Eternauta
Drama | Argentinien/USA 2025 | 321 Minuten (sechs Folgen) Staffel 1
Regie: Bruno Stagnaro
Filmdaten
- Originaltitel
- EL ETERNAUTA
- Produktionsland
- Argentinien/USA
- Produktionsjahr
- 2025
- Produktionsfirma
- K&S Films
- Regie
- Bruno Stagnaro
- Buch
- Bruno Stagnaro · Ariel Staltari
- Kamera
- Gastón Girod
- Musik
- Federico Jusid
- Schnitt
- Alejandro Brodersohn · Alejandro Parysow
- Darsteller
- Ricardo Darín (Juan Salvo) · Carla Peterson (Elena) · César Troncoso (Favalli) · Andrea Pietra (Ana) · Ariel Staltari (Omar)
- Länge
- 321 Minuten (sechs Folgen) Staffel 1
- Kinostart
- -
- Pädagogische Empfehlung
- - Sehenswert 16.
- Genre
- Drama | Literaturverfilmung | Science-Fiction | Serie
- Externe Links
- IMDb | TMDB | JustWatch
Die Serienverfilmung eines argentinischen Graphic-Novel-Klassikers aus den 1950ern kreist um ein dystopisches Alien-Invasion-Szenario und die verzweifelten Versuche menschlichen Widerstands.
Ein Stromausfall legt Buenos Aires lahm. Grüne Polarlichter sind am Himmel zu sehen. Zur Weihnachtszeit, mitten im argentinischen Hochsommer, fällt Schnee. Er ist hochgiftig – radioaktiv. An jenem Abend, an dem sich Juan Salvo (Ricardo Darín) mit seinen Freunden zum Kartenspiel treffen will, scheint die Welt zu enden. Im Zentrum von Buenos Aires wird demonstriert, der Verkehr bricht zusammen. Drei Mädchen werden von dem tödlichen Schnee auf einer kleinen Jacht überrascht; zwei sterben an Deck, eines überlebt in der Kabine – es ist Clara, Juans Tochter.
Katastrophe oder Krieg?
Währenddessen trifft sich Juan, dem Chaos zum Trotz, endlich mit seinen Freunden zum „Truco“ (Trick), dem beliebten argentinischen Kartenspiel. Bei Kerzenlicht, ohne Strom und elektronische Kommunikationsmittel, steigen die Spannungen unter den Freunden. Die Unsicherheit und die Sorge um die Familien führen zu Aggressionen. Einer der Freunde stürzt auf die Straße und stirbt sofort. Ist die Wohnung von Favalli sicher, oder ist es eine Falle? Juan Salvo will seine Tochter Clara und seine Exfrau Elena suchen. Er baut sich einen Schutzanzug und verlässt das sichere Gebäude.
Der Schnee überzieht eine menschenleere Stadt, und Juan Salvo wankt in seinem unförmigen Schutzanzug durch ein absurdes Schreckensszenario: Der Himmel ist grau, die verwaisten Straßen sind mit Leichen bedeckt. Viele tragen Sommerkleider, Badehosen und Bikinis; einige halten noch das Cocktailglas in der Hand oder sitzen tot am Steuer. Ein kleines, buntes Windrad dreht sich im Schnee.
Die Dystopie, die die Serie von Bruno Stagnaro eindrücklich entwirft, beruht auf dem Comic „Eternauta“ (auf Deutsch erschienen im Avant-Verlag) des argentinischen Schriftstellers Héctor Germán Oesterheld und des Zeichners Francisco Solano-López. Die schlicht und düster in Schwarz-weiß gezeichnete Graphic Novel aus dem Jahr 1957, die mittlerweile ein Klassiker des Science-Fiction-Genres ist, schildert einen grausigen Zivilisationszusammenbruch und spiegelt darin das kollektive Gefühl allumfassender Bedrohung, das zur Entstehungszeit angesichts des Kalten Krieges und der Gefahr eines Atomkriegs die Menschen heimsuchte. Dass die Serienverfilmung nun ausgerechnet in einer Phase erscheint, in der angesichts der aktuellen geopolitischen Spannungen die Welt aufrüstet und die Angst vor Atomschlägen wieder neue Nahrung bekommen hat, lässt den Stoff beklemmend aktuell wirken.
