Drama | Deutschland 2023 | 88 Minuten

Regie: Ruth Olshan

Eine gutmütige brandenburgische Polizistin hat in ihrem Dorf vorwiegend mit Bagatelldelikten zu tun und hält sich zuerst auch zurück, als eine Straße abgetragen wird, die an die NS-Vergangenheit des Ortes erinnerte. Während eine Grundschullehrerin dies als Verrat an der Geschichte betrachtet, tritt eine gescheiterte Schauspielerin mit rechtslastigen Videos hervor, die bald auch gewaltbereite Unterstützer finden. Der mit Leichtigkeit und Humor inszenierte Film beschreibt eine Entwicklung, wie sie für manche ländliche Region nicht untypisch ist. Das Drama präsentiert sich anschaulich und ohne falsche Beschwichtigung, wenn auch nicht sehr konfliktbereit. - Ab 14.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2023
Produktionsfirma
Zischlermann Filmprod.
Regie
Ruth Olshan
Buch
Alfred Roesler-Kleint · Scarlett Kleint · Ruth Olshan
Kamera
Katharina Dießner
Musik
Ulrich Reuter
Schnitt
Catrin Vogt
Darsteller
Annett Sawallisch (Melanie Kosse) · Claudia Eisinger (Lydia John) · Alina Levshin (Anja Raabe) · Jörg Schüttauf (Elvis Neumann) · Robert Höller (Heiko Moede)
Länge
88 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Drama | Komödie
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In einem beschaulichen Dorf in Brandenburg wird das soziale Gefüge durch den Zuzug einer rechten Influencerin durcheinandergebracht.

Diskussion

Melanies Revier liegt ziemlich idyllisch zwischen Wäldern, Feldern und Seen im flachen brandenburgischen Land. Melanie (Annett Sawallisch) ist Dorfpolizistin und fährt mit ihrem Kollegen Heiko (Robert Höller) Streife. Bei Verschmutzungen von öffentlichen Plätzen legen die beiden Ordnungshüter selbst Hand an und haben es ansonsten meist nur mit mysteriösen Fahrradteil-Diebstählen zu tun. Auch die Bewohnerschaft des Ortes Wolfswinkel ist übersichtlich und besteht aus Einheimischen und ein paar Zugezogenen. Der joviale, aber konfliktscheue Bürgermeister Elvis (Jörg Schüttauf) kümmert sich vor allem um seine Baufirma, gratuliert der Dorfältesten Martha (Carmen-Maja Antoni) salbungsvoll zum Geburtstag und hofft ansonsten, dass der Frieden in seinem Örtchen noch lange währen möge.

Gescheiterte Schauspielerin mit rechtem Videoblog

Damit ist jedoch Schluss, als Lydia (Claudia Eisinger) in Wolfswinkel Einzug hält. Sie stammt aus dem Ort, ist einst aber nach Berlin gezogen, um Schauspielerin zu werden. Nun kehrt sie ins Haus ihrer verstorbenen Tante zurück, das sie geerbt hat.

Früher waren Melanie, die heutige Dorfschullehrerin Anja (Alina Levshin) und Lydia beste Freundinnen. Zunächst werden Erinnerungen an alte Zeiten beschworen, und Melanie freut sich über die Rückkehr der früheren Busenfreundin. Doch bald verbreitet diese in ihrem Videoblog rechte Parolen unter dem Motto „Hol’ dir deine Heimat zurück“. Sie errichtet in Form eines Findlings ein Denkmal für die Gefallenen des Zweiten Weltkriegs und verharmlost das Verschwinden einer gepflasterten Straße im Wald. Die wurde einst von KZ-Häftlingen aus Sachsenhausen errichtet; Bürgermeister Elvis will darauf eine Asphaltstraße bauen und hat sich die Steine offenbar unter den Nagel gerissen.

Bald entsteht auch eine Art rechte Bürgerwehr. Das von Anja errichtete Gedenkschild für die Zwangsarbeiter wird geschändet, und Rechte und Linke geraten immer mehr aneinander. Die Einzige, die versucht, sich politisch aus allem herauszuhalten, ist Melanie. Doch als die Lage sich zuspitzt und Anja ins Visier der Rechten gerät, muss auch Melanie Farbe bekennen.

