La Mesías - Die Auserwählte

Serie | Spanien 2023 | 202 (sieben Folgen) Minuten

Regie: Javier Ambrossi

Kitschige Videos einer katholischen Mädchen-Musikgruppe gehen in Spanien viral. Alle reden darüber, machen sich lustig oder fühlen sich von der Heilsbotschaft angesprochen. Für zwei Geschwister jedoch bricht die sicher geglaubte Welt zusammen: Die jungen Frauen in den Musikvideos sind ihre Halbschwestern, die von der religiös-fanatischen Mutter instrumentalisiert werden. Die eigene traumatische Kindheit lässt sich nicht länger verdrängen. Intensive Miniserie aus Spanien, deren Bilder einen dunklen Sog entfalten. Vor allem durch ihre vielschichtigen Figuren und ihre differenzierte, Ambivalenzen zulassende Perspektive auf Glauben, religiöse Praktiken und Heilssehnsucht regt sie auch zum Nachdenken an. - Sehenswert ab 16.
Zur Filmkritik

Filmdaten

Originaltitel
LA MESÍAS
Produktionsland
Spanien
Produktionsjahr
2023
Produktionsfirma
Moviestar+/Suma Content
Regie
Javier Ambrossi · Javier Calvo
Buch
Javier Ambrossi · Javier Calvo
Kamera
Gris Jordana
Musik
Raül Refree · Hidrogenesse
Schnitt
Alberto Gutiérrez
Darsteller
Macarena García · Roger Casamajor · Lola Dueñas · Carmen Machi · Ana Rujas
Länge
202 (sieben Folgen) Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Genre
Serie | Thriller
Externe Links
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Miniserie um eine katholische Mädchengesangsgruppe, die mit ihren frommen Musikvideos viral gehen und bei zwei Geschwistern überwunden geglaubte Erinnerungen an ihre fanatisch religiöse Mutter wachrufen.

Diskussion

Enric (Roger Casamajor) sitzt am Tresen einer unscheinbaren Hotelbar am Fuße des Berges Montserrat. Die Anspannung ist ihm deutlich anzumerken. Etwas arbeitet in ihm. Die Arbeit als Kameraassistent hat ihn hierhergeführt, an diesen von Mythen umrankten Ort, der spirituelle Sinnsucher und UFO-Jünger magisch anzieht. Um 880 nach Christus sollen Hirten von einem Licht in eine Höhle geführt worden sein, wo sie die Statue der heutigen Schutzpatronin Kataloniens gefunden haben: die schwarze Madonna, „La Moreneta“. Und immer wieder berichten Menschen von UFO-Sichtungen. Dieser Berg gibt vielen Menschen einen Halt. Für Enric aber bedeutet er den Anfang eines Sturzes in sich selbst, bis in die eigene, traumatische Kindheit und Jugend.

Montserrat – was vom lateinischen „mons serratus“ kommt und so viel wie „gezackter Berg“ bedeutet – lautet auch der Name von Enrics allgegenwärtiger, abwesend-anwesender Mutter (Carmen Machi), deren religiöser Wahn sie immer mehr zu einem unerbittlichen Monster hat werden lassen. Einst hatte sie als Sexarbeiterin versucht, genügend Geld für sich und ihre Kinder zu verdienen, dann aber einen exzessiven Glaubensweg eingeschlagen: Montserrat ist davon überzeugt, eine Auserwählte zu sein, ein Medium, durch das Gott zu den Menschen spricht.

Die eingesperrte Familie

Mit wütender Ernsthaftigkeit errichtete diese Schein-Heilige für ihre Familie ein Gefängnis aus strenger Moral, asketischer Disziplin und psychischer Gewalt. Keines der Kinder darf die Schule besuchen oder auch nur das Grundstück verlassen. Enric hatte Glück. Er konnte sich aus diesem Joch unter größter Anstrengung befreien. Die Flucht mag gelungen sein. Von den Geistern der Vergangenheit befreit hat er sich aber noch lange nicht. Als wären der Berg und sein unheilvoller Name nicht schon genug, wird der Mittvierziger mit dem Musikvideo der katholischen Girl-Group „Stella Maris“ konfrontiert, das in den Sozialen Medien viral geht. Während sich viele über den naiven Religionskitsch lustig machen, wird Enric förmlich aus den Angeln gehoben, muss er sich doch mit dem eigenen Gewissen auseinandersetzen: Die sechs jungen Frauen, die da singen und tanzen, sind seine Halbschwestern. Enric hat sie im Stich gelassen, als er vor der Mutter floh und sie zurückließ. Oder – und diese Frage ist der schmerzvolle Kern von „La Mesías“ – hat er sich selbst im Stich gelassen, als er der Mutter entflohen ist?

