Komödie | USA 1993 | 154 Minuten

Regie: Quentin Tarantino

Episoden aus der Unterwelt von Los Angeles: Ein Leibwächter, der auf die junge Frau eines Gangsterbosses aufpassen soll, gerät in Teufels Küche. Ein alternder Boxer, auf der Flucht vor Gangstern, riskiert sein Leben wegen einer vom Vater ererbten Uhr. Zwei Killer stehen vor dem Problem, eine Leiche und eine bluttriefende Limousine beseitigen zu müssen. Mit lakonischem Humor zeigt die brillante schwarze Komödie eine Gesellschaft, die von Brutalität, Dummheit, moralischer Indifferenz und grotesken Zufällen beherrscht wird. Bekannte Muster der Trivialkultur und des amerikanischen B-Pictures werden auf intelligente Weise variiert und konterkariert. Dabei schreckt der Film auch nicht vor exzessiven, wenn auch satirisch überspitzten Gewaltszenen zurück, die teilweise nur schwer verdaulich sind. - Ab 18.
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Filmdaten

Originaltitel
PULP FICTION
Produktionsland
USA
Produktionsjahr
1993
Produktionsfirma
Brown 25/Jersey
Regie
Quentin Tarantino
Buch
Quentin Tarantino · Roger Avary
Kamera
Andrzej Sekula
Musik
div. Rock- und Popsongs
Schnitt
Sally Menke
Darsteller
John Travolta (Vincent) · Bruce Willis (Butch) · Uma Thurman (Mia) · Samuel L. Jackson (Jules) · Harvey Keitel (The Wolf)
Länge
154 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 16; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 18.
Genre
Komödie | Thriller
Externe Links
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Heimkino

Der Film existiert auf DVD und BD in diversen Umverpackungen. Die Erstauflage (2000) beinhaltet u.a. ein interessant gestaltetes Feature, in dem logische Fehler des Films ("Goofs") in Wort und Bild aufgezeigt werden (13 Min.). Die Collector’s Edition (2006, 2 DVDs) umfasst zudem die Dokumentation "Pulp Fiction: The Facts" (31 Min.), ein Feature mit sechs im Film nicht verwendeten Szenen (24 Min.), das längere TV-Interview: "Quentin Tarantino in der Charlie-Rose-Show" (56 Min.), das TV-Feature "Siskel & Ebert 'At the Movies' - Die Tarantino-Generation" (16 Min.) sowie ein Bericht von den "Independent Spirit Awards" (12 Min.). Die BD (2012) enthält zudem noch die Features: "Nicht das übliche langweilige Lernen-wir-uns-kennen-Gesülze" (43 Min.) und "Hier sind ein paar Fakten über die Fiktion" (20 Min.). Die Collector’s Edition ist mit dem Silberling 2006 ausgezeichnet. Die BD ist mit dem Silberling 2012 ausgezeichnet.

Verleih DVD
BMG & Miramax/Buena Vista (16:9, 2.35:1, DD5.1 engl./dt.) Arthaus/StudioCanal (16:9, 2.35:1, DD5.1 engl./dt.)
Verleih Blu-ray
Arthaus/StudioCanal (16:9, 2.35:1, dts-HDMA engl./dt.)
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Diskussion
Vincent und Jules sind Profis. Ihren Job erledigen sie mit cooler Lässigkeit. Nicht daß die Arbeit sie nicht fordern würde. Im Gegenteil: Es handelt sich um eine durchaus anspruchsvolle Tätigkeit, für die man Talent und Erfahrung braucht. Vincent und Jules sind hochqualifizierte Fachkräfte. Entsprechend groß ist ihr Selbstvertrauen, mit dem sie zu Werke gehen. Ihre Souveränität erlaubt es ihnen sogar, zwischendurch hochgeistige Gespräche über Gott und die Welt zu führen, ohne daß dabei die Arbeit leidet. Und die verlangt höchste Konzentration und Präzision. Vincent und Jules arbeiten nämlich in der Killerbranche: ihr Job ist es, andere Leute auftragsgemäß vom Leben zum Tode zu befördern. Und da kann schon der kleinste Fehler unangenehme Folgen haben.

Vincent und Jules, hinreißend gespielt von John Travolta und Samuel L. Jackson, wirken in Quentin Tarantinos schwarzer Komödie manchmal wie eine hintersinnige Parodie auf Bruno Ganz und Otto Sander in Wenders' "Der Himmel über Berlin": zwei Schutz- und Todesengel, die, unterwegs im Dickicht der Städte, von der Sinnfrage mächtig bewegt werden. Und wie die metaphysischen Flaneure bei Wenders fungieren auch die beiden Killer in "Pulp Fiction" als verbindendes Element zwischen verschiedenen Menschen und Milieus, zwischen einer Reihe individueller Schicksale und Geschichten. Diese Geschichten - es sind ungefähr dreieinhalb - haben vor allem eines gemeinsam: sie handeln von Leuten, die in etwas hineinschlittern und dann alle Mühe haben, mit heiler Haut wieder herauszukommen.

