Der Meister und Margarita (2023)
Drama | Russland/Kroatien 2023 | 156 Minuten
Regie: Michael Lockshin
Filmdaten
- Originaltitel
- MASTER I MARGARITA
- Produktionsland
- Russland/Kroatien
- Produktionsjahr
- 2023
- Produktionsfirma
- Amedia/Mars Media/Profit
- Regie
- Michael Lockshin
- Buch
- Roman Kantor · Michael Lockshin
- Kamera
- Maxim Schukow
- Musik
- Anna Drubich
- Schnitt
- Dimitri Komm
- Darsteller
- August Diehl (Woland) · Julia Snigir (Margarita) · Jewgeni Tsyganow (Meister) · Claes Bang (Pontius Pilatus) · Juri Kolokolnikow (Korowjew)
- Länge
- 156 Minuten
- Kinostart
- 01.05.2025
- Fsk
- ab 12; f
- Pädagogische Empfehlung
- - Sehenswert ab 16.
- Genre
- Drama | Fantasy | Historienfilm | Literaturverfilmung
- Externe Links
- IMDb | TMDB
Opulente Neuverfilmung des gleichnamigen Romans über einen russischen Schriftsteller, der in den 1930er-Jahren in die Mühlen des Stalinismus gerät und sich mit einem neuen Werk an allen seinen Feinden rächen will.
Schon der gleichnamige Roman von Michail Bulgakow war und ist Kult. Geschrieben in der bittersten Zeit der Stalindiktatur bis zum Tod des Autors 1940, doch erst in den späten 1960er-Jahren – stark zensiert – veröffentlicht, gehörte „Der Meister und Margarita“ zu den Büchern, die man in der Sowjetunion und auch in der DDR einfach gelesen haben musste. Allein dass der Teufel, der hier Woland heißt, in den 1930er-Jahren in Moskau auftaucht, gestandene Atheisten in philosophische Diskussionen verwickelt und den skurrilen Tod eines Dogmatikers voraussagt, war ebenso fantastisch und surreal wie unterhaltsam und gewagt. Woland spielt im Roman allerdings nur eine bedeutende Nebenrolle. Im Zentrum steht dort die Liebesgeschichte zwischen einem Schriftsteller und seiner Muse Margarita, die über ihn liebevoll nur als „der Meister“ spricht.
In dem Werk geht es um die Nöte eines Autors, der aus ideologischen Gründen ins Abseits gerät. In einer von der Haupthandlung gänzlich getrennten Nebengeschichte führt Bulgakow zurück zur Kreuzigung Christi, inszeniert als dialogreiches Duell zwischen dem Römer Pontius Pilatus und dem angeklagten Jeschua. Spannend ist dabei vor allem, wie innerlich zerrissen Pontius Pilatus wirkt. Er versucht eigentlich, Jeschua vor der Hinrichtung zu bewahren, muss sich dann aber aus Gründen des Machterhalts den politischen Realitäten fügen.
Kunst für die Massen
Schon der Roman ist großes Kino. Aber auch ein idealer Stoff, um auf der großen Leinwand monumental zu scheitern. Denn die Vorlage erscheint zu komplex, zu intellektuell und vielschichtig, aber auch zu fantastisch. Es geht ja um nichts Geringeres, als einen politischen, sinnlich-romantischen Liebesfilm mit einem auch optisch herausfordernden Science-Fiction-Setting zu vermengen, zumal die Adaption auch noch historisch akkurat und zeitgenössisch relevant sein müsste. Hinzu kommt die interessante Interpretation der antiken Jesusgeschichte.
Die Neuverfilmung von Michael Lockshin macht nun vieles richtig und auch besser als die Adaptionen von Aleksandar Petrovic oder Andrzej Waida, der den zweiten Teil des Buches unter dem Titel „Pilatus und andere“ verfilmt hat. Schon der Beginn überrascht mit einer spektakulären Eröffnungsszene. In feinster Science-Fiction-Manier geschehen in einem stalinistischen Prachtbau, den nachts der Leuchtschriftzug „Kunst für die Massen“ ziert, seltsame Dinge. Türen öffnen sich, höhnisches weibliches Gelächter erklingt und die Wohnung eines linientreuen Literaturkritikers wird lustvoll verwüstet. Dann folgt ein harter Schnitt in das Innere einer Nervenheilanstalt. Dort befindet sich der Meister (Jewgeni Tsyganow). Er gilt als verrückter Künstler und schreibt an seinem Roman „Der Meister und Margarita“. Der Meister entwendet einen Generalschlüssel und besucht einen weiteren Patienten, den Dichter Besdomny (Daniil Steklow), der ihn einst übel verleumdete.