Immer wieder erzählen Rückblenden vom vergangenen Schmerz, aber auch von den kleinen Freuden des Alltags. So sehr Enric seine Mutter auch hassen mag, er liebt sie auch. Ausgerechnet das Medium Film ist es dann, was das Widerständige in ihm erweckt. Weil sein Stiefvater bei seiner Tätigkeit als Gärtner auf Hilfe angewiesen ist, darf ihn der junge Mann in die Außenwelt zu einem Kunden begleiten. Der dort erhaschte Blick auf einen kurzen Ausschnitt aus „Singin’ in the rain“ (1952) die Nummer „Good Morning“reißt ihn aus Gehorsamkeit und unterwürfiger Gewohnheit. Die Rebellion nimmt im Spiel der Bilder, im Tanz ihren Anfang. Man kann hier eine interessante Parallele zu Yorgos Lanthimos’ „Dogtooth“ (2009) ziehen, der ebenfalls vom extremistischen (ja faschistischen) Eifer der elterlichen (Für-)Sorge erzählt, von einem Gefängnis der Familie. Die fiktiven Bilder, die sich in der Vorstellungskraft verbreiten, werden zu einem Katalysator des Bruchs mit der Ordnung.

Keine einfache Schuld

Gemeinsam mit seiner ebenso schwer belasteten und von ihm entfremdeten Schwester Irene (Macarena García), die sich wie er in eine neue Identität flüchten konnte, versucht Enric, dem Treiben der Mutter endgültig ein Ende zu setzen. Für beide bedeutet das vor allem, sich selbst aus den leidvollen Identitäten zu befreien, die lediglich eine Folge der mütterlichen Gewalt sind: Der Einfluss der Mutter reicht bis in die vernarbten Bewältigungsstrategien hinein.

Wo aber verläuft die Grenze zwischen Glauben und Zwang? Kann es eine Erlösung vom Versprechen auf Erlösung geben? Die Fragen, mit denen die spanische Miniserie „La Mesías“ aufwartet, wiegen schwer. Leichte Abendunterhaltung ist von der Serie des Regieduos Javier Ambrossi und Javier Calvo also nicht zu erwarten. Das liegt vor allem daran, dass es keine einfachen Lösungen gibt: Religion und Glaube werden nicht verteufelt. Vielmehr sehen die Serienmacher hinter den spirituellen Praktiken eine existentielle Sehnsucht nach Halt und Geborgenheit, die ungemein verletzlich macht – und anfällig für Manipulation und Machtmissbrauch. Das Gutgemeinte kann jederzeit umschlagen: Montserrat liebt ihre Kinder auf eine schreckliche Weise. Sie selbst muss mit dem Missbrauch in ihrem Leben fertigwerden und findet nur in einer wahnhaften Strenge eine Möglichkeit zu überleben. Nein, auch die Mutter ist kein Monster.

Sogwirkung aus gegenläufigen Stimmungen

Die sich über mehrere Jahrzehnte und Generationen ausbreitende, in ihrer Epik faszinierende Erzählung von „La Mesías - Die Auserwählte“, lebt von ihren Kippfiguren, ihren doppelten Perspektiven. Anziehung und Abstoßung sind in diesem Serienwunder kaum voneinander zu unterscheiden. Sie verschmelzen in einer Bildsprache, die sich unterschiedlichster Genres bedient, die spielerische Leichtigkeit eines Coming-of-Age-Films mit der düsteren Bedrohung eines Horrorfilms verbindet, was sich sogleich im sozialen Realismus bricht. Aus diesen oftmals gegenläufigen Stimmungen zieht die Serie ihre Sogwirkung, die nicht künstlich durch Cliffhanger erzeugt wird: Die Spannung entwickelt sich aus dem inneren Drama und den leidenschaftlichen Ausschlägen dieser großartigen Miniserie.

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