Drama | Großbritannien 2023 | Minuten

Regie: Stéphanie Chuat

Marseille 1940: Während die französische Polizei von Tag zu Tag härter gegen Flüchtlinge vorgeht, die aus dem Einflussgebiet der Nazis entkommen wollen, kämpfen einige Amerikaner, Franzosen und Deutsche darum, möglichst viele Menschen vor dem Terrorregime in Sicherheit zu bringen. Mit dem Emergency Rescue Committee wollen der US-Journalist Varian Fry und seine Mitstreiter auch bekannte Künstler retten und in die USA schaffen. In den sieben Folgen der Mini-Serie gelingt ein packendes Zeitbild vom Leben im immer länger werdenden Schatten des NS-Diktatur, das den Protagonisten des Emergency Rescue Committee ein Denkmal setzt und stimmig die Spannungen auf der politischen Bühne aufzeigt. Weniger gelungen sind einige Liebesgeschichten, die eher ungeschickt eingebaut sind. - Ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
TRANSATLANTIC
Produktionsland
Großbritannien
Produktionsjahr
2023
Produktionsfirma
Studio Airlift/Cactus Films
Regie
Stéphanie Chuat · Véronique Reymond · Mia Maariel Meyer
Buch
Anna Winger · Daniel Hendler · Tunde Aladese · Steve Bailie · Carey McKenzie
Kamera
Sebastian Thaler · Wolfgang Thaler
Schnitt
Jamin Benazzouz · Barbara Gies · Gesa Jäger · Julia Kovalenko
Darsteller
Cory Michael Smith (Varian Fry) · Gillian Jacobs (Mary Jayne Gold) · Lucas Englander (Albert Hirschman) · Corey Stoll (Graham Patterson) · Grégory Montel (Philippe Frot)
Länge
Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Drama | Historienfilm | Serie

Eine Miniserie über die Arbeit des „Emergency Rescue Committee“, einer Hilfsorganisation, die während des Zweiten Weltkriegs Juden und anderen vom NS-Regime Bedrohten von Frankreich aus zur Flucht verhalf.

Diskussion

Als Autorin war Anna Winger unter anderem an der Serie „Deutschland 83/86/89“ beteiligt sowie an der preisgekrönten Mini-Serie „Unorthodox“ für Netflix. Knapp drei Jahre später ist nun ihr nächstes Projekt bei dem Streamingdienst zu sehen. Im Mittelpunkt steht ein Aspekt des Zweiten Weltkriegs, der bislang meist nur in filmischen Künstlerbiografien eine Rolle spielte: Es geht um die Arbeit des „Emergency Rescue Committee“, einer Hilfsorganisation für vom NS-Regime Verfolgte, die von ihrem Büro in Marseille aus bis zum Herbst 1941 über 2000 Exilanten zur Flucht verhalf. Darunter auch zahlreiche Künstler und Intellektuelle, von Alfred Döblin über Lion Feuchtwanger bis zu Max Ernst. Statt sich aber hauptsächlich den teils berühmten Verfolgten zu widmen, richten Winger und ihr Co-Autor und Co-Produzent Daniel Hendler ihren Blick auf die Helfer, die zum Teil unter Lebensgefahr dafür sorgten, dass Künstler wie Marc Chagall und Intellektuelle und Autoren wie Hannah Arendt oder Franz Werfel ins sichere Staatsgebiet der USA reisen konnten und so dem Zugriff der Nazis entzogen wurden.

Der lange Schatten der Diktatur

In den Mittelpunkt rücken Winger und Hendler dabei drei Charaktere, die es wirklich gab: die reiche Unternehmertochter Mary Jayne Gold (Gillian Jacobs), den jüdischen Flüchtling Albert Hirschman (Lucas Englander) und den US-Journalisten Varian Fry (Cory Michael Smith), der als wichtigster Kopf des Emergency Rescue Committee gilt und in den Jahren 1940 und 1941 in Marseille um Ausreisemöglichkeiten für Verfolgte der Nazis kämpfte. Eine der größten Stärken der Serie ist die genaue Skizzierung der damaligen Zeit, in der von den Nazis im Süden Frankreichs zwar noch nicht viel zu sehen war, ihre menschenverachtenden Ziele aber bereits einen deutlichen Schatten warfen. Damit erinnert „Transatlantic“ von der Atmosphäre her durchaus ein wenig an den Klassiker „Casablanca“, in dem es um ähnliche Themen ging.