Vincent zum Beispiel wird von seinem Boß, dem mächtigen Marsellus Wallace, zum Aufpasser für dessen junge und hübsche Frau Mia abgestellt. Vincent geht mit Mia in die Disco und versteht sich prächtig mit ihr. Nach einigen heißen Tänzen und ebensovielen Drinks landen die beiden in Mias Appartement, wo sich das Mädchen unfreiwillig eine Überdosis Rauschgift verpaßt und ins Koma sinkt. Für Vincent ist es nun eine Frage des eigenen Überlebens, die Frau seines Arbeitgebers vor dem Ableben zu retten, was ihm unter Zuhilfenahme einer überdimensionalen Adrenalinspritze in letzter Sekunde gelingt.

Tief in der Tinte sitzt ebenfalls der alternde Boxer Butch Coolidge, der Marsellus Wallace übers Ohr gehauen hat und nun vor dessen Killern fliehen muß. Eigentlich könnte Butch mit dem ergaunerten Geld und seiner schönen Geliebten längst die Stadt verlassen haben, doch die Suche nach einer vom Vater ererbten Taschenuhr führt ihn in seine Wohnung zurück. Das riskante Unterfangen endet mit einem brutalen Showdown zwischen Butch und Wallace, an dem auch ein sadistischer Ladenbesitzer und ein perverser Polizist beteiligt sind.

In die Klemme geraten auch Vincent und Jules, als sie in ihrem Auto versehentlich einem jungen Schwarzen den Kopf wegschießen und die blutige Limousine nun irgendwie entsorgen müssen. Dabei hilft ihnen ein Spezialist, genannt "The Wolf, der das nötige Know-How beisteuert und den beiden zeigt, wie man eine Leichenbeseitigung organisatorisch auf die Reihe kriegt. Und da sind schließlich noch Pumpkin und Honey Bunny, die ausgerechnet jenes Diner-Restaurant überfallen, in dem sich gerade Vincent und Jules von ihrem Streß erholen wollen. Hier schließt sich der Kreis: Jules, den man zuvor als einen eminent gefährlichen, von biblischem Zorn erfüllten Todesboten kennengelernt hat, der seine Morde mit apokalyptischen Zitaten aus dem Alten Testament zu kommentieren pflegt, zeigt sich nun als Mann der Gnade. Anders als in einer Tötungsszene zu Beginn des Films, wo er die Situation auf beinahe unerträgliche Weise bis zum tödlichen Höhepunkt emotional hochpeitschte, entschärft er nun die brenzlige Lage und bringt sie ohne Blutvergießen zu einem "guten" Ende. Nachdem er den beiden hysterischen Amateur-Gaunern seine Überlegenheit gezeigt hat, läßt er sie laufen. Nur wahre Profis können sich eine solche Souveränität erlauben. Liegt es vielleicht daran, daß Jules dem Sinn des Daseins auf die Spur gekommen ist?

"Pulp Fiction" basiert auf mehreren Kurzfilm-Treatments, die Quentin Tarantino in den 80er Jahren schrieb, bevor ihm mit seinem Debütfilm "Reservoir Dogs" (fd 29 780) und seinem Drehbuch zu dem Thriller "True Romance" (fd 30 632) der Durchbruch als Autor/Regisseur gelang. Ähnlich wie Robert Altman in "Short Cuts" (fd 30 588) verknüpft Tarantino seine Episoden zu einem kalifornischen Katastrophen-Szenario, das zuweilen wie die Hardcore-Version von Jim Jarmuschs "Mystery Train" (fd 27 960) wirkt. Die Geschichten berühren einander an den Rändern, teilweise ergeben sich personelle, räumliche und zeitliche Überschneidungen, Parallelen und Simultaneitäten. So spielt Tarantino, wie schon in den Rückblendenszenen von "Reservoir Dogs", auf witzige Weise mit den Möglichkeiten und Unmöglichkeiten der linearen Erzählform im Film.

Die Tradition, der Tarantino dabei huldigt, ist im Titel präzise benannt. Pulp Fiction: das ist die amerikanische Groschenheft-Subkultur der 30er und 40er Jahre, ein literarisches Pendant zu den B-Movies der ...Schwarzen Serie". grell bebilderte Kurz- und Fortsetzungsge- schichten, Comics, Science-Fiction und Horror, vor allem aber "Mysteries" und Detektivgeschichten voller Sex & Crime, für 10 Cents zum baldigen Verbrauch handlich gebündelt in einem Heft, das man bequem in die Tasche stecken kann. Tarantino bezieht sich nicht nur auf die thematischen, sondern auch auf die formalen Traditionen dieser Wegwerf- und Einweg-Lektüre. "Pulp Fiction" ist nicht episch, sondern heftig; nicht der große Bogen, sondern die kleine, aber starke Dosis.

