Octopus!
Dokumentarfilm | USA 2025 | 79 Minuten (2 Folgen)
Regie: Niharika Desai
Filmdaten
- Originaltitel
- OCTOPUS!
- Produktionsland
- USA
- Produktionsjahr
- 2025
- Produktionsfirma
- Amazon MGM Studios/Jigsaw Prod./Wells Street Films
- Regie
- Niharika Desai
- Buch
- Gabriel Bisset-Smith
- Kamera
- Jarred Alterman · Stephen Bailey · David Bolen · Luis Lamar · Jeremy Leach
- Musik
- Siddhartha Khosla
- Schnitt
- Robert Arrucci · Allie Keefer
- Darsteller
- Phoebe Waller-Bridge (Erzählerin)
- Länge
- 79 Minuten (2 Folgen)
- Kinostart
- -
- Pädagogische Empfehlung
- - Sehenswert 10.
- Genre
- Dokumentarfilm | Tierfilm
- Externe Links
- IMDb | TMDB | JustWatch
Zweiteilige Doku über Octopusse und ihre fantastischen Fähigkeiten
Wer erinnert sich noch an Paul, den Kraken? Es war im Sommer 2010, als das achtarmige Weichtier sieben Resultate der deutschen Fußball-Nationalmannschaft vorausgesagte, besser noch: vorausgekletterte. Spiel für Spiel stieg der Oktopus in schwarz-rot-goldene Gläser und sorgte damit, soweit der Fußballvolksglaube, für den Einzug ins Halbfinale. Weil er vor dem Finale dummerweise auf Spanien tippte und abermals richtig lag, geriet Paul jedoch schmählich in Vergessenheit. Bis jetzt.
Denn 15 Jahre später erinnert ausgerechnet die britische Schauspielerin Phoebe Waller-Bridge mit ihrer betörenden Stimme an seine Prophezeiungen. Mehr noch: Weil diese Vorhersagen Teil einer Reihe erstaunlicher Leistungen der Spezies Tintenfisch sind, darf Paul nun die Serie „Octopus!“ eröffnen, die mehr Hommage und Liebeserklärung als klassische Tierdokumentation ist und schon deshalb ein riesenkalmarfettes Satzzeichen hinter dem Titel verdient.
Enge Bindung zwischen Mensch und Tier
Octopus! Eines der erstaunlichsten Geschöpfe der Welt und deshalb alle Lobeshymnen wert. Zumindest, wenn diese mit solcher Originalität gesungen werden wie hier von Niharika Desai. Denn statt nur ein paar findige Tierfilmer auf die Lauer nach tollem Bildmaterial zu legen, hat die US-Filmemacherin eine Collage gebastelt - so vielschichtig wie der hochintelligente Tintenfisch aus der Familie echter Kraken selbst.
In der kambrischen Explosion vor rund 550 Millionen Jahren, also gewissermaßen bei der Geburt komplexer Lebensformen auf Erden, entdeckt die Filmemacherin enge Bindungen zwischen Tier und Mensch. Um sie zu illustrieren, hat sie für ihre Doku ein Tintenfisch Exemplar gehäkelt, Doris genannt, animiert und auf die Reise durch ein kurzes, aber ereignisreiches Leben geschickt. Anderthalb Stunden lang folgt man ihr aus einem der knapp 100.000 Eier durch den Westpazifik zur vollen Reife.
Da der Zweiteiler zwar familiengerecht, aber nicht infantil ist, holt sich „Octopus!“ auch die Expertisen echter Lebewesen ein. Sieben Fachleute unterschiedlicher Art helfen Desai und der Sprecherin Waller-Bridge, das Dasein der Gattung zu erklären. Das gelingt, auch wegen der untermalenden Musik von Siddharta Khosla, mit Bravour. Die kalifornische Wissenschaftlerin Jenny Hoffmeister erklärt beispielsweise, dass Doris drei Herzen, neun Gehirne und 300 Millionen Neuronen, verteilt auf acht Arme, besitzt.
Der Comedian Tracy Morgan zeigt sodann mehrere Oktopusse bei sich zuhause im weltgrößten Privataquarium. Und der Unterwasserkameramann Luis Lamar warnt, dass die größten Exemplare mit der Kraft tellergroßer Saugnäpfe Menschen "zerfetzen könnten, wenn sie in der Stimmung sind". Sind sie aber selten, sagt der Meeresbiologe Piero aus Neapel - und schwärmt von „Einzelgängern, die ein Leben lang allein bleiben“. Außer im Golf von Mexiko. Dort haben Fischer angeblich eine Kolonie großer gestreifter Oktopusse gesehen.
Ziemlich unangreifbar
Was den Film über seine spektakulären Naturbilder hinaus kennzeichnet, ist die bedingungslose Leidenschaft aller Protagonisten. Wenn Lamar über sein Beobachtungsobjekt „freaky, total freaky“ ausruft, meint er das unbedingt anerkennend. Und zwar völlig zu Recht! Oktopusse ändern bei Gefahr nicht nur in Millisekunden Farbe und Struktur. Sie können sich riesengroß machen und winzig klein, scheinbar in Fressfeinde oder Beutetiere verwandeln, zweibeinig gehen, Werkzeuge nutzen, Tinte spritzen, ihr Spiegelbild erkennen, ein Bewusstsein entwickeln und sich auch mit den Tentakeln giftiger Quallen bewaffnen. Oktopusse mit Ausrufezeichen sind ziemlich unangreifbar!
Es sei denn, bei der Fortpflanzung. Denn die kann - zumindest für Männchen - tödlich enden. Sex, sagt Phoebe Waller-Bridge aus dem Off, ist folglich das Einzige, wovor Oktopusse Angst haben sollten. Mal abgesehen vom Todfeind aller Lebewesen natürlich, dem Homo sapiens. Den Beweis dafür liefert ein Fischer namens Giorgos, der seinen Fang exakt 60 Mal auf den Boden haut, damit er schmackhaft wird. Klingt brutal, ist aber Tradition. Das richtet weitaus weniger Schaden an als die Schleppnetze, mit denen riesige Flotten den Meeresgrund vor den griechischen Küsten so leerfegen, dass Giorgios mit seiner nachhaltigen Fangtechnik kaum noch etwas an der Angel hat.
In „Octopus!“ geht es also nicht nur um spektakuläre Aufnahmen drolliger Kreaturen. Es geht um Kapitalismus und Klimawandel, Biodiversität und Ökosysteme, was wiederum philosophische Fragen aufwirft. Etwa danach, ob ein Leben schützenswerter sein kann als das andere. So gesehen hätten Paul und Doris eigentlich gute Chancen. Schließlich werden ihnen auch in dieser Dokumentation eigene Eigenschaften angedichtet. Man nennt das Anthropomorphismus. Ob das zulässig ist? Auch das lehren uns Phoebe Waller-Bridge und ihre sieben Überzeugungstäter in einer fantastischen Doku über das Leben und seine Bürden.