Horror | USA 2023 | 354 (6 Folgen) Minuten

Regie: Sean Durkin

Zwei Zwillingsschwestern teilen alles, von ihren Geliebten bis zu ihren ehrgeizigen Zielen als Gynäkologinnen. Als sie ein ultramodernes Geburten- und Frauengesundheitszentrum eröffnen und medizinische wie ethische Grenzen überschreiten, wandelt sich ihre Symbiose zur missbräuchlichen Ko-Abhängigkeit. Die Miniserie rückt in einer Reinterpretation des Horrorfilms „Die Unzertrennlichen“ (1988) den gesellschaftlichen Blick auf den weiblichen Körper ins Zentrum. Ein feministischer Body-Horror-Thriller, in dessen utopisch-dystopischen Visionen um Schwangerschaft, Geburt und ewige Jugend sich auch der Widerstand gegen eine Welt artikuliert, in der Frauen als Anomalien abgewertet werden. - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
DEAD RINGERS
Produktionsland
USA
Produktionsjahr
2023
Produktionsfirma
Amazon Studios/Annapurna/Morgan Creek
Regie
Sean Durkin · Lauren Wolkstein · Karena Evans · Karyn Kusama
Buch
Alice Birch · Rachel De-Lahay · Ming Peiffer · Susan Soon He Stanton
Kamera
Laura Merians Goncalves · Jody Lee Lipes
Musik
Murray Gold
Schnitt
Erica Freed Marker · Daniel A. Valverde · Affonso Gonçalves · Lisa Lassek
Darsteller
Rachel Weisz (Beverly Mantle/Elliot Mantle) · Britne Oldford (Genevieve) · Poppy Liu (Greta) · Michael Chernus (Tom) · Jennifer Ehle (Rebecca)
Länge
354 (6 Folgen) Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12 (Ep. 3) & ab 16 (Ep. 1-2,4-6)
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Genre
Horror | Serie | Thriller
Externe Links
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Zwei Zwillingsschwestern teilen alles, von ihren Liebhabern bis zu ihren grenzgängerischen Ambitionen als Wissenschaftlerinnen. Eine Serie nach dem Horrorfilm „Die Unzertrennlichen“ von David Cronenberg.

Diskussion

Der Operationsraum könnte auch eine Bühne sein, so klinisch-schick ist die Einrichtung und so stylisch erscheinen die Schwestern und Ärztinnen in ihren Kitteln aus blutrotem Stoff. Die Gynäkologinnen Beverly und Elliot Mantle (beide gespielt von Rachel Weisz) führen einen Kaiserschnitt durch, als wäre es eine Feier: routiniert, aber herzlich, konzentriert und doch mit persönlicher Ansprache an die werdende Mutter und ihre Familie.

Die Serie „Dead Ringers“ adaptiert einen der kontroversesten und radikalsten Body-Horror-Filme der 1980er-Jahre – David Cronenbergs gleichnamigen Thriller, der im deutschsprachigen Raum als „Die Unzertrennlichen“ (1988) in die Kinos kam. Der Roman „Twins“ von Bari Wood und Jack Geasland diente in beiden Adaptionen als Vorlage. Die blutrot-sterile Operation ist sowohl bei Cronenberg als auch in der Serie eine Schlüsselszene, obwohl sich das Drehbuch von Alice Birch und die visuelle Umsetzung sonst nicht an Cronenberg orientieren.

Birch, aktuell eine der begehrtesten Theater- und Drehbuchautorinnen im englischsprachigen Raum, hat bereits in ihrem Film „Lady Macbeth“ (2016) und der Serie „Normal People“ (2020) Protagonistinnen ins Zentrum gerückt und damit vermeintlich eindeutigen, weil althergebrachten Geschichten neue Perspektiven gegeben. Mit „Dead Ringers“ nimmt sie sich nichts weniger als den Blick auf den weiblichen Körper und dessen gesellschaftliche Beanspruchung vor. Was zugleich heißt, dass nichts beschönigt wird. Die Serie beginnt mit einer schnell hintereinander montierten Sequenz aus Geburtsszenen, einer Schleife aus Schreien, Blut und Babys, die aus Frauenkörpern herausgezogen, geschnitten und befreit werden.

