The Love - Lass die Liebe sprechen

Drama | Niederlande 2023 | 112 Minuten

Regie: Shariff Nasr

Ein in Amsterdam lebender Marokkaner will mit seinen Eltern endlich über seine Homosexualität sprechen, doch die verweigern das Gespräch. In seiner Not sperrt er sich in eine Abstellkammer ein und verharrt darin drei Tage lang, um eine Auseinandersetzung zu erzwingen. Sein Versuch, sich zu offenbaren, führt zu solchen Spannungen, dass auch die Nachbarn neugierig werden. Über Rückblenden wird nicht nur die Geschichte des jungen Mannes rekapituliert, sondern auch die tief in der islamischen Kultur verankerte Homophobie sichtbar gemacht, wobei komödiantische Elemente das Drama immer wieder aufbrechen. - Ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
EL HOUB
Produktionsland
Niederlande
Produktionsjahr
2023
Produktionsfirma
BIND/Vrijzinnig Protestantse Radio Omroep
Regie
Shariff Nasr
Buch
Shariff Nasr · Philip Delmaar
Kamera
Joris Kerbosch
Musik
Vidjay Beerepoot
Schnitt
Michiel Boesveldt
Darsteller
Fahd Larhzaoui (Karim Zahwani) · Emmanuel Boafo (Kofi) · Lubna Azabal (Fatima Zahwani) · Slimane Dazi (Abbas Zahwani) · Sabri Saddik (Redouan Zahwani)
Länge
112 Minuten
Kinostart
27.04.2023
Fsk
ab 12
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Drama | Liebesfilm
Externe Links
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Heimkino

Verleih DVD
Cinemien/Pro-Fun (16:9, 1.85:1, DD5.1 niederl. & arab./dt.)
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Drama um einen jungen Marokkaner, der sich drei Tage lang in einer Kammer verbarrikadiert, weil seine Eltern das Gespräch über seine Homosexualität verweigern.

Diskussion

Karim (Fahd Larhzaoui), ein Marokkaner, ist erwachsen, erfolgreich und ein guter Sohn. Er lebt in Holland; seine Eltern sind vor Jahrzehnten dorthin emigriert. Dennoch weiß niemand in seiner Familie Bescheid über seine sexuelle Orientierung. Bis jetzt, denn nachdem sein Vater ihn zufällig mit einem Lover gesehen hat, will Karim zuhause endlich die Wahrheit sagen.

Regisseur Shariff Nasr deutet die größte Schwierigkeit dieses Entschlusses an, denn es ist für Karim durchaus ein Problem, seine Fassade als heterosexueller Mann aufzugeben. Das weitaus größeres Problem aber ist, dass sich seine Familie einem Gespräch über seine Homosexualität verweigert.

Drei Tage in der Kammer

Karim sperrt sich in der elterlichen Wohnung in die Abstellkammer ein. Er will erst wieder herauszukommen, wenn seine Eltern mit ihm gesprochen haben. Im Laufe der folgenden drei Tage, die er dort verbringt, wird klar, zu welchen weitreichenden Konsequenzen es führt, wenn ein muslimischer Mann das Schweigen über Homosexualität bricht. Denn nur mit Schweigen, also mit Lügen, bleibt der Ruf der Familie intakt. Die Nachbarschaft wird nicht erschüttert, und auch der Imam hat kein Problem, solang der Schein gewahrt bleibt. Nur weil die Beteiligten in Amsterdam leben, ist der Druck der arabischen Kultur keineswegs geringer.

In Rückblenden entfaltet sich Karims Geschichte. Man sieht seine Kindheit, in der sich bereits abzeichnet, dass seine Sympathien nicht den netten Cousinen gelten. Man sieht seine Hilflosigkeit als Erwachsener, wenn er sich in den Schwulenclubs anderer Städte Ablenkung verschafft, immer anonym, ausschließlich sexorientiert.

Dort trifft er dann aber auch einen Mann, mit dem er eine Beziehung eingeht. Von dem Ghanaer Kofi lernt er, dass man um Offenheit nicht herumkommt, wenn man nicht an Schwermut sterben will. Auch Kofi ist nach Europa geflohen, um ein schwules Leben führen zu können; er kennt das Gewicht der Lüge, die Karim mit sich trägt.

Die Wahrheit macht nicht frei

Während der Film einerseits in der Abstellkammer bleibt, eingeklemmt zwischen Bügelbrett und Teppichklopfer, gibt es dennoch ein Draußen. Die Eltern stehen abwechselnd vor Karims Tür, um ihn zu beschwören, mit dem Unsinn aufzuhören. Damit meinen sie die Homosexualität, die sie mal als Krankheit, mal als Verwirrung definieren. Wobei sie es alle besser wissen: Karims Cousin Soufian starb, nachdem er sich geoutet hatte; er unterwarf sich den Vorgaben der muslimischen Gemeinde, hielt der Unterdrückung aber nicht stand. Soufian wurde beerdigt; dann schnitt man sein Bild aus den Familienfotos heraus. So wird im konservativen Milieu von „The Love“ auf die Wahrheit reagiert.

Erhellend sind die Eingeständnisse der Eltern, die vor der Abstellkammer manchmal so reden, als hätten sie einen kleinen Beichtstuhl in der Wohnung. Die Mutter (Lubna Azabal) musste sich beispielsweise ihr Leben lang den Regeln beugen, die jeden Funken persönlicher Freiheit ausgelöscht haben; noch heute weint sie darüber. Der Vater wiederum kannte nichts anderes als diese Regeln, an denen er sich festhielt, egal ob in Marokko oder in Europa. Der ursprüngliche Gedanke des Ehepaars, für ein freieres Leben ins Ausland zu gehen, verschwand, sobald es sich dort etabliert hatte.

Es gibt komödiantische Erleichterungen im Drama, herbeigeführt durch die marokkanische Nachbarschaft. Die Wohnung der Familie wird nie verlassen, was den Kammerspiel-Charakter des Films unterstreicht; kleine Slapstick-Einlagen an der Haustür lockern die Atmosphäre aber auf. Die Nähe ist im Viertel so groß, dass die Aufregung in der Wohnung niemandem verborgen bleibt. Nur um was es geht, ist nicht klar. Also werden neugierig Lebensmittel vorbeigebracht oder Mitgefühle geäußert.

Die Liebe als Bedrohung

Shariff Nasr arbeitet sich schön exaltiert an etlichen der Klischees ab, die den nahöstlichen und nordafrikanischen Communitys an den Stadträndern anhängen. So wird die Liebe als Bedrohung vorgeführt: für die Reputation, für die Religion, für die althergebrachten Regeln. Das führt nach den drei Tagen, in denen Karim die Familie zur Ehrlichkeit zwingt, zu einer Explosion, die physisch wie emotional nicht viel intakt lässt. Die Ängste der Eltern und die von Karim werden zertrümmert; was daraus entsteht, weiß man nicht. Aber die Kamera fährt zum ersten Mal zurück in die Totale, hinaus ins Viertel, hinweg über all seine Bewohner. Das Bild wird weit, und es entsteht eine neue Perspektive.

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