Anime | Japan 2013 | 288 Minuten (12 Folgen)

Regie: Naoko Yamada

Ein junges Mädchen wächst in einer Ladenstraße in Kyoto auf, wo seine Familie einen Laden für Mochi, traditionelle japanische Reiskuchen, betreibt. Die Teenagerin arbeitet dort mit, erprobt mit Gusto neue Rezepte und durchlebt mit ihren Freund:innen die Herausforderungen, Freuden und Nöte des Heranwachsens, während um sie herum der Alltag der Ladenstraße pulsiert. Die Anime-Serie taucht als „Slice of Life“-Erzählung feinfühlig in diesen Alltag ein und porträtiert lebensnah das Zusammenleben eines kleinen sozialen Kosmos, wobei die Perspektive der Jugendlichen rund um die Titelfigur im Zentrum steht. Festgemacht am kulinarischen Motiv der Mochi, gelingt es der Serie nicht zuletzt durch ihre detailverliebte formale Umsetzung, den vielfältigen Geschmack dieser Lebenswelt erlebbar zu machen. - Ab 12.
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Filmdaten

Originaltitel
TAMAKO MARKET
Produktionsland
Japan
Produktionsjahr
2013
Produktionsfirma
Kyoto Animation/Pony Canyon/Tokyo Broadcasting System
Regie
Naoko Yamada · Tatsuya Ishihara · Yoshiji Kigami · Noriyuki Kitanohara · Taiichi Ogawa
Buch
Reiko Yoshida · Michiko Yokote · Jukki Hanada
Kamera
Rin Yamamoto
Musik
Tomoko Kataoka
Schnitt
Kengo Shigemura
Länge
288 Minuten (12 Folgen)
Kinostart
-
Fsk
ab 12
Pädagogische Empfehlung
- Ab 12.
Genre
Anime | Komödie | Liebesfilm
Externe Links
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Heimkino

Verleih DVD
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Naoko Yamadas Anime-Serie über eine Ladendstraße in Kyoto und die Gemeinschaft ihrer Bewohner

Aktualisiert am
03.11.2025 - 14:13:50
Diskussion

Ganz am Ende jeder Folge von „Tamako Market“, nachdem der Abspann vorbei ist, läuft eine kleine Vorschau auf die nächste Folge. Man hört die Stimme der titelgebenden Figur Tamako nicht einfach erzählen, was in der nächsten Folge an Handlung passieren wird, sondern eine bestimmte Mochi-Sorte beschreiben. Sie beendet dieses „Next on“ jedes Mal mit der Frage: „Was für Mochi erwarten uns wohl beim nächsten Mal?“ Schon bevor die nächste Folge begonnen hat, bekommen wir eine atmosphärische kulinarische Einführung. Ist das hier Mochi-Fernsehen?

Ein Einblick in die lebendige Gemeinschaft der Ladenstraße

Die Serie der japanischen Anime-Regisseurin Naoko Yamada lief 2013 im japanischen Fernsehen und spielt zu großen Teilen in der Usagiyama-Ladenstraße in Kyoto, in der die jugendliche Tamako gemeinsam mit ihrer Familie einen Mochi-Laden betreibt. Mochi sind kleine Reiskuchen, die in Japan traditionell zum Jahreswechsel gegessen werden. Im Zentrum steht dabei aber nicht so sehr Tamako als Hauptfigur, sondern die Gemeinschaft der Menschen, die in der Ladenstraße leben und arbeiten, sowie Tamakos Freund:innen-Gruppe.

„Tamako Market“ ist eine sogenannte „Slice-of-Life“-Serie, gehört also zu einem Genre, in dem es nicht so sehr um eine fortschreitende Handlung geht, sondern darum, das alltägliche Leben von Menschen zu beobachten. Naoko Yamada nutzt die serielle Form, um in jeder Folge einen anderen Teil der Gemeinschaft zu beobachten und kleine Momente und Gesten in den Vordergrund zu rücken. So fühlt sich die Serie nicht nur thematisch, sondern vielmehr auf einer formalen Ebene in den Blick von aufwachsenden Jugendlichen ein. Der eigene Alltag wird permanent aufgeladen, etwa wenn eine Schulaufführung das Zentrum aller Gedanken darstellt oder es nicht Schöneres gibt, als mit Freund:innen Klamotten kaufen zu gehen oder einer Freundin eine Jacke zu nähen.

Auch romantische Interessen und geschlechtliche Zuordnungen sind in der Serie fluide und unklar. So wird zum Beispiel die Blumenverkäufer:in Hanas sowohl in der japanischen als auch deutschen Synchronisation von einer männlichen Person gesprochen. Ton und Animation widersprechen sich hier nicht, sondern bilden ganz beiläufig die Fluidität von Geschlechteridentitäten ab, ohne dass die Serie dies in irgendeiner Weise narrativ problematisiert. „Slice of Life“ heißt, sich für das Zusammenleben von Menschen in einem bestimmten Moment zu interessieren, ohne immer schon an das „Danach“ denken zu müssen.

