Das Gesetz nach Lidia Poët

Historienfilm | Italien 2023 | 252 (6 Folgen) Minuten

Regie: Letizia Lamartire

Im 19. Jahrhundert schließt Lidia Poët als erste Frau in Italien ein Jurastudium ab und kämpft darum, als Anwältin praktizieren zu können. Dabei stößt sie auf heftigen patriarchalen Gegenwind, schafft es trickreich aber doch, in ersten Fällen zugunsten anderer Außenseiter tätig zu werden. Die sechsteilige italienische Miniserie basiert auf der gleichnamigen historischen Figur, ist aber alles andere als ein klassisches Biopic: Sie verknüpft Kostümfilm, Kriminalhandlung und historisches Drama mithilfe der gewitzten Figuren und der Thematik zu schlauer, an Welt und Gesellschaft interessierter Unterhaltung in Einzelfolgen, die als in sich geschlossene Whodunit-Krimis angelegt sind. Die Hauptdarstellerin macht aus der Figur eine schlagfertige und scharfsinnige Persönlichkeit, die das verkrustete Weltbild der herrschenden Klasse mit gewitzter Hartnäckigkeit infrage stellt und bearbeitet. - Sehenswert ab 14.
Zur Filmkritik

Filmdaten

Originaltitel
LIDIA POËT
Produktionsland
Italien
Produktionsjahr
2023
Produktionsfirma
Groenlandia
Regie
Letizia Lamartire · Matteo Rovere
Buch
Guido Iuculano · Davide Orsini
Kamera
Francesco Scazzosi · Vladan Radovic
Musik
Massimiliano Mechelli
Darsteller
Matilda De Angelis (Lidia Poët) · Eduardo Scarpetta (Jacopo Barberis) · Pier Luigi Pasino (Enrico Poët) · Sinead Thornhill (Marianna Poët) · Dario Aita (Andrea)
Länge
252 (6 Folgen) Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Genre
Historienfilm | Krimi | Serie

Eine Historien- und Krimiserie inspiriert durch Lidia Poët (1855-1949), die erste Frau, die in Italien als Anwältin tätig war und deren Pionierleistung eine heftige Debatte lostrat.

Diskussion

Wenn Gott gewollt hätte, dass sie Anwältin wird, hätte er sie zum Mann gemacht. Was für ihre Schwägerin eine bloße Feststellung ist, trifft die junge Piemonteserin Lidia Poët wie ein Magenschwinger. Es ist das Jahr 1883 und sie hat gerade als erste Frau in Italien ein Studium der Rechtswissenschaften abgeschlossen, die Zulassung in der Anwaltskammer von Turin erhalten und ihren ersten Fall angenommen. Als die Staatsanwaltschaft und das oberste Gericht von ihr erfahren, wird ihre Zulassung jedoch annulliert. Frauen dürften den Anwaltsberuf nicht ausüben, weil sie gar nicht in der Lage dazu seien, so das einhellige Votum. Obendrein lenke sie ein solches Amt von ihren häuslichen Pflichten ab.

Ein historischer Fall, der Debatten lostrat

Die sechsteilige italienische Miniserie „Das Gesetz nach Lidia Poët“ basiert auf der gleichnamigen historischen Figur. Lidia Poët lebte von 1855 bis 1949 und stammte aus einer wohlhabenden Familie von Juristen. Ihre Lizenz bekam sie erst 1920 im Alter von 65 Jahren zurück, über 35 Jahre nach ihrem Universitätsabschluss. Ihr Fall erregte die Gemüter und trat in Italien eine Debatte über Frauen in öffentlichen Ämtern los. Die von Guido Iuculano und Davide Orsini entwickelte Serie setzt ein, als Lidia zu ihrem Bruder Enrico und seiner Familie ziehen muss, weil ihr der Entzug der Lizenz zugleich die Lebensgrundlage unter den Füßen weggerissen hat. Ihren ersten Fall tritt sie nicht ganz uneigennützig an ihn ab: Sie will offiziell als seine Gehilfin agieren, um insgeheim ihrem Beruf weiter nachgehen zu können.

