20.000 Arten von Bienen

Romain Antony | 10.03.2023

Auch hier ist mal wider ein ein Film zu sehen, der zäh anfängt, sich mühsam entwickelt, von Alltagsverläufen überzogen ist, von familiärer Hektik und Betriebsamkeit. Erste Anzeichen umkreisen das Filmthema. Der etwa 8jährige Aitor hat lange Haare, er will nicht Coco genannt werden, hat bunte Fingernägel, grün, und wird öfters für ein Mädchen gehalten. Mit seinen beiden Geschwistern, einem älteren Mädchen und einem Bruder und seinem Vater versteht er sich nicht besonders, wohl aber mit seiner Mutter Ane (Patricia López Arnaiz), an der er sehr hängt. Die Familie fährt ohne den Vater zu einer Taufe in die Geburtsgegend der Mutter, sie dort als Tochter und Künstlerin in einem Künstlerhaushalt aufgewachsen ist. Der verstorbene Vater, Skulpteur und Bildhauer war für die Kunst und seine Frau, Anes Mutter, war für das Marketing zuständig. Eine wichtige Rolle im Film spielen die Natur in den baskischen Pyrenäen und die Bienen, von denen es ca. 20.000 Arten gibt und eine Tante der Mutter, die Imkerin ist und als eine der wenigen viel Verständnis für Aitor hat. Sie versucht, die Mutter Ane auf seine Not hinzuweisen. Die ist allerdings mit eine Bewerbung zu einer Kunstprofessur beschäftigt. Wir erfahren viel über Bienen, wie sie sich häuten, wie sie bei Krankheiten heilen können und über ein Ritual, wie sie bei Geburten, Todesfällen durch Klopfen auf den Bienenstock über Familienereignisse unterrichtet werden. Die Identitätskrise von Aitor/Coco nimmt zu. Wer bin ich, wie will ich sein, wieso bin ich anders? begleitet wird im Film die Thematik der Geschlechtsidentifikation mit religiösen Themen. Eine hölzerne Johannesfigur fehlt in der Kirche und findet sich im Fluss wieder. Was Glaube ist, wird bei kindlicher Nachfrage zu klären versucht. Die Heiligengeschichte der Santa Lucia, die allen Widerständen zum Trotz, an ihrem Glauben festhält, wird erzählt. Auch diese religiösen Aspekte weisen darauf hin, dass eine Wandlung, eine Neuwerdung entsteht. Aitor war entschlossen, sich während der Tauffeier als Mädchen zu outen, hatte bereits ein Kleid ausgesucht und verzichtet auf sein/ihr Vorhaben, um die Feier nicht zu kompromittieren. Er/sie verschwindet und als das der Familie auffällt, bricht die ganze Familie zu einer verzweifelten Suche auf. „Aitor“ tönt es vielstimmig durch den Wald, dann immer häufiger, vorwiegend gerufen von der Mutter: „Lucia, Lucia“! In der letzten Szene ist die Familie glücklich strahlend auf einem großen Bett im Schlafzimmer vereint. Nach einem kurzen Abspann sieht man Lucia bei der Autofahrt nach Hause glücklich aus dem geöffneten Autofenster blicken. Die Rolle von Aitor/Coco, die von einem Jungen handelt, der sich wie ein Mädchen fühlt, wird von einem Mädchen (Sofia Otero) gespielt. Hervorragend. Und sie bekommt ja auch dafür den Goldenen Bären als beste Darstellerin. cf auch: Berlinale Tagebuch 2023 in: www.filmekommentieren.wordpress.com