Rachel Weisz in den Fußstapfen von Jeremy Irons

Rachel Weisz schlüpft in einem „Gender-Swap“ in die Rolle der eineiigen Zwillinge Beverly und Elliott Mantle – die Namen sind bewusst genderfluide. Bei Cronenberg spielte Jeremy Irons die Doppelrolle der beinahe symbiotisch miteinander verwachsenen Geschwister, die ausnahmslos alles teilen – von ihren Geliebten bis hin zu den ehrgeizigen medizinischen Zielen. Dass die Mantles nun Frauen sind, bleibt keinesfalls eine bloße pseudofeministische Umwidmung, sondern wird zur Reformulierung von körperlicher Selbstbestimmung. Birch macht das Zwillingspaar zum gender- und körperpolitischen Vexierspiegel ihrer Betrachtungen.

Eigentlich bräuchte Rachel Weisz die visuelle Unterscheidung gar nicht - Beverly mit Pferdeschwanz, Elliot mit offenen Haaren –, denn schon nach den ersten gemeinsamen Szenen sind aus den visuell deckungsgleichen Frauen zwei unterschiedliche Figuren geworden: die durchsetzungsfähige und oft übergriffige Elliot und die altruistisch-geerdete Beverly.

Die „Mantle Klinik“ sei ein ultramodernes Geburtenzentrum, das sämtliche Belange der weiblichen Gesundheit abdecke, verkünden die Zwillinge zu Beginn noch unisono. Schwangerschaft und Geburt, aber auch Fruchtbarkeitsprobleme und Wechseljahre sollen hier gleichermaßen behandelt werden. Dieser Ort scheint eine feministische Utopie zu sein, in der Frauen im Mittelpunkt stehen. Aus Patientinnen werden Gäste auf Augenhöhe, weil Schwangerschaft und Entbindung nicht mehr als Krankheit behandelt, sondern als natürliche Vorgänge ernstgenommen und deren wesenhafte Risiken medizinisch abgesichert werden.

Medizin, Geld & ethische Grenzen

Das geht natürlich nicht ohne Geld; Gesundheitswesen und Kapitalismus sind ähnlich symbiotisch miteinander verwachsen wie die Zwillinge. Die Financiers, allen voran die Pharma-Erbin Rebecca (genüsslich diabolisch gespielt von Jennifer Ehle), deren Familie die Opioid-Krise der USA mitverantwortet, geben sich wie Kunstmäzene, die sich mit Wissenschaft schmücken. Rentieren muss sich das trotz aller Wohltätigkeit aber dennoch!

„Dead Ringers“ teilt dabei in alle Richtungen aus. Rachel Weisz und Alice Birch haben sichtlich Freude und verwickeln die beiden Schwestern in einem psychedelischen Wechselspiel aus Abhängigkeit und Selbstbestimmung immer mehr in eine geradezu toxische Ko-Abhängigkeit. Je mehr man über die ehrgeizigen Ziele der Mantle-Zwillinge hört, desto dystopischer klingen diese nach düsterer Science-Fiction: künstliche Gebärmütter, in denen Embryos gezüchtet werden, um die Körper der Schönen und Reichen nicht zu beeinträchtigen; Reimplantation von eigenem Uterus-Gewebe, um die Menopause zu verzögern, ewige Jugend.

Beide stoßen allerdings schnell an medizinische wie ethische Grenzen. Elliott will die Möglichkeiten der Forschung ausreizen, Beverly Frauen aus allen Schichten helfen und überdies die Lücke zu einer Medizin schließen, die vornehmlich von männlichen Körpern ausgeht.

Gegen eine Welt, die Frauen als Anomalien abwertet

Die Mantles sind keine besseren Menschen, nur weil sie jetzt Frauen sind. Doch während die Männer bei Cronenberg in bodenlangen Gewändern mit selbst entwickelten Gerätschaften in einer quasi-religiösen Zeremonie an den Frauenkörpern wie an Gebärmaschinen herumdoktern, wirken die Mantles hier wie die Mägde in „The Handmaid’s Tale“: wie radikale Widersacherinnen gegen eine Welt, die Frauen als Anomalien abwertet. Das setzt die klinische Menschenverachtung dieses politischen Körperhorrors thematisch in Verwandtschaft zu Serien wie „Yellowjackets“ (2021) oder „Big Little Lies“ (2017) oder Filme wie „Titane“ (2021).

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