Schlafende Hunde (2023)

Drama | Deutschland 2023 | 330 (sechs Folgen) Minuten

Regie: Stephan Lacant

Eine junge Assessorin der Staatsanwaltschaft Berlin findet heraus, dass im scheinbar längst aufgeklärten Fall um einen ermordeten Ermittlungsrichter etwas nicht stimmt, und stößt auf weitere Taten zur Vertuschung eines Komplotts. Ihre Ermittlungen kreuzen sich mit denen eines gescheiterten, als Stadtnomade lebenden Polizisten, der einst mit dem Fall zu tun hatte. Eine auf einem israelischen Original beruhende Krimiserie um Korruption in Polizei und Justiz, in der die präzise psychologische Durchleuchtung der Figuren und ihres Arbeitsklimas spannender als der wenig innovative Plot ist. Themen wie Clankriminalität, Terrorismus und das Ringen mit gesellschaftlicher Diversität werden angeschnitten, ohne genug Raum zur Entfaltung zu bekommen. - Ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2023
Regie
Stephan Lacant · Francis Meletzky
Buch
Christoph Darnstädt
Kamera
Jens Harant · Bella Halben
Musik
René Dohmen
Schnitt
Piet Schmelz · Katja Fischer · Martin Wolf
Darsteller
Max Riemelt (Mike Atlas) · Martin Wuttke (Klaus Hartloff) · Carlo Ljubek (Luka Zaric/Zarif Rahimi) · Melika Foroutan (Corinna Steck) · Peri Baumeister (Lenni)
Länge
330 (sechs Folgen) Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Drama | Mystery | Serie | Thriller

Eine Thriller-Serie, in der der scheinbar längst aufgeklärte Mord an einem Richter eine Assessorin und einen gebeutelten Polizisten in Atem halten und auf die Spur eines Komplotts führen.

Diskussion

Die Serie von Showrunner Christoph Darnstädt ist von irritierender thematischer Aktualität. Dass das einer Produktion nicht immer zum Vorteil gereichen muss, erweist sich in diesem Fall in ihrem allzu ambitionierten und bedenkenlosen Themenmix. In der Krimi-Story, die übrigens auf ein israelisches Vorbild zurückgeht („The Exchange Principle“, 2016), stehen bald nicht nur die Polizeiorgane unter dem Verdacht illegaler, interner Absprachen und Vertuschungen, auch das Justizsystem scheint schwer in der Krise zu stecken: Soziale Voreingenommenheit und ein ungesundes Arbeitsklima herrschen zumindest im Bereich von Staatsanwältin Steck (Melika Foroutan). Zu leiden hat darunter nicht nur die Rechtspflege in der divers herausgeforderten Hauptstadt Berlin im Allgemeinen, sondern im Besonderen die junge Assessorin Jule Andergast (Luise von Finckh), die Unregelmäßigkeiten in einem eigentlich längst abgeschlossenen Mordfall, an einem Richter noch dazu, bemerkt und klären möchte.

Ein scheinbar aufgeklärter Mordfall wirft Schatten

Der Verurteilte, Mitglied einer islamischen Großfamilie, hat in der Haft Suizid begangen. Für Steck nur ein weiterer Beleg für die allgegenwärtige Clankriminalität („unsere Straßen glitschig von ihrem Testosteron“) sowie die Brustschwäche deutscher Strafverfolgung (Justitia läge bereits „schändungslüstern auf dem Rücken“) – für die Serie Anlass, sich gegen vorschnelles „Racial Profiling“, die Vorverurteilung aufgrund ethnischer Zugehörigkeit, und für Diversität auch innerhalb sogenannter Parallelgesellschaften auszusprechen, etwa in Form einer Nebenhandlung rund um eine schwule Romanze zwischen zwei Muslimen.

