der Zivilbevölkerung nicht, die später schon zu 90 Prozent eroberte Stadt zu verlassen – warum einige sich dann doch retten konnten, wird nicht näher erklärt. So war der Blutzoll enorm. Über eine Million Menschen starben während der acht Monate langen Schlacht um Stalingrad, die im Winter 1943 vor 80 Jahren endete. Aufschlussreich sind die letzten Bilder nach der Kapitulation, wenn der arrogante Feldmarschall Paulus es empörend findet, von russischen Kriegsreportern gefilmt zu werden. Warum er nach seiner Freilassung aus der Gefangenschaft 1953 bis zu seinem Tod in der DDR lebte, wird im Film nicht weiter thematisiert.

Ton- und Bilddokumente sprechen für sich

Dieser Dokumentation gebührt der Verdienst, auf einen allwissenden Off-Kommentar zu verzichten, die Ton- und Bilddokumente für sich selbst sprechen zu lassen. Nur gelegentlich werden zusätzlich einige Fakten erwähnt, das Kriegsgeschehen eingeordnet. Dennoch gibt es Leerstellen. Auch 80 Jahre nach dem Ende der Schlacht um Stalingrad wird fast überhaupt nicht erwähnt, dass auch Ungarn, Italiener und Slowaken auf Seiten der deutschen Angreifer kämpften. Nur die vorgeführten rumänischen Gefangenen sieht man kurz. Aber dass beispielsweise Ungarn mit über 200.000 Soldaten und 50.000 gefangenen jüdischen „Bausoldaten“ (die als „Kanonenfutter“ fast alle ums Leben kamen) Kriegspartei war, bleibt völlig unerwähnt, obwohl es ungarische Dokumentarfilme, zum Beispiel von Sandor Sára („Pergötüz“), zu diesem Thema mit beeindruckenden Zeugenaussagen gibt. 

Am traurigsten bleibt eine Beschreibung zweier gefallener Soldaten, die man nebeneinander fand, nachdem Stalingrad befreit war. Beide trugen Briefe ihrer Kinder mit sich. Beim rumänischen Gefallenen entdeckte man eine Kinderzeichnung, bei dem Rotarmisten einen herzzerreißenden Brief seiner Tochter, die sich so sehnlich wünschte, ihren Vater noch einmal wiederzusehen und sei es nur für eine einzige Stunde.

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