Ein Zug voller Hoffnung

Drama | Italien 2024 | 106 Minuten

Regie: Cristina Comencini

Ein siebenjähriger Junge aus Neapel tut sich zuerst schwer damit, als er im Herbst 1946 seine Mutter verlassen muss, um in Oberitalien bei einer anderen Frau den Winter ohne Armut zu verbringen. In Modena eröffnet sich für das Kind eine andere, sorgenlosere Welt, die er bald gar nicht mehr verlassen will. Ein berührendes Drama über ein Kind und seine Mutter, deren Liebe zueinander auf schmerzliche Weise auf die Probe gestellt wird. Zugleich erzählt der schnörkellos inszenierte, aber nicht immer glaubwürdig erzählte Film auch ein bewegendes Kapitel der italienischen Nachkriegsgeschichte. - Ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
IL TRENO DEI BAMBINI
Produktionsland
Italien
Produktionsjahr
2024
Produktionsfirma
Palomar
Regie
Cristina Comencini
Buch
Furio Andreotti · Giulia Calenda · Cristina Comencini · Camille Duguay
Kamera
Italo Petriccione
Musik
Nicola Piovani
Schnitt
Esmeralda Calabria
Darsteller
Christian Cervone (Amerigo) · Barbara Ronchi (Derna) · Serena Rossi (Antonietta) · Stefano Accorsi (erwachsener Amerigo) · Giorgia Arena (Rosa Benvenuti)
Länge
106 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Drama | Historienfilm | Literaturverfilmung
Externe Links
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Berührendes Drama über einen Jungen aus Neapel, der 1946 von seiner Mutter nach Oberitalien geschickt wird, um der Armut zu entkommen.

Diskussion

Antonietta (Serena Rossi) hat es nicht leicht mit ihrem siebenjährigen Sohn Amerigo (Christian Cervone). Wie viele andere Menschen im vom Krieg gezeichneten Neapel lebt sie 1946 in großer Armut und kann kaum für sich und ihren Sohn sorgen. Der Vater ist in die USA ausgewandert. Eine Kindheit hat Amerigo nicht; er muss arbeiten; an Schule ist nicht zu denken. Seine Ideen, die Haushaltskasse aufzubessern, funktionieren nicht. Da weiß sich Antonietta nicht anders zu helfen, als an dem Programm „Treni della felicità“ teilzunehmen, das von der Kommunistischen Partei organisiert wird. Damit sollen Kinder mit dem Zug nach Oberitalien geschickt werden, wo sie bei wohlhabenden Pflegeeltern vorübergehend der Armut entfliehen können. Doch es gibt Gerüchte, dass die Kommunisten andere, furchtbare Dinge mit den Kindern vorhätten.

Der gebeutelte Süden

Als sich Antonietta im Büro der Kommunistischen Partei über die Initiative informiert, ist sie noch unsicher, ob sie ihren Sohn weggeben will. An der Redlichkeit der Initiative zweifelt sie nicht. Im Unterschied zu ihr glauben viele allerdings nicht an die Wohltätigkeit der Kommunisten. Als Antonietta mit Amerigo durch die Straßen nach Hause geht, donnern ihr aus den Fenstern die schrecklichsten Verschwörungserzählungen entgegen. Insbesondere Frauen scheinen der kommunistischen Partei nicht zu trauen.

Selbst als Antonietta und andere sich schon für das Programm entschieden haben und der Zug gleich losfährt, ploppen noch lautstark Gerüchte auf, dass die Kinder nicht nach Oberitalien, sondern nach Sibirien gebracht würden, wo man sie zu Seife verarbeiten oder gar fressen würde. Letztlich aber entscheidet sich Antonietta, den Kommunisten zu vertrauen. Bei den Kindern aber ist die Saat der Angst aufgegangen. Es dauert lange, bis sie ihr Vertrauen zurückgewonnen haben.

