Coming-of-Age-Film | Indonesien 2023 | 118 Minuten

Regie: Lucky Kuswandi

Eine Jugendliche ist nach außen eine Musterschülerin an einer guten Schule in Jakarta, ihre leidenschaftliche Seite vertraut sie lediglich ihrem privaten Blog an, in dem sie erotische Geschichten um einen Mitschüler ausspinnt. Dann aber werden die intimen Fantasien geleakt und sorgen für Aufruhr. Von den Folgen ist nicht nur das Mädchen betroffen, sondern auch sein Schwarm, dem die neue Aufmerksamkeit gar nicht recht ist, sowie eine freigeistig-unkonventionelle Mitschülerin. Eine feinfühlige Teen-Dramödie, die um weibliches Begehren und auf vielschichtige Weise um Scham und Beschämung kreist, wobei es ebenso um die Auseinandersetzung mit einem christlich-patriarchalisch geprägten Sündenverständnis geht wie um die ambivalente Rolle des Internets. - Ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
DEAR DAVID
Produktionsland
Indonesien
Produktionsjahr
2023
Produktionsfirma
Palari
Regie
Lucky Kuswandi
Buch
Winnie Benjamin · Daud Sumolang · Muhammad Zaidy
Kamera
Robert Cauble
Schnitt
Ahmad Hasan Yuniardi
Darsteller
Shenina Cinnamon (Laras) · Caitlin North Lewis (Dilla) · Emir Mahira (David) · Maya Hasan (Laras' Mutter) · Jenny Zhang (Mrs. Indah)
Länge
118 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Coming-of-Age-Film | Komödie | Romantische Komödie
Externe Links
IMDb | TMDB | JustWatch

Feinfühlige Teenager-Dramödie um eine Schülerin aus Jakarta, deren geheimer Blog mit erotischen Tagträumereien geleakt wird und große Aufregung nach sich zieht.

Diskussion

Es wird heiß im nächtlichen Dschungel. Laras, gestylt wie eine Prinzessin, beobachtet aus einem Versteck an einem idyllischen Teich heraus den stattlichen David beim Bad, als würde sie das Wasser beneiden, das über seine nackte Brust fließt. Wenig später, als er seiner Beobachterin in den Wald hinein gefolgt ist, darf Laras dann nicht nur schauen, sondern auch anfassen. Zumindest in der Fantasie! In seinem privaten Blog „Dear David“ macht das Teenie-Mädchen aus seinen Träumereien rund um seinen Schwarm, der mit ihm die Schulbank drückt und in dieselbe christliche Kirchengemeinde geht, erotische kleine Geschichten – nur für sie selbst und ihr eigenes Vergnügen bestimmt.

Intime Fantasien in aller Munde

Weder ihre Mutter noch ihre Klassenkameraden würden ihr wohl so viel sinnliche Kreativität zutrauen, denn Laras ist das Musterbild einer braven Streberin. Obwohl sie aus einfachen Verhältnissen kommt – der Vater hat die Familie verlassen, die Mutter führt ein kleines Geschäft –, hat sie sich durch ein Stipendium den Zugang zu einer der besseren Schulen in Jakarta gesichert; dort glänzt sie mit guten Noten und hat es als Liebling der Lehrer bis zur Schulsprecherin gebracht.

Doch dann passiert ein Unglück, das nicht nur Laras Aussicht auf einen guten Abschluss gefährdet, sondern sie auch in ein Fegefeuer der Scham stürzt. In Folge eines missglückten Logouts gelangt ein Mitschüler an „Dear David“ und leakt den Blog für die ganze Schule. Immerhin: Der Blog ist anonym; dass Laras die Autorin der Geschichten ist, weiß also zunächst niemand. Dennoch ist sie hochnotpeinlich berührt, weil sich auf einmal alle das Maul über ihre intimen Fantasien zerreißen.

