Dokumentarfilm | Deutschland 2023 | 93 Minuten

Regie: André Krummel

Porträt des schwulen jüdischen Schauspielers, Escorts und AfD-Politikers Marcel Goldhammer, in dem die Grenzen zwischen Dokumentation und Fiktion fließend sind. Der Film will keine in sich schlüssige Biografie erzählen, sondern findet für die sprunghafte, nicht immer wahrheitsgetreue Persönlichkeit Goldhammers eine Entsprechung in glatter Werbeästhetik und einer brüchigen Erzählweise. Trotz spannender Ansätze und einem durch seine Widersprüchlichkeit interessanten Protagonisten wirkt der Film mitunter zusammenhanglos und in seine visuellen Spielereien verliebt. - Ab 16.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2023
Produktionsfirma
Glotzenoff/Filmakademie Baden-Württemberg/Corso Film/Fruitmarket/SWR/rbb
Regie
André Krummel · Pablo Ben Yakov
Buch
André Krummel · Pablo Ben Yakov
Kamera
André Krummel
Musik
Marius Kirsten
Schnitt
André Krummel · Pablo Ben Yakov
Länge
93 Minuten
Kinostart
18.05.2023
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Dokumentarfilm
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Dokumentarisches Porträt eines schwulen Provokateurs und AfD-Politikers, der in seinen multiplen Persönlichkeiten kaum zu fassen ist.

Diskussion

Marcel Goldammer weiß zwar nicht genau, ob er selbst lieben kann, will aber von möglichst vielen Menschen gemocht werden. Weil diese Sehnsucht als schwuler Junge in der pfälzischen Provinz ungestillt bleibt, möchte der gutaussehende blonde Mann in Berlin Schauspieler werden. Später fängt er als Escort an, konvertiert zum Judentum und lässt sich in Israel einbürgern, bevor er wieder in seine Heimat zurückkehrt, um AfD-Politiker zu werden.

Ob er seinem Traum bei dieser abenteuerlichen Laufbahn näherkommt, bleibt im Dokumentarfilm „Goldhammer“ allerdings fraglich. An Silvester sitzt er allein in seinem Hotelzimmer, und bei seiner Geburtstagsparty wartet er vergeblich auf Gäste.

Ein neurechter Posterboy

Die Regisseure André Krummel und Pablo Ben-Yakov haben ein Porträt von Marcel Goldammer gedreht oder es zumindest versucht. Denn der junge Mann, der seinen Nachnamen später noch um ein „h“ ergänzt, um ihn jüdischer und martialischer klingen zu lassen, wirkt zu brüchig und widersprüchlich, als dass man ihn greifen könnte. Seine Rolle als schwuler Provokateur, der die Kamera für Lehrvideos über Analduschen und den richtigen Umgang mit Koks nutzt, spielt er ebenso gut wie die des neurechten Posterboys mit „Make America Great Again“-Kappe. Mehrmals lässt eine Animation das Bild in verschiedene Projektionen zersplittern, die für Marcels verschiedene Persönlichkeiten stehen.

Mit der die Grenzen zwischen Dokumentation und Fiktion verwischenden Ästhetik passt sich „Goldhammer“ ganz seinem Protagonisten an. Schnell wird klar, dass Marcel nicht nur unterschiedliche Rollen spielt, sondern es auch mit der Wahrheit nicht immer ganz genau nimmt. Ein pathetischer Monolog über Liebe wird mit emotionaler Musik untermalt, bis der Kameramann und schließlich auch Marcel einen Lachanfall bekommen. Ein anderes Mal wird eine traumatische Geschichte aus der Kindheit bei einem Telefonat mit der Mutter als „zu drei Vierteln nicht wahr“ entlarvt. Während Marcel daraufhin in Tränen ausbricht, wirft er einen kurzen kontrollierenden Blick auf sein Spiegelbild.

Die Weisheiten eines VIP-Escorts

Das Regie-Duo imitiert immer wieder den Look eines verklärenden Werbeclips, weil es um eine kapitalistische Selbstverwirklichungsgeschichte geht, bei der angeblich jeder sein kann, was er sein will; im besten Fall jemand mit viel Geld. In einem fiktiven Image-Video bewirbt Marcel das scheinbar glamouröse Leben als VIP-Escort mit schmissigen Weisheiten, die für den Zuschauer zu diesem Zeitpunkt längst als Lügen erkennbar sind.

Man muss „Goldhammer“ anrechnen, dass er seinen nicht unbedingt sympathischen Protagonisten weder vorführen noch dämonisieren will. Auch wenn die Märchenonkel-Stimme aus dem Off teilweise analytische Züge hat, lässt sich Marcel psychologisch nie ganz durchleuchten. Deutlich wird allerdings, dass sein Ehrgeiz oft jeden Anflug von Reflexion und Feingefühl verhindert. Für einen Zeitungsartikel schlägt er einem hörbar irritierten Kollegen am Telefon vor, die finanzielle Unterstützung der Palästinensischen Autonomiebehörde mit Hitlers Endlösung zu vergleichen. Sein Text müsse schließlich mit einem Knall enden; die Verhältnismäßigkeit der These ist dabei nebensächlich.

Auch der Film sucht eher nach Intensität und Sprengkraft, statt seiner Erzählung Kontur zu verleihen. Manchmal wirkt es sogar, als wären die Regisseure von Goldhammers kontroverser Natur fasziniert, wüssten aber nicht so recht, was sie mit ihm anfangen sollen. Wiederholt sieht man ihn etwa beim Koksen und beim Sex oder später auch mal bei einer AfD-Veranstaltung, wo er im Reichsparteitagsstil gegen muslimische Migranten und „Gender-Gaga“ wettert. Meist wirken solche Momente aber ein wenig zusammenhangslos.

Ohne klare Erzählung

Dem Film fehlt oft auch ein Gespür dafür, Wichtiges von Belanglosem zu unterscheiden. Monotone Telefonate werden teilweise ebenso in unnötiger Ausführlichkeit gezeigt wie oberflächliche Monologe. Der Einsatz von Musik und Montage-Spielereien kann nicht davon ablenken, dass „Goldhammer“ trotz seiner interessanten Ansätze ein wenig dünn wirkt. Theoretisch ist ein Film, der so erratisch und undurchschaubar bleibt wie sein Held, vielleicht interessant; praktisch führt die konsequente Weigerung, Beobachtungen zu einer halbwegs zusammenhängenden Erzählung zu formen, aber ins Chaos.

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