Den Regisseurinnen Stéphanie Chuat und Véronique Reymond (bekannt u.a. durch das Drama „Schwesterlein“) gelingt es dabei, die ständig wachsende Bedrohung weitgehend ohne SS-Uniformen und Klischees fieser Nazi-Offiziere zu erzielen; die Angst ist hier diffuser – und doch in jedem Moment greifbar. Daraus speisen sich viele Szenen, in denen die Menschen, denen der Tod droht, jede Gelegenheit dazu nutzen, um das Leben zu feiern, solange sie es noch haben. Besonders deutlich wird dies in der dritten Folge, in der der Maler Max Ernst in der Zufluchtsvilla außerhalb von Marseille ausgelassen seinen Geburtstag begeht und die Gäste jeden Moment auskosten, als gäbe es kein Morgen.

Im Spannungsfeld politischer Agenden

Auch die Politik der damaligen Zeit findet in der Serie die nötige Beachtung. So glänzt Corey Stoll als blasierter Botschafter der USA, die zu diesem Zeitpunkt noch neutral waren. Er macht aus sehr persönlichen Motiven dem Rescue Committee das Leben schwer. Als weitere Drahtzieherin im komplexen Gespinst der Agenden erweist sich die britische Agentin Margaux, die zwar bereit ist, das Committee mit Geldmitteln auszustatten, dafür aber einen hohen Preis fordert.

Winger und Hendler erschaffen so in ihren Drehbüchern einen Raum, in dem auf den zweiten Blick nicht viel so schwarz-weiß bleibt, wie es am Anfang noch scheinen mag, stattdessen treten immer mehr die Grautöne der Figuren zum Vorschein. Und wandeln die historischen Charaktere in echte Menschen um, mit denen der Zuschauer mitfiebern und mitleiden kann.

Nicht jede Love-Story sitzt

Während der historische Kontext gut funktioniert, offenbart „Transatlantic“ leichte Schwächen an anderer Stelle. Denn manche der zwischenmenschlichen Beziehungen, die von den Autoren gern als Motivation für das Verhalten ihrer Protagonisten genutzt werden, zeigen sich als wenig überzeugend oder nicht wirklich zu Ende erzählt. Sieben Folgen erweisen sich für viele der Nebenfiguren als zu knapp, um sich zu entwickeln und ihr ganzes Potenzial zu entfalten. Und so lässt mancher romantische Moment das Publikum kälter, als es nötig gewesen wäre. Auch der Umgang mit der Tatsache, dass Fry homosexuell war, wirkt etwas hilflos; die Macher:innen wollen sie zwar nicht verschweigen, finden aber keine überzeugende Lösung, sie dramaturgisch in die Erzählung einzubauen. Mary Jayne Gold, von Gillian Jacobs mit einer schönen Mischung aus Eleganz und Bodenständigkeit verkörpert, verliert mitunter ihre präzise Kontur zugunsten des Prototyps „Unabhängige Frau in Zeiten, in denen das für Frauen eigentlich noch fast unmöglich war“, der derzeit in Historiendramen unverzichtbar zu sein scheint und allmählich zum Klischee zu gerinnen droht. Das bremst manchmal die Handlung ein wenig aus, ohne letztlich Neues zur Serie beizutragen.

Dass das Auftauchen großer Namen weitgehend kommentarlos geschieht und so vielleicht eher das Bildungsbürgertum anspricht, das sie kennt, als eine jüngere Zielgruppe, mag man der Serie vorhalten. Allerdings sind die sehr menschlichen Porträts der kulturellen Größen von Alexander Fehling (Max Ernst) oder Moritz Bleibtreu (Walter Benjamin) so gelungen, dass sie als Figuren durchaus auch funktionieren, wenn man nicht genau weiß, welche Schätze kultureller oder intellektueller Art sie der Menschheit nun hinterlassen haben. Fry, Gold und Hirschman wollten in erster Linie Menschen retten – und das erzählt die Serie eindringlich und größtenteils spannend. Und diesen fast vergessenen Helden ein filmisches Denkmal zu setzen, ist ohnehin eine gute Idee.

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