„Wolfswinkel“ beschreibt eine allmähliche Eskalation. Sie kommt allerdings nicht aus dem Nichts, sondern hat nur auf einen Katalysator gewartet. Der präsentiert sich in Gestalt von Lydia, der zurückgekehrten Tochter des Ortes, die von den Bewohnern als Berühmtheit angehimmelt wird. Dass sie beruflich in der Ferne gescheitert ist, will niemand wahrhaben. Stattdessen sehen die Menschen in ihr eine Anführerin. Sie lassen sich auf Lydias rechte Parolen auch deshalb ein, weil das Gedankengut im Ort bereits vorhanden war. Das macht der Fernsehfilm von Regisseurin Ruth Olshan sehr deutlich. Die Bewohner, allen voran Bürgermeister Elvis, haben keinerlei Geschichtsbewusstsein. Sie setzen auf ihre Geschäfte im Hier und Jetzt und hinterfragen die einfachen Lösungen Lydias nicht.

Die Leere im Ort

Menschen wie Anja, die an geschichtliches Unrecht erinnern, werden als Störenfriede abgetan. Überhaupt füllt die Agitation Lydias und ihrer zumeist aus jungen Menschen bestehenden Mannschaft eine Lücke. Denn in dem scheinbar so idyllischen Dörfchen ist nichts los; es gibt keine Freizeit- und Kulturangebote. Die Menschen sind für den von Lydia beschworenen Zusammenhalt dankbar. Auch die Ex-Schauspielerin und jetzige Influencerin handelt vor allem in einer Mischung aus Pragmatismus und Opportunismus. Sie erkennt die Leere vor Ort und sucht sich eine Nische, mit der sie doppelt punkten kann. Als lokale „Berühmtheit“ erreicht sie die Dorfbewohner, kann aber über ihr physisches Einsatzgebiet hinaus auch ein Publikum im Internet erreichen.

Verhandelt wird das alles freilich nicht bierernst, sondern in eher beschwingtem, leicht ironischem Ton, vor allem zu Beginn, als die unterbeschäftigten Polizisten ihre Arbeitszeit mit banalen Handlungen füllen. Doch auf diese Weise offenbart sich bald auch die Limitiertheit des ländlichen Mikrokosmos, trotz aller Schauwerte. Die Einwohner werden zwar nicht als beschränkte Provinzler gezeichnet, doch dass in Wolfswinkel eine gewisse Engstirnigkeit vorherrscht, zeigt sich auch in Melanies verschwiegenem Privatleben. So unterhält sie eine heimliche Beziehung zu dem polnischen Binnenschiffer Karol (Grzegorz Stosz), von dem sie zudem schwanger geworden ist.

Dass auch auf die Polizei im Notfall kein Verlass ist, erkennt man anhand der Schilderung der passiven Ordnungshüter auf der Polizeiwache, die aus Bequemlichkeit, aber auch eigener Anfälligkeit für rechtes Gedankengut keinerlei Antrieb erkennen lassen, ihre Arbeit in dringlichen Fällen ordentlich zu verrichten.

Der Film beschwichtigt nicht

Nicht alles wird in „Wolfswinkel“ konsequent erzählt; einige narrative Stränge gehen verloren, und auch die berlinerisch-brandenburgische Mundart – sie soll für Lokalkolorit sorgen – halten nicht alle Darsteller konsequent durch. Eine gewisse Konfliktscheu ist dem Film ebenfalls anzumerken, denn wirklich brisant wird es nie. Am Ende bekommt man eine fröhliche Gesangs- und Tanzeinlage der Figuren serviert, deren Zweck rätseln lässt. Dennoch sind die darstellerischen Leistungen solide. Vor allem Jörg Schüttauf und Carmen-Maja Antoni sorgen mit ihren knapp am Overacting vorbeischrammenden Auftritten für Herz und Humor. Unterm Strich beschwichtigt diese Mischung aus Dramödie und Sozialstudie allerdings nicht, sondern macht klar, dass die politisch angespannte Lage in dem fiktiven Dorf, das stellvertretend für echte Ortschaften steht, sich nicht von heute auf morgen beheben lässt.

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