Wanderung durch dystopische Landschaften
In der Serie erhärtet sich nur allmählich, um was für eine Art von Bedrohung es sich eigentlich handelt. Im Zentrum von Buenos Aires sind unzählige Autowracks zu einer Art Schutzwall aufeinandergestapelt worden. Monströse, gepanzerte Käfer, selbst fast so groß wie ein Auto, haben sie zusammengeschoben. An manchen Kreuzungen der Stadt versucht das argentinische Militär, die Lage in den Griff zu bekommen, aber der eigentliche Feind bleibt unsichtbar: Der tödliche Schnee und die Käfer dienen in erster Linie dazu, die Menschen zu zermürben, und verschwinden von einem Moment auf den anderen.
Am Himmel leuchten rote Lichter auf – sind es Flugobjekte oder Blitze? Das seltsame blaue Licht, das aus dem legendären River-Plate-Stadion strahlt, die Hand mit den vielen Fingern und die unzähligen Menschen, die wie hypnotisiert roboterhaft in der Nähe des Stadions stehen, geben nur noch mehr Rätsel auf. Allmählich zeichnet sich ab, dass etwas die Erde heimsucht, das nicht von dieser Welt ist.
Zwischen Solidarität und gnadenlosem Überlebenskampf
Den Überlebenden bleibt nichts übrig, als sich irgendwie zu organisieren. Sie nähen sich Schutzanzüge und suchen nach Lebensmitteln. Die elektronischen Geräte sind alle ausgefallen, also fahren nur noch die ganz alten, rein mechanischen Autos, und statt der Mobiltelefone wird ein altes Funkgerät aktiviert. Auch Waffen werden benötigt. Im Kampf um solche Hilfsmittel breiten sich auch Feindschaften und Ressentiments aus. Doch immer mehr Menschen schließen sich zusammen, denn schnell wird deutlich, dass keiner allein überleben kann.
Als Juan seine Exfrau Elena endlich findet, haben sich deren Nachbarn in einer Art Sekte organisiert, die ihn zwingen will, seinen Schutzanzug abzugeben. An einer anderen Stelle der Stadt hat eine Nonne mit Obdachlosen und Bettlern in einem Kirchturm Zuflucht vor den Riesenkäfern gefunden. Vor den Toren der Stadt finden sich Hunderte in einem Supermarkt zusammen. Es geht um die Rettung Verletzter, um die Suche nach Vermissten. Viele Menschen kommen sich näher. Aber viele Menschen verändern sich auch auf unheimliche Weise, bekommen einen starren Gesichtsausdruck, werden fast roboterhaft und plötzlich lebensgefährlich.
Juan Salvo selbst bewegt sich zwischen der Dynamik seiner Gruppe und plötzlichen Alleingängen. Dabei hat er immer wieder seltsame Visionen und Déjà-vus, die ihn etwa in den Falklandkrieg 1982 zurückführen, wo er als argentinischer Soldat verloren auf dem Schlachtfeld steht, oder die teilweise die Geschichte, die er gerade erlebt, schon vorwegzunehmen scheinen. Die Gegenwart scheint durchlässig zu werden, was auf eine andere Dimension hindeutet. Juan Salvo, der Eternaut, wird zum Reisenden zwischen den Zeiten. Eine Fähigkeit, die Möglichkeiten eröffnet, aber auch die Gefahr birgt, sich in den Zeitebenen zu verlieren
Der Eternaut - Symbol des Widerstandes
In Argentinien erhielt Oesterhelds dunkle Science-Fiction-Geschichte um ein Alien-Invasion-Szenario und die menschlichen Versuche, sich dagegen zu wehren, eine tragische Dimension, als der Autor nach dem Putsch der Militärs 1976 verschleppt und umgebracht wurde. Sein Werk und seine Hauptfigur Juan Salvo wurden dadurch zu einem Symbol des politischen Widerstandes. Fast siebzig Jahre nach seiner ersten Veröffentlichung ist „El Eternauta“ daher immer noch die beliebteste Comicfigur Argentiniens.
