Drama | Großbritannien/USA 2023 | 270 Minuten (sechs Folgen)

Regie: Juho Kuosmanen

Nach einem ersten Date landen ein Biochemiker und eine Investment-Beraterin aus London miteinander im Bett, was der Beginn einer sich über 15 Jahre hinziehenden On-Off-Beziehung ist, die an den Bindungsängsten der Frau stets aufs Neue scheitert. Wiederholte Berührungspunkte lassen die beiden dennoch nicht voneinander loskommen, was andere Partner verprellt und alternative Lebenskonzepte zerstört. Obwohl die unterkühlte Romanze nuanciert gespielt wird, geht es in der sechsteiligen Serie mehr um die Geschichte des Mannes und seiner sich nicht erfüllenden Liebe. Das sich wiederholende Spiel aus Anziehung, Abstoßung und Auseinanderdriften enthält dabei annähernd gleich viel Tragik wie Romantik. - Ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
ALICE & JACK
Produktionsland
Großbritannien/USA
Produktionsjahr
2023
Produktionsfirma
Me + You Prod./Groundswell Prod./Channel 4 Television/De Maio Ent./PBS Masterpiece
Regie
Juho Kuosmanen
Buch
Victor Levin
Kamera
Max Smeds
Musik
Stephen Rennicks
Schnitt
Jussi Rautaniemi
Darsteller
Andrea Riseborough (Alice) · Domhnall Gleeson (Jack) · Aisling Bea (Lynn) · Sunil Patel (Paul) · Aimee Lou Wood (Maya)
Länge
270 Minuten (sechs Folgen)
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Drama | Liebesfilm | Serie
Externe Links
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Sechsteilige Fernsehserie um einen Mann und eine Frau, die 15 Jahre lang eine On-Off-Beziehung führen.

Aktualisiert am
25.06.2025 - 10:53:41
Diskussion

Die Liebesgeschichte von „Alice & Jack“ beginnt mit einer Trennung. Auf einem großen Hügel sitzen die Protagonisten unter einem wolkenverhangenen Himmel. Über ihnen tanzen bunte Drachen in allen Formen und Farben. Unten dagegen ist man auf dem Boden der Tatsachen angekommen, oder, wie Jacks bester Freund Paul einwerfen würde: am Abgrund. Die Handlung springt zwei Jahre zurück, zum ersten realen Date, das Jack und Alice nach allerhand Tinder-Bildschirm-Gewische in einer Bar absolvieren. Beide sind schon etwas älter, in ihren Dreißigern, im Job arriviert und abgeklärt in der Liebe. Doch diesmal ist etwas anders, auch wenn Alice Jack nach dem Sex aus ihrer Wohnung hinauskomplimentiert. Drei Monate später trifft Alice Jack aber trotzdem wieder – zum ersten Mal sieht sie denselben Mann ein zweites Mal.

Der Wille, Gutes zu tun

Jack (Domhnall Gleeson) liebt Alice (Andrea Riseborough), und Alice liebt Jack. Aber sie können nicht zusammen sein, das wird schnell klar. Nicht aus sozialen Gründen wie bei Romeo & Julia, bei denen die Serie von Victor Levin unter der Regie von Juho Kuosmanen Anleihen nimmt. Im 21. Jahrhundert sind Standesunterschiede obsolet, zumal beide als Besserverdienende in London keine Not leiden. Im Willen, Gutes zu tun, unterscheiden sich die beiden auch kaum. Der Philanthrop Jack forscht als Biochemiker an der Heilung von Krankheiten – nicht für Geld, nicht für Ruhm, sondern einfach aus dem Gefühl heraus, etwas Gutes zu tun. Und die Investmentberaterin Alice vermehrt Geld im Finanzsektor, um ihre „Kriegskasse“ zu füllen. „Krieg gegen Menschen wie mich?“, fragt Jack, nachdem er von seiner Arbeit erzählt hat. „Nein, nicht gegen dich – gegen alle anderen“, entgegnet Alice.