Doch der Widerstand gegen ihre progressiven Ansichten reicht bis in die Familie hinein. Ihr Bruder hat zu sehr Angst davor, als ihr Komplize auch ein Berufsverbot zu erhalten, und seine Gattin Teresa ist gänzlich in ihrer Rolle als Ehefrau und Mutter aufgegangen. Lediglich den Trotz ihrer Nichte Marianna kann Lidia mit ihrem selbstbewussten und individuellen Auftreten befeuern. Diese will sich nämlich unter keinen Umständen in ein Ballkleid zwängen, um in die Gesellschaft eingeführt zu werden, sondern trifft sich lieber heimlich mit dem Gärtner – eine Beziehung, weit unter ihrem Stand.

Die Außenseiterin kämpft für andere Außenseiter

Diesen langwierigen Kampf gegen Windmühlen machen Iucolano und Orsini zum Handlungsbogen der gesamten Serie. Die Einzelfolgen sind jeweils als in sich geschlossene Whodunit-Krimis angelegt – Lidia setzt sich mittels des widerstrebenden Enrico für andere gesellschaftliche Außenseiter und Außenseiterinnen ein, die von der herablassenden Bürokratie aus Bequemlichkeit und Standesdenken des Mordes beschuldigt wurden: etwa eine Chemikerin, die einen Kollegen vergiftet haben soll, der ihre Arbeit als seine ausgab, oder eine Arbeiterin, die ihre Vorgesetzte aus politischen Gründen umgebracht haben soll. Der anarchische Geist, der Ende des 19. Jahrhunderts über Italien schwappte, durchweht all diese Folgen: Anarchisten, Frauenrechtlerinnen oder gar Demokraten sind für die Behörden Sand im Getriebe und werden deshalb als Bürger und Bürgerinnen zweiter Klasse behandelt. Lidia macht sich in Turin zur Gallionsfigur aller dieser Geäachteter.

Eine Heldin mit gewitzter Hartnäckigkeit

Das Strickmuster der Serie ist recht konventionell, doch bleibt sie trotz der wenig überraschenden Einzelfälle kurzweilig und vergnüglich. Das liegt vor allem an Matilda De Angelis, bekannt aus „The Undoing“. Sie macht aus der wenig dokumentierten historischen Figur Lidia eine schlagfertige und scharfsinnige Persönlichkeit, die das verkrustete Weltbild der herrschenden Klasse mit gewitzter Hartnäckigkeit infragestellt und bearbeitet. Mit so einfachen Mitteln wie Menschlichkeit und Empathie sowie modernen Ermittlungstechniken wie Fingerabdrücken und Lügendetektortests geht sie gegen das selbsterhaltende System der patriarchalen Gesellschaft vor – und knüpft so an aktuelle Serien und Filme an, in denen vermeintliche Männerdomänen aufgebrochen werden, etwa in „The Marvelous Mrs Maisel“, „Godless“ oder „Glow“. So meldet sie etwa im Namen ihres Bruders einen Lügendetektortest für eine Mandantin an, weil sie weiß, dass er sich mit dieser als neumodisch verschrienen Technik nicht auskennt und sie als Sachverständige mitnehmen muss. Langsam, aber sicher kocht sie ihn weich, und es ist eine Freude dabei zuzusehen, wie Pier Luigi Pasino sich als Enrico windet und wehrt, aber mit der Zeit zugeben muss, dass Lidias Herangehensweise funktioniert.

Schlaue Unterhaltung, weil Welt und Gesellschaft zugewandt

Dabei nimmt es sich die Serie heraus, den historisch verbrieften Figuren eine Vielzahl von fiktionalen Charakteren zur Seite zu stellen, etwa Teresas Bruder Jacopo Barberis – herrlich ironisch gespielt von Eduardo Scarpetta –, der als Journalist an denselben Fällen interessiert ist wie Lidia und mit ihr eine pragmatische Abmachung eingeht: Er ergänzt ihre Schläue beim Finden von Schlupflöchern und Zusammenhängen durch sein öffentliches Ansehen als Journalist – und natürlich nicht zuletzt seine angeborene Superkraft: Als Mann hat er überall Zugang. Jacopos anarchistische Herkunft macht ihn zum idealen Komplizen, denn er nutzt sowohl seine zugeschriebenen wie auch erworbenen Fähigkeiten im Sinne des Gemeinwohls. Dass die Serie Lidia und Jacopo dann auch romantische Gefühle füreinander entwickeln lässt, ist nur konsequent: „Das Gesetz nach Lidia Poët“ ist weniger Biopic, sondern verknüpft Kostümfilm, Melodram, Kriminalhandlung und historisches Drama mithilfe der gewitzten Figuren zu schlauer, weil an Welt und Gesellschaft zugewandter Unterhaltung.

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