Näher kommen Jule (und wir) dem, was damals mit Richter Herres geschah, als der dramaturgische Fokus ab der zweiten Episode auf Abschnitt 49 des Kriminaldauerdienstes und das Team seiner drei effektivsten Beamten verlagert wird. Mike Atlas (Max Riemelt), Luka Zaric (Carlo Ljubek) und Roland „Socke“ Sokowski (Antonio Wannek) waren Kollegen, die füreinander durch dick und dünn gingen, am liebsten auch den Feierabend miteinander verbrachten (teilweise auch aus Mangel an tragfähigen sozialen Alternativen; einer lebt allein mit einem ausgestopften Murmeltier zusammen) und unter denen so gleichsam eine Kultur der Omertà etabliert war – alle für einen, und niemand redet nach außen. Nun ist Mike jedoch quasi entgleist, Burn-out, heißt es, und er lebt getrennt von Frau und Kind verwahrlost als

Stadtnomade. Welche Motivlage sich hinter dem Mord an dem Richter verbirgt, ermitteln in der Folge gegen etliche Widerstände und von den denkbar gegensätzlichsten Positionen aus sowohl Jule als auch Mike, zunächst ohne voneinander zu wissen, dann gemeinsam als reichlich schräges Duo.

Charaktere sind spannender als der eigentliche Krimi-Plot

Schritt für Schritt, in einem mitunter allzu gemächlichen Tempo für eine Thriller-Miniserie, geht es in den späteren Episoden an die Entwirrung der ausgelegten Handlungsfäden und die Aufklärung des gar nicht so fundamental-politischen, vielmehr allzu menschlichen Tathergangs. Dabei beanspruchen ausnahmsweise die Personen des Dramas mit Recht größeres Interesse als der beinahe unspektakuläre, zumindest nicht übermäßig innovative Plot. Gerade Nebenfiguren wie Martin Wuttke als aasig-süffisanter Anwalt oder Helgi Schmid als anfangs reichlich undurchsichtiger Verbindungsmann zum LKA Tom Schlefski tun der Serie sichtlich gut.

Vielleicht ist Christoph Darnstädt in seiner Adaption des israelischen Originals aber auch grundsätzlich mehr an der psychologischen Innenperspektive der großen Institutionen interessiert, um die es hier geht. Jedenfalls erfährt man viel über deren interne Kultur (latent repressiv), den allgegenwärtigen Ge- und Missbrauch moderner Drogen (zur Motivation, zur Betäubung) und die schwere Hypothek, die durch Jobs dieser Art allseits auf den Beziehungen der Beteiligten lastet. Sei es zwischen Jule und ihrer gestrengen Chefin, sei es in den dysfunktionalen Familienbanden von Mike – immer geht es darum, gesehen, wahrgenommen zu werden als ganzheitliche Person, nicht bloß als abhängige Variable in dienstlicher oder sozialer Funktion. Alle Hauptfiguren scheinen ein gravierendes Problem mit emotionaler Erreichbarkeit zu haben – eine „déformation professionelle“, aber auch ein manifestes Hindernis in ihrem Job. Viel wird mit gerunzelter Stirn auf Handys geschaut, die durch ein trügerisches Freizeichen (!) signalisieren, dass da niemand mehr ist am anderen Ende der Leitung. Einige tragen ihre „Rüstung“, ihre schusssichere Weste, ganz offen, außen, andere haben eine solche bereits quasi bionisch nach innen verlegt …

Zu viel Themen werden angeschnitten

All dies schildert die Serie ausführlich genug und psychologisch präzise; insbesondere Peri Baumeister überzeugt als Lenni Atlas, herausgeforderte Ehefrau, Mutter, Geliebte zwischen allen Fronten. Deutlich weniger überzeugend werden etwa die zu Beginn angegangenen Großthemen dramaturgisch integriert und durchgeführt (Clankriminalität, Islam und Homosexualität, Terror), und Diversität im eigenen Ensemble wird durch das Drehbuch so klischeehaft und überfrachtet abgehandelt, dass mehr Schaden als Nutzen droht. Hier hätten der Serie durchaus noch zwei Folgen mehr gutgetan (die klassischen acht), und die Dinge hätten sich so noch befriedigender runden können.

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