Es sind vielmehr emotionale Gründe oder die Symptome einer grenzenlosen Freiheit, die paradoxerweise in eine 15 Jahre währende On-Off-Beziehung münden. Die absolute Freiheit verspricht, das zu verwirklichen, was die Zukunft an Versprechungen vorhält. Oder das verarbeiten zu können, was die Vergangenheit einem angetan hat. Bei Alice ist es der Vater, der sie als Kind missbrauchte, auch vor den Augen der Mutter. Der jahrelange Missbrauch verursacht eine tiefe Bindungsunfähigkeit der klugen, überaus resoluten Frau. Feinfühlig zurückhaltend visualisiert die Serie die Traumata, die kein Therapeut lösen kann – und erst recht kein Partner, auch wenn der so ergeben und verständnisvoll ist wie Jack, den bald nicht nur sein bester Freund Paul (Sunil Patel) schütteln will – solange, bis die Vernunft endlich Einzug bei ihm hält. Denn Jacks unerfüllte Liebe wirkt auf Außenstehende äußerst schmerzhaft, während er andere Partnerinnen verprellt, sein Kind irritiert und von Alices Bedürftigkeit förmlich absorbiert wird.

Porträt eines liebenden Mannes

Jack ist und bleibt Alice hilflos ausgeliefert. Er führt ein Leben an der Seite der Geliebten, ohne sie zu spüren oder zu sehen. Er tauft seine kleine Tochter, die er mit der gewitzten Kino-Bekanntschaft Lynn zeugt, auf den Namen Celia, ein Anagramm von Alice. Kurz nach der Geburt verlässt ihn Lynn wegen seiner unverbrüchlichen Liebe zu der anderen Frau. Es liegt an den beiden großartigen Darstellern Andrea Riseborough und Domhnall Gleeson, die diese seltsame Beziehung mit so vielen Nuancen füllen, dass ihre Figuren auch abseits der unterkühlten Zweierkonstellation interessant bleiben. Beide tragen eine blasse Distanz voreinander her, die nicht zur Tiefe ihrer Gefühle passt, aber als eine Art Schutzpanzer fungiert. Jacks bedingungslose Liebe berührt auch dank des sehnsüchtigen musikalischen Leitthemas, während Alice, die anfangs ein Buch mit sieben Siegeln ist, in ihrem Verhalten zunehmend nahbarer und nachvollziehbarer wird.

Victor Levin erzählt in „Alice & Jack“ weniger eine Liebesgeschichte mit sporadischen Berührungspunkten, sondern entwirft vielmehr das Langzeitporträt eines Mannes und seiner sich nicht erfüllenden großen Liebe. Alice ist in ihrer sich ständig um sich selbst drehenden Position der perfekte Gegenpart in einer Anti-Romcom, während Jack seinen ideologisierten Romantikvorstellungen nachhängt. Narrativer und emotionaler Kristallisationspunkt ist die berührende Rede, die Jack in der paradoxen Situation des Brautzeugen kurz vor Alices Hochzeit mit einem anderen Mann hält. Ihr zukünftiger Ehepartner soll gesund bleiben, weil er sich wünschen werde, ewig an ihrer Seite leben zu können. Mit Alice stehe die Zeit still. Diese große Liebeserklärung im Moment des größten Verrats ist unvorbereitet und kommt direkt aus dem Herzen.

Gleich viel Romantik wie Tragik

„Alice & Jack“ funktioniert in sechs Folgen ein wenig wie in „Salz auf unserer Haut“ oder „Zwei an einem Tag“ als sich wiederholter Mechanismus aus Anziehung, Abstoßung und Auseinanderdriften. Sie handeln von einer ewig währenden Liebe, die keine Erfüllung findet – und damit annähernd gleich viel Romantik wie Tragik in sich trägt. Und warten überdies mit einer gesellschaftskritischen Note auf. Denn weder alles Wissen noch alles Geld der kalt rationalisierenden Moderne können das regenerieren, was das Glück eines Menschenlebens (auch in der Zweisamkeit) seit Jahrtausenden ausmacht: die Gesundheit.

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