Bad Living

Romain Antony | 10.03.2023

Es gibt noch einen großartigen Meister des Bewegten Standbildes (neben Angela Schanelec): João Canijo. Dieser Film handelt von fünf Frauen, zwei Männer werden erwähnt, tauchen im Film nicht auf, einer davon ist kürzlich verstorben. Thema ist die transgenerative Weitergabe von Liebesentzug, Double Bind und Bindungsstörung. Bowlby, Ainsworth und die Antipsychiatriebewegung hätten das Drehbuch nicht besser schreiben können. In einem in die Jahre gekommenen portugiesischen Hotel mit riesigem Pool treffen Großmutter Sara , Mutter Piedade und Tochter Salomé aufeinander, unterstützt in der Hotelführung durch eine Köchin und eine Kellnerin. Mit zunehmender Dauer des Films wird die Lieblosigkeit der Großmutter intensiver sichtbar, ihre Ablehnung, Demütigung der Tochter gegenüber, die sich nur hilflos zurückziehen kann und ihre Liebe ausschließlich ihrem kleinen Hund Alma schenkt. Zu ihrer Tochter Salomé, die bei ihrem verstorbenen Vater gelebt hat, und nun den Kontakt zur Mutter sucht, findet Piedade keinen Zugang. Alle Versuche von Annäherung, Klärung führen nicht weiter und vertiefen die Beziehungslosigkeit. Die Mutter Piedade, deren Depression durch die Ablehnungen verstärkt wird, sucht mit Tabletten im Pool den Suizid. Das ist das Geschehen, mit dem sich der Film über 127 Minuten lang beschäftigt. Eindringliche Bildeinstellungen haben eine hohe ästhetische Qualität, ebenso das gediegene Interieur des Hotels mit anspruchsvollen Lampen, hochfeiner Küche, teuren Ledergarnituren. Waagerechte und senkrechte Strukturen durch Türrahmen oder Tischkanten kennzeichnen das Filmbild und komponieren Aufnahmen, auf denen das Auge lange ruhen kann. Die Geschichte ist einfach, ein Familienpsychogramm. Trotz kräftiger und warmer Farben strahlt der Film eine bemerkenswerte Kälte aus, die der emotionalen Kälte der Protagonistinnen entspricht. Sie wird durch die Starrheit der Bewegungsabläufe vermittelt, die in Dialogen, Handreichungen Unbehagen auslösen. Das Gegenteil von Behaglichkeit, Geborgenheit, bien à l’aise. Mal viver! Da wo keine Liebe herrscht, ist das Leben hoffnungslos schlecht. cf auch: Berlinale Tagebuch 2023 in: www.filmekommentieren.wordpress.com