Originell und meisterhaft gelingt es Regisseur Michael Lockshin und seinem Drehbuchautor Roman Kantor auf diese Weise, den Geist des Romans zu bewahren, aber filmisch optimal zu erweitern. Zunächst erzählt der in der stalinistischen „Heilanstalt“ gefangene Meister seinem ehemaligen Rivalen Besdomny seine Geschichte. In einem ersten „Film im Film“ entdeckt man so das stalinistische Moskau der 1930er-Jahre als Großbaustelle. Überall stehen bereits Monumentalbauten oder werden noch gebaut. Auch das zentrale Theater ist eine Baustelle. Der Meister hat ein Stück über die Antike geschrieben: „Pilatus“. Es soll dort feierlich aufgeführt werden.
Jung, schön und schillernd
Doch schon während der Proben wird auf Befehl von oben die Dekoration abgebaut. Die Aufführung ist gestoppt; alle dafür Verantwortlichen sind auf Dienstreise oder nicht erreichbar. In seiner Verzweiflung fährt der Autor in das legendäre Haus vom Beginn des Films. Dort leben wichtige Persönlichkeiten in sowjetischen Kommunalwohnungen, etwa der Theaterdirektor oder auch Berlioz, ein einflussreicher Verleger, der den Meister zunächst beschwichtigt. Es müsse sich bei der Absetzung um einen Fehler handeln, denn sein Theaterstück würde ja in Großauflage in seiner Literaturzeitschrift erscheinen. Aber dann kommt es zu einer öffentlichen Demontage des Autors in stalinistischer Manier. Man wirft ihm vor, an den Bedürfnissen der Werktätigen vorbeizuschreiben, sich mit Religion zu befassen und in die Antike zu flüchten. Dann wird er auch noch aus dem Schriftstellerverband geworfen. Als er verloren hat, tritt eine schillernde Frau in sein Leben: Margarita (Julia Snigir). Sie ist eine geheimnisvolle, ebenso schöne wie kluge, aber auch verheiratete Frau, die dem verfemten Schriftsteller Lebensmut und Lebenslust zurückbringt. Für sie schreibt er an seinem Roman weiter, den er dann „Der Meister und Margerita“ nennt.
Zwischen Julia Snigir und Jewgeni Tsyganow stimmt die Chemie. Man glaubt an ihre Liebesgeschichte, was vielleicht auch daran liegt, dass beide seit einigen Jahren miteinander verheiratet sind. Der Meister erzählt Margarita von seinem Roman, einer satirischen Abrechnung mit all seinen Gegenspielern, der überdies zunehmend auch zu einem großen Liebesroman wird, den er seiner Muse Margarita und ihrer gemeinsamen Liebesgeschichte widmet.
Auf dieser filmischen Ebene taucht die von August Diehl ideal verkörperte Figur Woland auf, ein moderner, immerzu wissbegieriger Teufel, der Moskau unsicher macht. Erst nach 40 Minuten holt der Film damit die legendäre Eröffnungsszene des Romans ein. Woland trifft auf einer Bank auf den Verleger Berlioz und stalinistischen Dichter Besdomny. Beide sind überzeugte Atheisten, die sich aber auf eine Diskussion über Gott einlassen. Woland, den August Diehl teilweise Deutsch oder Russisch mit deutschem Akzent sprechen lässt, kündigt den spektakulären Tod von Berlioz an. Diehls Spiel mit sprachlichen Anklängen verleiht seiner Figur eine vielschichtig-undurchsichtige Statur.
Ein Opfer des russischen Überfalls
Diese mehr oder weniger lineare filmische Ebene wird durch einen zweiten „Film im Film“ unterbrochen, den Pilatus-Jeschua-Stoff. Claes Bang spielt dabei Pilatus, der mit Jeschua Latein und Aramäisch spricht. Durch die internationale Besetzung und die Multilingualität sprengt die opulente Neuverfilmung den rein russischen Rahmen.
Die 2021 in St. Petersburg und auf Malta gedrehte, 17 Millionen Dollar teure Großproduktion hätte alles gehabt, um auch international zum Erfolg zu werden und vielleicht sogar auf einem der großen A-Festivals zu laufen. In Russland war Universal als Verleiher vorgesehen. Der russische Überfall auf die Ukraine zerstörte dann aber alle Aussichten. Beim nachgeholten Kinostart avancierte die Satire auf den Stalinismus, auf hierarchische Machtstrukturen und feige Opportunisten, auf Zensur und absurde Inkompetenz im Januar 2024 dann aber zum Blockbuster. Es gehört zu den Wundern der Diktatur, warum der Film ungeschnitten in die russischen Kinos kam, wo er über sechs Millionen Zuschauer erreichte und trotz harscher Proteste von Putin-treuen Politikern weder zensiert noch abgesetzt wurde.
Aus heutiger Sicht liest sich „Der Meister und Margarita“ als eine beißende Kritik auf aktuelle Zustände in Russland. Und so sollte man – um im Kontext zu bleiben – „den Teufel tun“, diese auch mit russischen Staatsgeldern finanzierte Großproduktion zu boykottieren. „Der Meister und Margarita“ ist ein viel zu guter Film, der das Zeug hat, selbst zum Kultfilm zu werden, auch weil er im aktuellen Russland eine absolute Ausnahmeerscheinung darstellt.