Die strenge Schulleiterin ist von dem Aufruhr ebenfalls nicht amüsiert. Statt Gras über die Sache wachsen zu lassen, fahndet sie verbissen nach der Urheberin des „pornografischen“ Materials. Noch schlimmer wird die Angelegenheit, weil David, Laras’ Objekt der Begierde, schwer darunter leidet, dass ihn die ganze Schule plötzlich mit anderen, teils begehrlichen, teils spöttischen Augen sieht. Außerdem gerät auch Laras‘ ehemalige Freundin Dilla, die wegen ihrer freigeistig-unkonventionellen Art als „Schlampe“ verschrieen ist, in Verdacht, hinter „Dear David“ zu stecken.

Laras will wieder gut machen, was sie den beiden eingebrockt hat, ohne sich selbst dabei bloßzustellen. Als David dann herausfindet, dass sie die Autorin des Blogs ist, gibt er ihr eine Gelegenheit dazu, die für das verliebte Mädchen aber eine neue Pein darstellt: Sie soll David, der seinerseits für die coole Dilla schwärmt, mit dem Mädchen bekanntmachen.

Eine souveräne Talentprobe

Der Streaminganbieter Netflix ist auf dem indonesischen Markt relativ rege und erweitert sein Portfolio regelmäßig mit neuen Produktionen aus der Region, nicht zuletzt mit exaltierten Actionfilmen und romantischen Komödien. Zu den interessanten indonesischen Filmemachern, deren Wek auf diesem Weg in Deutschland zugänglich wird, gehört Lucky Kuswandi, der sein Handwerk in den USA gelernt hat und bei internationalen Filmfestivals auf sich aufmerksam machte. 2021 brachte er dann bei Netflix die Komödie „Ali & Ratu Ratu Queens“ heraus, die um Migrationserfahrung und die indonesische Community in New York kreist. Nun hat er mit „Dear David“ eine weitere souveräne Talentprobe abgelegt – eine Mischung aus RomCom und Highschool-Komödie, die international populäre Genremuster an indonesische Verhältnisse anschmiegt und eine ebenso einfühlsame wie eingängige Story rund um ein heikles Gefühl entwickelt: Es geht und Scham und Beschämung, vor allem, aber nicht nur in Bezug auf weibliches Begehren und den gesellschaftlichen Umgang damit. Die Tradition eines christlich-patriarchal geprägten Sündenverständnisses spielt dabei ebenso eine Rolle wie die Janusköpfigkeit des Internets und der Sozialen Medien, die Laras und ihren Altersgenossen zwar Freiräume verschaffen und neue Freizügigkeit ermöglichen, zugleich aber die Privatsphäre aufweichen und als eine Art virtueller Pranger als Medium der Bloßstellung funktionieren können.

Kuswandi schafft dabei das Kunststück, sich nie im Ton zu vergreifen. So setzt er einige von Laras erotischen Träumen humorvoll in Szene, aber ohne sich über sie lustig zu machen, wie es etwa die Jungs aus der Fußballmannschaft tun, die David in der Umkleide necken. Der insgesamt heitere Ton hält Kuswandi nicht davon ab, die Nöte der Protagonist:innen ernst zu nehmen. So arbeitet er etwa sehr präzise peu à peu heraus, was das Bangen um ihre Bloßstellung für Laras bedeutet und dass es dabei nicht einfach nur um den „cringe“-Faktor geht, sondern um einen existenziellen Druck, der mit der familiären und materiellen Situation des Mädchens zu tun hat.

Das Pfund, mit dem die Inszenierung wuchert, sind die Jungdarsteller Shenina Cinnamon, Caitlin North Lewis und Emir Mahira, deren nuancenreiches Spiel die wechselhaften Gefühle der Protagonisten jederzeit nachvollziehen lässt. Dabei kommt ihnen ein Drehbuch zu Hilfe, das sich den Figuren sehr behutsam annähert und erst allmählich ihre Geheimnisse enthüllt.

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