Wie die Pulp Fiction in einzelne Stories (und der Comic in einzelne "reels"), so zerfällt auch das Los Angeles in "Pulp Fiction" in Segmente: lauter autonome Welten, hermetische Milieus, abgesteckte Terrains. Tarantino schließt seine Figuren jeweils in ihre isolierten Mikro-Universen ein: Jeder lebt seine eigenen Macken und Manien aus, folgt seinem eigenen moralischen (oder, wenn man will: unmoralischen) Code. "Pulp Fiction" zeigt, wiederum ähnlich wie "Short Cuts", eine gänzlich herzlose Welt ohne sozialen oder kommunikativen Mittelpunkt. Statt dessen regiert die Fragmentierung und Atomisierung in Form einer grotesken "Arbeitsteilung". Für letztere bietet Harvey Keitel in der Rolle des "Wolf ein schönes Beispiel. Vincent und Jules haben zu töten gelernt, aber wie man danach den Dreck wegräumt, wissen sie nicht. Für diese an sich banale Tätigkeit brauchen sie einen Krisenmanager, der das Todeshandwerk der Killer sozusagen mit einer flankierenden Dienstleistung ergänzt.

Ein weiteres Kennzeichen der Pulp Fiction ist die Serialität und, damit verbunden, ein gewisser Hang zur Monomanie: sie repetiert immer wieder dieselben Figuren, dieselben Stories, dieselben erzähltechnischen Fertigteile. Die Pulp Fiction bietet unerhörte Sensationen, aber man begegnet lauter alten Bekannten. Das Sensationelle und das Stinknormale, der absurde Ausnahmefall und die banale Job-Routine: Aus diesem Kontrast zieht ein ebenso explosiver wie angenehm phlegmatischer Film wie "Pulp Fiction" seine Komik, aber auch seinen Schrecken. Tarantino inszeniert grell und rasant, aber zugleich voller Understatement: Die Gewaltbereitschaft und Bosheit, die moralische Indifferenz und neurotische Einfalt seiner Figuren ist "bigger than life", aber auch ziemlich normal und, gemessen am allgemeinen Irrsinn, eher durchschnittlich und daher kaum der Aufregung wert.

Weiterhin ist Pulp Fiction in jedem Fall und bekanntermaßen "schlecht". "Schlecht" bedeutet in diesem Zusammenhang, daß die Prinzipien der abendländischen Erzählkunst, allen voran die "Wahrscheinlichkeit", nur sehr mangelhaft umgesetzt sind. Was einem hier vorgesetzt wird, kann nie und nimmer so in der Realität passieren. Es handelt sich um haarsträubende Stories von Glück und Gewalt, in denen das Schicksal so heftig zuschlägt, daß man es nicht glauben mag. Mit anderen Worten: Antriebskraft dieser Stories ist nicht die Logik, sondern der Zufall. Das fatale Zusammentreffen von Leuten und Umständen ist auch bei Tarantino das grundlegende Prinzip. Wie andere "postmoderne" Filme der letzten Jahre flirtet "Pulp Fiction" heftig mit der Chaos-Theorie: Kann man die Natur, die Gesellschaft, das persönliche Leben einzelner Menschen gesetzmäßig ordnen und damit beherrschen? Oder regiert der Zufall und damit die Ordnung das Chaos? Schon in "Reservoir Dogs" hat sich Tarantino mit diesen Fragen beschäftigt und am Beispiel eines vermeintlich perfekten Geldraubes demonstriert, wie rationale Planung am "subjektiven Faktor" und am dummen Zufall zuschanden wird. Auch in "Pulp Fiction" sind es die unglaublichen Fügungen, die eine ganze Reihe von Mini-Dramen generieren.

Und schließlich: Pulp Fiction ist "billig" wie das Papier, auf das sie gedruckt ist und das ihr den Namen gab. "Billig" meint hier die schnelle, umweglose Befriedigung von niederen Instinkten. Im bildungsbürgerlichen Sprachgebrauch heißt "billig", was nicht in differenzierter künstlerischer Gestaltungsarbeit mühevoll der Banalität abgerungen wurde. Dahinter steckt die Auffassung, daß "wahre" Kunst den Umweg über die Sublimierung gehen muß. Denn die unmittelbare, ungeschlachte, grobe Schilderung, der direkte und brutale Zugriff auf die Dinge kann und darf niemals Kunst sein, sondern ist immer nur der "billige" Effekt. Insofern führt Tarantino in "Pulp Fiction" auch eine Auseinandersetzung mit unseren traditionellen Kunstbegriffen. Er stellt erneut die Frage, die schon bei David Lynchs "Wild at Heart" (fd 28 529), der ebenfalls in Cannes preisgekrönt wurde, die Gemüter bewegte: Kann ein Film, in dem Leuten die Köpfe weggeschossen werden, Kunst sein? In "Pulp Fiction" wirbelt Tarantino die etablierten Kultur-Levels gründlich durcheinander. Er kreuzt das "hohe" mit dem "niederen" Niveau, den elaborierten mit dem beschränkten Code; er ist ebenso trivial wie sophisticated, grob wie raffiniert, ebenso plakativ wie subtil. Die Gespräche zwischen Vincent und Jules pendeln unberechenbar, aber doch irgendwie folgerichtig zwischen Sitcom und Mystik, zwischen Slang und Samuel Beckett. Intelligent und in perfekt geschliffener Form meditiert "Pulp Fiction" über die Grob- und Dummheiten unserer Zivilisation.
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