Dokumentarfilm | Italien 2025 | 78 Minuten

Regie: Maxim Derevianko

Im Jahr 2022 gab der chinesische Künstler Ai Weiwei sein Regiedebüt an der Oper in Rom mit Giacomo Puccinis letzter, in einem orientalisierten Peking angesiedelter Oper „Turandot“. Die Dokumentation begleitet die später durch die Covid-Pandemie unterbrochenen Proben und porträtiert nebenbei den Künstler und seinen Kampf für Meinungsfreiheit. Der eher sprunghafte Film vermittelt interessante Einblicke in die Arbeitsprozesse einer aufwendigen Opernproduktion, lässt sich aber allzu oft von oberflächlichen Gegenwartsbezügen hinreißen. - Ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
AI WEIWEI'S TURANDOT
Produktionsland
Italien
Produktionsjahr
2025
Produktionsfirma
Goyaves/Incipit Film/La Monte Prod.
Regie
Maxim Derevianko
Buch
Michele Cogo · Maxim Derevianko
Kamera
Maxim Derevianko
Schnitt
Emanuele Bonomi
Länge
78 Minuten
Kinostart
16.10.2025
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Dokumentarfilm
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Dokumentarfilm über die erste Operninszenierung des chinesischen Künstlers Ai Weiwei, der 2022 in Rom „Turandot“ von Giacomo Puccini auf die Bühne brachte.

Veröffentlicht am
09.10.2025 - 15:38:01
Diskussion

„Ich mache gerne das, was ich nicht gut kann“, verrät Ai Weiwei einem amüsierten Kollegen. Er befindet sich in der Oper in Rom, wo der chinesische Künstler „Turandot“ inszeniert, angesiedelt in einem märchenhaft orientalisierten Peking. Bei Filmen führte Ai zwar schon Regie, doch im Musiktheater ist es sein Debüt. Allerdings verbindet er mit der letzten Oper von Giacomo Puccini eine persönliche Leidenschaft. Vor vielen Jahren hat er als Statist bei einer Aufführung in New York mitgearbeitet. Die Choreografin Chiang Ching, die er damals kennenlernte, ist in Rom ebenfalls mit dabei.

Auf der Suche nach Aktualität

Der Intendant des Teatro dell’Opera di Roma wollte eine aktuelle Version von „Turandot“ auf die Bühne bringen, weshalb er auch nach einem Dirigenten suchte, der die Modernität von Puccinis 1926 uraufgeführter Komposition herausarbeitet. Doch um die Musik geht es in dem Dokumentarfilm von Maxim Derevianko nur am Rande, eher darum, was Ai in seiner Inszenierung als besonders aktuell und dringlich empfindet.

Zu den wenigen Bühnenszenen, die man in „Ai Weiweis Turandot“ zu sehen bekommt, gehört die Eröffnung, in der das Gesetz der diktatorischen Prinzessin Turandot verkündet wird. Adelige Männer dürfen um ihre Hand anhalten. Doch wer die drei Rätsel, die ihm dabei gestellt werden, nicht lösen kann, der wird öffentlich hingerichtet. In Wahrheit ist das grausame Ritual für Turandot eine Möglichkeit, unliebsame Verehrer fernzuhalten. Ai Weiwei sieht in dem Schreckensregime der Prinzessin vor allem das Spiegelbild einer ungleichen Gesellschaft ohne freie Meinungsäußerung. Ganz so, wie er es in seiner eigenen Heimat erleben musste.

Kurze Rückblicke in Ai Weiweis Karriere

„Ai Weiweis Turandot“ nimmt die Inszenierung auch immer wieder zum Anlass, um die Karriere des Künstlers mit kurzen Clips Revue passieren zu lassen. Als Ai nach dem Erdbeben in Sichuan im Jahr 2008 der Regierung eine Mitschuld an den unzähligen Todesopfern gab, geriet er ins Visier der Behörden. Er wurde inhaftiert und mit einem Reiseverbot belegt. Spätere Arbeiten des mittlerweile in Europa lebenden Künstlers waren immer wieder Kriegserklärungen an das chinesische Regime.

Das Talent des in Interviews gerne unversöhnlich polternden, in den Aufnahmen des Films aber charismatischen und in sich ruhenden Ai besteht darin, sowohl sich als auch seine Kunst medienwirksam zu inszenieren. Nach dem Erdbeben in Sichuan verkleidete er beispielsweise die gigantische Fassade des Münchner Haus der Kunst mit 9000 Kinderrucksäcken, durch die das Ausmaß der Tragödie überwältigend greifbar wurde.

Ais „Turandot“-Inszenierung fügt sich nahtlos in seine künstlerischen Arbeiten ein. Die aktuellen Bezüge fallen eher symbolisch überhöht als differenziert aus. So trägt der Chor in Anlehnung an die Hongkonger „Umbrella Revolution“ aufgespannte Regenschirme sowie Kutten mit einem aufgedruckten Mittelfinger, den Ai in seiner Fotoserie „Study of Perspective“ Machtzentren wie dem Weißen Haus oder dem Berliner Reichstag entgegenstreckte.

Einblicke in die Entstehung einer Oper

Bei den inszenatorischen Entscheidungen, auf die sich der Film konzentriert, handelt es sich oft um etwas plumpe Aktualitätsbezüge, wie man sie auf Opernbühnen regelmäßig findet. Sozialkritisches Potenzial ist zwar schon in der Originalhandlung von „Turandot“ vorhanden, aber häufig wirkt es, als würde Ai sich den Stoff auf seine eigenen Leitmotive hin zurechtstutzen. So wirkt es ein wenig beliebig, wenn nach der längeren Covid-Pause auch noch die Pandemie in die Inszenierung mit aufgenommen wird.

Tiefere Einblicke in Puccinis Oper oder die fertige Produktion sind schon wegen der knappen Laufzeit des Films von nur 77 Minuten kaum möglich. Das einzige längere Musikstück ist dann auch sehr erwartbar der Gassenhauer „Nessun dorma“. Zumindest am Rande erlaubt „Ai Weiweis Turandot“ aber dennoch einige interessante Einblicke in den ausgefeilten Herstellungsprozess einer solchen Großproduktion. Die Kamera dringt dabei bis in die hintersten Winkel der Werkstätten vor, beobachtet die Choreografin Chiang bei ihrer Arbeit und die Dirigentin Oksana Lyniv, wie sie den Musikern die Oper näherbringt. Sehr spannend ist dabei Lynivs ukrainische Herkunft, mit der Ai, kurz nach Beginn des russischen Angriffskriegs, reißerisch versucht, die Inszenierung politisch zusätzlich aufzuladen.

Visuell wirkt seine Oper mit ihren fantasievollen Kostümen, den langsam gleitenden Tänzen, einem fragmentarischen, an die Weltkarte angelehnten Bühnenbild und den flackernden Projektionen durchaus eindrucksvoll. Ob sie gelungen ist, vermag man nach „Ai Weiweis Turandot“ aber nicht zu sagen. Der Film ist zu sehr mit oberflächlichen Gegenwartsbezügen beschäftigt – und wohlklingenden Kalendersprüchen wie „Musik hat die Kraft, Hoffnung zu geben“.

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