Nichtsdestotrotz blieb das Jahrhundertwerk, auch wenn es in seiner Detailfülle fast wie ein präzises Storyboard wirkt, über Jahrzehnte hinweg unverfilmt. Einen ersten, erfolglosen Versuch, „El Eternauta“ für das Fernsehen zu adaptieren, hatte es bereits 1968 gegeben; später scheiterten die Projekte renommierter argentinischer Regisseure wie Adolfo Aristaráin oder Fernando Solanas nach dem Ende der Diktatur 1983 an den hohen Produktionskosten und den ungeklärten Autorenrechten. Nachdem der argentinische Produzent Oscar Kramer die Rechte erworben hatte, kam er mit verschiedenen jungen Filmemachern ins Gespräch, etwa mit Israel Adrián Caetano, Fabián Bielinsky, Juan José Campanella und Damián Szifron; 2008 wurde schließlich Lucrecia Martel mit der Verfilmung des düsteren Science-Fiction-Werks beauftragt – aber auch sie hatte kein Glück und erklärte 2009 ihren Ausstieg aus dem Projekt. 2020 erwarb schließlich Netflix die Filmrechte an dem Stoff und nahm die Serienadaption in Angriff. Die Produktionskosten beliefen sich auf 15 Millionen Dollar. Regisseur Bruno Stagnaro, bekannt durch einen der beliebtesten Filme des Neuen argentinischen Kinos, „Pizza, birra, faso“ (1997), und die Serie „Okupas“ (2000), übernahm die Inszenierung und schrieb auch am Drehbuch mit. Seit dem 30. April sind nun die sechs Episoden der ersten Staffel zu sehen: „Eine Nacht der Tricks“, „In die Sonne“, „Magnetismus“, „Das Credo“, „Horizont“ und „Kalter Tomatensaft“. Das Resultat ist überzeugend.
Die Serie holt den Stoff suggestiv in die Gegenwart
Die Macher haben sich dafür entschieden, den Stoff nicht als Retro-Science-Fiction anzugehen, sondern holen den Angriff der Außerirdischen in die Gegenwart. Die digitalisierte Postapokalypse von Bildgestalter Gastón Girod, mit schneebedeckten Stadtlandschaften, Autobergen und brennenden Kirchtürmen entfaltet eine Suggestionskraft, die der Wirkung des Originals würdig ist und zugleich die Krisenängste der Jetztzeit, nicht zuletzt vorm Klimawandel, mitschwingen lässt. Die Musik des argentinischen Komponisten Federico Jusid ist eindringlich, aber auch auf angenehme Weise zurückhaltend.
Großartig ist das Ensemble: Die Hauptrolle als Juan Salvo füllt Ricardo Darín aus, der derzeit populärste Star des argentinischen Films und zugleich ein versierter Charakterdarsteller, der Juan ebenso lebensfroh wie nachdenklich und melancholisch wirken lassen kann und mit minimalen Gesichtsbewegungen die Zweifel, die die Figur ausmachen, zum Ausdruck bringt. Das gilt auch für die Hauptdarstellerinnen: Carla Peterson als Elena, Andrea Pietra als Ana und Orianna Cárdenas als Inga, eine Immigrantin aus Peru, die die Gruppe gründlich aufmischt. Ganz wichtig sind auch die Darsteller der Freunde Juans, wie Marcelo Subiotto als Lucas und César Troncoso als Favalli.
„Eternauta“ ist auch in Serienform eine zutiefst berührende Geschichte vom Überleben in dunklen und ungewissen Zeiten, die nicht nur in Argentinien kathartisch wirken kann. Es geht um Menschen, um ihre Solidarität, aber auch um ihre tödliche Zerstörungskraft. Die erste Staffel endet mit einem Cliffhanger: Was genau im River-Plate-Stadion entsteht, bleibt ungewiss, nur dass es etwas Böses und Mächtiges ist, das wird schmerzhaft klar. Die Produktion einer zweiten Staffel ist bereits geplant.