Drama | Albanien/Belgien/Deutschland/Kosovo 2021 | 121 Minuten

Regie: Bujar Alimani

In den nordalbanischen Bergen gilt der Kanun, ein aus dem Mittelalter stammendes Gewohnheitsrecht, in dem auch die arrangierte Ehe fest verankert ist. Als eine Heranwachsende von ihrem Verlobten bedrängt wird, erschießt der im Streit ihren Vater. Um ihn zu rächen und der Ehe mit einem Mörder zu entfliehen, leistet sie den Schwur der eingeschworenen Jungfrau und lebt fortan als Mann. Das Ende der 1950er-Jahre angesiedelte Drama entfaltet eine archetypische Geschichte um unerlaubte Liebe, familiäre Traditionen und Blutrache. Die etwas oberflächlich behandelte Praxis der eingeschworenen Jungfrau dient dabei vor allem als Motiv für eine westernähnliche Rachegeschichte. - Ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
VIRGJËRESHA SHQIPTARE
Produktionsland
Albanien/Belgien/Deutschland/Kosovo
Produktionsjahr
2021
Produktionsfirma
Elsani & Neary Media/Potemkino/90 Prod./Circle Prod./ZDF/arte
Regie
Bujar Alimani
Buch
Katja Kittendorf
Kamera
Jörg Widmer
Musik
Olaf Didolff
Schnitt
Philipp Thomas
Darsteller
Rina Krasniqi (Luana) · Shkurte Sylejmani (Luana mit 14 Jahren) · Nik Xhelilaj (Flamur) · Kasem Hoxha (Ismail) · Gresa Pallaska (Bora)
Länge
121 Minuten
Kinostart
09.02.2023
Fsk
ab 16; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Drama
Externe Links
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Heimkino

Die Edition enthält eine Audiodeskription für Sehbehinderte.

Verleih DVD
Splendid (16:9, 2.35:1, DD5.1 alban./dt.)
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Drama um eine Heranwachsende in den nordalbanischen Bergen, die sich für ein Leben als eingeschworene Jungfrau entscheidet, um nicht den Mörder ihres Vaters heiraten zu müssen.

Diskussion

Jack Londons „Ruf der Wildnis“ ist das erste Buch, das Luana in ihrem Leben liest. Das zweite ist eine Niederschrift des Kanun, eines im albanischen Norden bis heute noch praktizierten mittelalterlichen Gewohnheitsrechts, das alle Bereiche des Lebens, vom Ehe- bis hin zum Strafrecht, regelt. Die beiden so unterschiedlichen Texte verknüpfen sich, als Luana den im Kanun verankerten Schwur ewiger Jungfräulichkeit ablegt und eine Burrnesha, eine „eingeschworene Jungfrau“, wird. Fortan lebt sie als Mann und nennt sich Jack. Hinter der Namenswahl verbirgt sich eine stille Geste des Protests. Das Lesen ist für Mädchen und Frauen eigentlich verboten, Luana hat es heimlich gelernt, von Agim, ihrer großen Liebe. Und außerdem berührt sich wohl auch Jack Londons Geschichte über einen verschleppten Haus- und Hofhund, der gewaltsam als Schlittenhund abgerichtet wird, mit der Härte der streng patriarchalen Gesellschaft in den Bergen.

Ein Drama um unerlaubte Liebe

„Luanas Schwur“ erzählt von den Umständen, die zu dem radikalen Schwur führen. Der Film spielt in den 1950er-Jahren; noch ist die kommunistische Diktatur unter Enver Hoxha nicht in die entlegenen Gegenden des Landes vorgedrungen. In den ersten Bildern etabliert der albanische Filmemacher Bujar Alimani eine Idylle, die schon bald getrübt wird. Kinder füllen am Fluss um die Wette Wasser in eine Ballonflasche; Luana ist das einzige Mädchen. Als ihre Mannschaft gewinnt, heißt es, Mädchen dürften nicht mitspielen. Agim, ein Junge, der mit seiner Familie neu im Dorf ist, kommt ihr zu Hilfe. Er wird ihr bester Kinderfreund und lehrt sie auch das Lesen. Der Vater sieht es nicht gern, dass sich seine Tochter mit einem „Fremden“ trifft und verbietet den Kontakt, Luana ist Flamur Fiku versprochen, dem Sohn einer angesehenen Familie.

In bildgewaltigen Aufnahmen, die die Schroffheit der Landschaft eher abmildern, strickt Alimani ein im Grunde klassisches Drama um unerlaubte Liebe, archaische Familientraditionen und Gewalt. Zur Tragödie wird es, als Luana von ihrem Verlobten bedrängt wird und dieser beim Streit ihren Vater erschießt. Die Blutrache verpflichtet, ein Verbrechen zu rächen. Doch die Männer in Luanas Familie weigern sich und wollen sie in die Ehe drängen. Den Mörder ihres Vaters zu heiraten, kommt aber für die junge Frau nicht in Frage. Luana leistet den Schwur und wird das männliche Oberhaupt der Familie. Nach dem Kanun ist „er“ berechtigt – und verpflichtet –, den Vater zu rächen.

In den letzten Jahren ist die Praxis der eingeschworenen Jungfrau mehr und mehr in die Öffentlichkeit gerückt; auch im Kino hat das Thema eine gewisse Sichtbarkeit erlangt, etwa durch den Film „Sworn Virgin“ von Laura Bispuri. Burrneshas nehmen die soziale Rolle eines Mannes an, sie kleiden sich wie Männer, tragen Waffen, gehen auf die Jagd und dürfen Alkohol trinken; die Geschlechtskategorie ist dennoch schwer zu fassen. Als Konzept der Befreiung von traditionellen Geschlechterrollen eignet sich die eingeschworene Jungfrau nur bedingt. Die Frauen geloben sexuelle Enthaltsamkeit; der Zugewinn an Rechten ist also an Verzicht gebunden.

Der Kreislauf der Gewalt

Alimani interessiert sich für die Komplexitäten des ungewöhnlichen symbolischen Übertritts nur peripher, er dient ihm eher als Motiv für eine Rachegeschichte, die fast schon an einen Western erinnert. Dabei rückt die Frage in den Vordergrund, ob und wie es „Jack“ gelingt, die Sinnlosigkeit des Gewaltkreislaufs zu durchbrechen.

„Luanas Schwur“ ist kein sonderlich subtil gezeichnetes Drama. Der Film setzt eher auf deutliche Zeichen und neigt auch in der Figurenanlage zur Vereinfachung; der Schönling Flamur Fiku wirkt beispielsweise wie ein Bösewicht aus einem Abenteuerfilm. Zwischentöne sind eher im Spiel der kosovarischen Darstellerin Rina Krasniqi zu finden, die beide Geschlechterrollen glaubhaft verkörpert. Als Luana als frisch eingeschworene Burrnesha zum ersten Mal mit den Männern zusammensitzt und plötzlich das Rederecht hat, sind Haltung und Gesten noch unsicher. Gerne hätte man ihr ausführlicher dabei zugeschaut, wie ihr Körper in die Rolle hineinwächst.

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