Kulinarisches Fernsehen

Tamako ist weniger eine Hauptfigur als das energetische Zentrum, das alles und jeden in ihre Gemeinschaft aufnimmt. In einer der schönsten Folgen geht es um die schüchterne Schülerin Shiori, die einen Tag mit Tamako verbringt und es nicht über sich bringt, ihr zu sagen, wie schön sie diesen Tag fand. Sie wird in den weiteren Folgen zu einer Freundin, die immer wieder auftaucht, aber sich nie ins Zentrum drängelt, sondern nebenherläuft und sich in den entspannten Fluss der Serie einreiht.

Für die Ladenstraßen-Gemeinschaft spielt insbesondere das Essen eine wichtige Rolle. Tamakos ständige Versuche, neue Mochi-Sorten zu entwickeln, spiegeln ihre Stimmung und die der ganzen Ladenstraße wider. Insofern ist „Tamako Market“ tatsächlich Mochi-Fernsehen, weil die Atmosphäre der jeweiligen Folgen durch das Essen hindurch beobachtet und verarbeitet wird. Yamada backt jede Folge ein eigenes Mochi (Herz-Mochi, Kirsch-Mochi, Sesam-Mochi …), das jede der vielen Figuren in seinen Teig aufnimmt, ihren Gefühlen und den Jahreszeiten, die sie umgeben, eine kulinarische Form gibt.

Orte und Gesten werden von der Animation her gedacht

Bevor Yamada mit Filmen wie „A Silent Voice“ (2016) oder „Liz und der blaue Vogel“ (2018) auch außerhalb Japans größere Bekanntheit als Regisseurin erlangte, arbeitete sie für „Kyoto Animation“ als „Key Animator“ für verschiedene Anime-Serien. Diese sind in der Produktion von Animationen für das Zeichnen der Posen und Bewegungen der Figuren zuständig, und mit dieser grundlegenden Arbeit setzen sie den Ton für das, was in der Szenerie passieren soll, bevor diese dann vollständig und detailliert animiert wird. Diese formale Arbeit merkt man „Tamako Market“ sehr stark an. Yamada interessiert sich für den Hintergrund und die Räume, in denen sich ihre Figuren bewegen. Der Blumenladen, das Musik-Café oder auch das Badehaus sind detailliert ausgearbeitete und atmosphärische Orte, durch die das Leben in der Ladenstraße beobachtet wird.

Gleichzeitig fokussieren die Animationen immer wieder einzelne Körperteile, die etwas verraten, was die Figuren selbst nicht artikulieren können. In der zweiten Folge verspürt Midori ein vages Gefühl der Zuneigung zu Tamako, das nie expliziert, sondern nur angedeutet wird. Als sie am Schluss der Folge vor Tamako auf der Straße läuft und von ihr gerufen wird, sieht man sekundenlang nur ihren Rücken und eben nicht ihr Gesicht. In dieser Rückenansicht wird das Gefühl nicht bestimmbar, sondern bleibt genauso vage und unklar, wie Midoris Gefühl selbst.

Wenn die Gemütlichkeit des Zuhauses fremd wirkt

Etwa ein Jahr nach dem Ende von Tamako Market kehrt Yamada mit dem Kinofilm „Tamako Love Story“ zurück in die Usagiyama-Ladenstraße. Sie verschiebt den Fokus von der Gemeinschaft der Ladenstraße auf Tamako und Mochizō, die seit Kindheitstagen befreundet sind und in einander gegenüberliegenden Mochi-Läden ihrer Familie leben und arbeiten. Tamako ist mit dem Gedanken konfrontiert, nach ihrem Schulabschluss die Ladenstraße und ihre Mochi verlassen zu müssen. Auch in filmischer Form interessiert sich Yamada nicht so sehr für eine „Girl Next Door“-Liebesgeschichte, sondern setzt an dem Punkt an, an dem sich die Gemütlichkeit der Ladenstraße und der Fernsehserie auf einmal fremd anfühlt. Das fröhliche und entspannte Gefühl der Serie weicht einer Unsicherheit, die Tamakos ganze Umwelt verwandelt.

Der Film endet genau in dem Moment, in dem Tamako und Mochizō, vermittelt über ein dauerhaft präsentes Dosentelefon, ihre Gefühle füreinander artikulieren. Für einen Moment darf es eine große Geste geben, die aber sofort wieder von der Musik des Abspanns übertönt wird. Die Unsicherheit vor der Zukunft muss nicht durch die romantische Paarbeziehung aufgelöst werden, sondern sie darf bleiben. Das Gefühl, nicht mehr in die Vergangenheit zurückzukönnen und einer sich stetig wandelnden Zukunft gegenüberzustehen, muss kein schlechtes sein. Es kommt ja sowieso nur darauf an, welcher Mochi einen als nächstes erwartet.

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