Damals wurden von der kommunistischen Partei und von der Frauenorganisation „Unione donne in Italia“ hunderttausend Kinder in den Norden gebracht. Ob es wirklich Gerüchte gab, dass die Kommunisten ganz andere Dinge mit den Kindern vorhätten, lässt sich schwer verifizieren. Erstaunlich sind allerdings die Parallelen zur Gegenwart. Es gibt ja eine regelrechte Renaissance zugleich absurder wie gefährlicher Verschwörungserzählungen. In „Ein Zug voller Hoffnung“ siegt die Vernunft und das Vertrauen in die Solidarität. Antonietta ist auch deshalb eine so überzeugende Figur, weil sie nie wirklich an den Verschwörungsquatsch glaubt. Ihr Vertrauen wird nicht gebrochen, denn die Kinder erwartet im Norden ein Leben, das fast wie eine Utopie anmutet.

Der utopische Norden

Amerigo aber fällt die Trennung schwer. Lange Zeit bewahrt er den Apfel auf, den die Mutter ihm beim Abschied in die Hand gedrückt hat. Erst als er ihn isst, nachdem er schon einige Tage bei seiner Pflegemutter in Modena ist, lässt er sich auf die neue Situation ein. Die Zuneigung und Zugewandtheit, die er hier erfährt, machen ihn sprachlos. Dabei passiert ihm durchaus das eine oder andere Missgeschick, etwa, wenn er beim Naschen einer Mortadella erwischt wird. Doch das hat keine negativen Konsequenzen; die Menschen gehen mit bemerkenswerter Freundlichkeit und Behutsamkeit miteinander um. Auch seine Pflegemutter Derna (Barbara Ronchi), die zunächst etwas zurückhaltend wirkt, weil sie mit Kindern eher nicht kann, schließt ihn mehr und mehr in ihr Herz.

Schließlich kommt der Tag, der sein Leben verändert. Dernas Bruder Alcide (Ivan Zerbinati), ein Geigenbauer, hat Amerigos Interesse an dem Instrument erkannt und baut ihm ein Exemplar, das er ihm zum achten Geburtstag schenkt. Fortan übt Amerigo täglich und beweist großes Talent.

Einmal denkt Amerigo an seine Mutter, als er einen Geburtstagsbrief von ihr erhält; insgesamt aber wäre es ihm lieber, wenn das Weizenfeld in der Nähe von Dernas Zuhause langsamer seine Farbe verändern würde. Doch der Tag des Abschieds lässt sich nicht aufhalten, und so reisen er und seine neuen Freunde wie geplant im Frühjahr 1947 wieder nach Neapel zurück. Dort holt ihn die Realität der Armut schnell wieder ein, und Antonietta scheitert daran, ihrem Sohn die Mutter zu sein, die er sich wünscht.

Leichtigkeit der Inszenierung

Es ist erstaunlich, wie fließend der Film von Cristina Comencini seine Erzählung und den Kontrast zwischen dem harten Süden und dem utopischen Norden entwirft. Die Zeit im Norden verläuft nicht ganz ohne Brüche, doch ist der Gesamteindruck der einer Welt und einer Gesellschaft im Gleichgewicht.

Nicht so leicht nachvollziehbar ist, dass die Kinder durch eine Winterlandschaft in den Norden fahren und dort im vor Farben berstenden Herbst ankommen. Die Reise scheint eher als magische Exkursion angelegt zu sein, wie die Zugfahrten von Harry Potter.

Die Landschaften der Emilia Romagna sind in leuchtende Farben getaucht, während in Neapel immer Dunkelheit und Tristesse vorherrschen. Die Kinder werden von der Stadt und ihren Mauern und Treppen regelrecht erdrückt. Diesen Kontrast bringt auch Christian Cervone in der Rolle des Amerigo glänzend zum Ausdruck. In Neapel ist sein schmächtiger Körper ganz Hunger. In Modena wirkt er in seiner grundsätzlichen Übermütigkeit auch gesund und schwungvoll, obwohl sich sein Körper gar nicht verändert hat.

In einer Rahmenhandlung, die 1994 spielt, sieht man, dass Amerigo sich seinen Traum verwirklicht hat. Er ist ein bekannter Violinist geworden. Wenngleich es mit schmerzhaften Erfahrungen verbunden war und ist. „Ein Zug voller Hoffnung“ ist ein ähnlicher Traum, cineastisch schnörkellos und gefüllt mit einer großen Portion Hoffnung. Ein Film für dunkle Zeiten. Auch wenn es in Wirklichkeit vielleicht gar nicht so dunkel ist, wie es gerade erscheint.

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